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Wie zwei Frauen mit Sex ihr Studium finanziert haben

Charlie und Lydia haben als Callgirls gearbeitet, um sich das Studium zu finanzieren. Bis heute sind sie bei dem Job geblieben. Unser Partner ze.tt hat mit den beiden gesprochen.

Das Unileben ist teuer

In Berlin hätte jede*r dritte Studierende kein Problem damit, sich zu prostituieren, um sich das Studium zu finanzieren. In Paris würden 29,2 Prozent ihren Körper gegen Geld hergeben, in Kiew 18,2 Prozent. Das haben Mitarbeiter*innen des Studienkollegs zu Berlin in einer Umfrage vor fünf Jahren herausgefunden.

Auch Charlie hat kein Problem damit, gegen eine Bezahlung mit fremden Männern zu schlafen. Die 28-Jährige studiert BWL und Soziologie – nach der Vorlesung verdient sie mit Sexarbeit ihr Geld. Darüber nachgedacht, ins horizontale Gewerbe einzusteigen, hatte sie schon lange – die Vorstellung hatte sie fasziniert. “Nach dem Ende einer Beziehung hat es mich gestört, dass ich keinen Sex mehr hatte, denn meine Libido war ja immer noch da”, erzählt Charlie. “Nach Essen, Schlafen und einem Dach über dem Kopf kommt das Grundbedürfnis nach Sex.”

An der Sexarbeit gefiel ihr, dass sie keine Verpflichtungen eingehen und sich in eine abhängige Beziehung zu einem Mann begeben musste, sondern einfach ihre Lust auf Sex genießen und auch noch Geld damit verdienen konnte. “Die Soziologin in mir war gleichzeitig super interessiert. Denn durch die Sexarbeit kann ich sehr intensiven Kontakt mit den unterschiedlichsten Menschen haben, nicht nur sexuell.”

„Ich nehme nicht jeden Freier an“

Vor zweieinhalb Jahren legte sie los und arbeitet seitdem als Escort. Die Entscheidung bereut sie bis heute nicht. „Ich arbeite sowohl mit einer Escort-Agentur als auch komplett unabhängig. Dabei nehme ich nicht jeden Freier an. Manchmal haben sie Wünsche und Bedürfnisse, die ich nicht erfüllen kann“, erzählt die 28-Jährige. Aussehen spielt dabei weniger eine Rolle, verrät sie: „Meistens weiß ich nicht sehr viel über ihr Aussehen und es ist mir auch ziemlich egal, viel wichtiger ist dabei Sympathie – unterm Strich schlafe ich beruflich eher mit Männern, die ich privat niemals in Betracht gezogen hätte“.

Ihre Kunden sind ein Querschnitt der Gesellschaft, vom reichen Geschäftsmann bis zum Feuerwehrmann. „99 Prozent der Männer haben mich respektiert und waren mir dankbar. Oft sind die Freier auch sehr schüchtern, können mir in den ersten 30 Minuten kaum in die Augen schauen. Sie zu öffnen, sie so zu entspannen, dass sie sich fallen lassen können, das macht mir Spaß“, erklärt Charlie.

„Es gibt viele starke, gebildete Frauen, die Sexworker sind“

Mittlerweile führt Sexarbeiterin Charlie auch wieder eine Beziehung. Die erste auf „Augenhöhe“, wie sie selbst sagt. Insgesamt also alles gut? Nicht ganz. Eine Sache, die ärgert Charlie ganz gewaltig – dass ihr Beruf in der Gesellschaft nicht akzeptiert wird. „Manche Menschen schauen mich ganz anderes an, nehmen mich ganz anders wahr, nachdem ich ihnen davon erzählt habe“, berichtet sie.

Auch deshalb engagiert sich Charlie Berufsverband für erotische und sexuelle Dienstleistungen, tauscht sich bei einem Stammtisch mit anderen Sexarbeiter*Innen aus. „Ich dachte am Anfang, ich sei die Privilegierteste und vielleicht auch Schlauste dort. Doch es gibt viele starke, gebildete Frauen, die Sexworker sind. Dicke, dünne – junge und alte“, weiß Charlie.

Für die kommenden Jahre wünscht sie sich eine offene und ehrliche Diskussion über Sexarbeit. Sie möchte das Ansehen von Sexarbeiter*Innen verbessern. „Dennoch kann ich mir aktuell nicht vorstellen, meinen Beruf aufzugeben – dafür gefällt er mir zu gut“, unterstreicht sie.

„Es ist die dankbarste Arbeit, die ich mir vorstellen kann“

Lydia, 35, hat sich für einen anderen Weg entschieden. Zwar hat auch sie ihr Studium mit der Arbeit als Callgirl verdient, mittlerweile arbeitet sie aber im Öffentlichen Dienst in einer deutschen Großstadt. „Sexarbeit ist für mich mehr Berufung als Arbeit und wenn sie in unserer Gesellschaft nicht so ausgegrenzt würde, würde ich viel lieber bis ins hohe Alter hauptberuflich dieser Tätigkeit nachgehen als meinen jetzigen Job zu machen. Es ist die dankbarste Arbeit, die ich mir vorstellen kann!“, sagt sie.

„Sex und Liebe kann ich schon immer voneinander trennen und habe auch gegenüber Nacktheit, Pornografie und so weiter keine Berührungsängste. Die Annoncen in den Anzeigenblättern haben mich neugierig gemacht und ich wollte wissen, was dahintersteckt“, beschreibt Lydia ihren Weg in die Sexarbeit. Über die Jahre arbeitet sie eigenständig, in einem Bordell und in einem FKK-Club. „Mich hat nie jemand zu irgendetwas gedrängt oder gezwungen“, ist ihr wichtig zu betonen.

„Ich sehe mich als Sexarbeiterin und werde wohl immer eine bleiben“

Die Zahl ihrer Kunden hat bei Lydia dabei stark variiert. „Im Bordell waren es zwischen zwei und fünf am Tag und bei den Haus-/Hotelbesuchen zwei bis vier Termine pro Woche. Es gab aber auch immer Tage oder Wochen ganz ohne Kunden – es gibt durchaus Flauten in der Branche“, verrät die 35-Jährige.

Ähnlich wie Charlie hat auch Lydia überwiegend positive Erfahrungen gemacht. „Die Zeit mit einem älteren Herrn, mit dem ich oft verreist bin und bei diesen Reisen shoppen und gut essen war, war toll. Es war auch eine tolle Erfahrung, als mir einmal ein verrückter Kerl 200 Euro für meinen getragenen Slip gab. Im Vier-Sterne-Hotel plötzlich in der 40-Quadratmeter-Suite mit absoluter Luxus-Ausstattung über den Dächern der Stadt zu stehen, war auch großartig“, erzählt sie.

Natürlich gehören auch ein paar negative Erfahrungen zum Job. „Einmal, ganz am Anfang, habe ich gemeinsam mit zwei Kolleginnen über die Begleitagentur mehrere Männer nachts besucht, die Drogen genommen hatten. Als die Stimmung gegen Ende unseres Termins aggressive Züge annahm, haben wir uns schnell verabschiedet“, berichtet Lydia. Dazu habe sie schon ein paar stinkende, ekelhafte Wohnungen von Kunden erlebt und Männer, die sich ihr gegenüber respektlos verhalten haben.

Dennoch, für Charlie und Lydia überwiegen die positiven Seiten. „Für mich gehört die Sexarbeit zu mir und ist ein wichtiger Teil in meinem Leben, den ich nicht missen möchte. Auch wenn ich derzeit nicht aktiv bin, sehe ich mich als Sexarbeiterin und werde wohl immer eine bleiben“, sagt Lydia zum Schluss.

Der Originaltext von Fabian Held ist bei unserem Kooperationspartner ze.tt erschienen. Hier könnt ihr ze.tt auf Facebook folgen. 

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