Foto: Depositphotos.com

Ist unser Sex wirklich gut genug? Wie bestimmte Erwartungen eine Beziehung vergiften können

In ihrem Buch „Paula kommt“ erklärt die Autorin und Sex-Expertin Paula Lambert, warum „Good-Enough-Sex“ nur in gesunden Beziehungen funktioniert und nicht heißt, dass beide immer und sogar gleichzeitig kommen. 

Willkommen in der Realität

Sex ist in unserem Leben ein allgegenwärtiges Thema – in den Medien, in Filmen und in der Werbung. Das beeinflusst uns, wenn vielleicht auch unterbewusst, in unserer eigenen Vorstellung von Sex: Wie lange, wie oft und auf welche Art, wir ihn haben sollten und wie nicht. Was unser eigenes Sexualleben angeht, beschäftigen sich viele von uns zu sehr mit den Erwartungen anderer. Das liegt nicht zuletzt daran, dass wir fast täglich mit unrealistischen Geschichten und Bildern konfrontiert werden. Aber wie können wir da jetzt noch wissen, was normal ist und was guten Sex wirklich ausmacht?

Paula Lambert ist Sex-Expertin und versucht in ihrem Buch „Paula kommt: Das ehrlichste Sex-Buch der Welt“ mit Vorurteilen und Stereotypen rund um das Thema Sex aufzuräumen. Von den absoluten Basics, über verschiedene Sextechniken, bis hin zu Fetischen und Fantasien, gibt Paula spannende Tipps an die Hand. Selbst auf die Fragen, die man sich fast nicht zu stellen wagt, weiß sie eine Antwort. Dazu gibt sie lustige Einblicke hinter die Kulissen der Entstehung des Buches und beschreibt ganz persönliche Situationen aus ihrem Liebesleben.

Dabei wird schnell klar: Eine wichtige Technik bei Sex ist nämlich auch die Fähigkeit, über Sex zu lachen. Wir stellen euch einen Auszug daraus vor:


Paula kommt, auch zu unserem Empowerment-Event am 25. August. Quelle: Martin Rottenkolber

„Ich bin irgendwie unsicher, ob der Sex, den ich bekomme, echt der Knaller ist. Wenn ich Frauenzeitschriften lese, bekomme ich immer das Gefühl, dass wir mehr tun müssten. Hilfe!“

Sich mit anderen zu vergleichen ist der sichere Weg in den Abgrund. Du weißt doch, was Frauenzeitschriften immer von dir verlangen: Sei, wie du bist – aber nicht so. Fragt man die durchschnittliche Frau, ob sie mit ihrem Sexualleben zufrieden ist, wird sie in 90 Prozent aller Fälle sagen: „Och, ganz in Ordnung, aber du weißt ja, wie es ist. Nach ein paar Jahren ist die Luft eben raus.“ Und die anderen zehn Prozent sagen: „Wow, wir haben schon wieder ein Bett zerstört! Bald kriegen wir bei IKEA Mengenrabatt! Schiebst du mal mein Fahrrad? Ich kann gar nicht sitzen.“ Und unglücklicherweise sind es diese zehn Prozent, die einem das Gefühl geben, das irgendwas falsch läuft. Dass der Sex, den man als Durchschnittsfrau hat, nicht gut genug, sondern nur amateurhafter Käse ist, der die Bezeichnung Sex gar nicht verdient. Die Folge? Frustration, Langeweile, die Sehnsucht nach etwas andrem. Im schlimmsten Fall sogar Potenzprobleme – und zwar auf beiden Seiten.

Der amerikanische Psychologe Michael E. Metz hat sich des Problems angenommen und mit einem Kollegen eine ebenso schlaue wie schlüssige Lösung entwickelt: Das Konzept „The Good-Enough Sex“ – Sex, der gut genug ist. Metz lebt in St. Paul, Minnesota. Er hat viele Bücher geschrieben und Preise dafür gewonnen. In seinen Büchern geht es darum, wie man mit Erektionsstörungen umgeht oder die Leidenschaft in seine Ehe zurückholt. „Es ist verflixt kompliziert mit dem Sex“, sagt er. Das stimmt. Der Alltag erschöpft. Häufig sind beide zu müde. Manchmal haben beide Sex, weil sie glauben, dass es nötig wäre, obwohl sie keine Lust haben. Und zu oft denken Paare, dass es normal wäre, dass der Sex in Beziehungen immer seltener wird. „Das ist ein großer Irrtum“, sagt Metz. „Sex in gesunden langjährigen Beziehungen wird automatisch immer intensiver. Natürlich geht die Wildheit der ersten ein, zwei Jahre verloren. Aber die Intensität sollte da sein. Wenn man sich sagt, er will dreimal die Woche, die Frau aber nur einmal, dann sitzt man als Paar schon in der Falle. Das Good-Enough-Sexmodell beruht auf dem Glaubenssatz, dass guter Sex nur in einer gesunden Beziehung funktioniert. Und eine gesunde Beziehung ist nur dann möglich, wenn sich die Partner als Team verstehen. Die Frage, die man sich stellen muss, ist eher diese: Wie können wir Sex haben, dass es uns beiden guttut?“.

Metz findet, dass Partner, die mit dem Good-Enough-Sexmodell arbeiten, eine Art Vertrag miteinander abschließen. Sie setzen sich das lebenslange Ziel, miteinander und aneinander zu wachsen. „Sex“, so der Psychologe, „ist ein elementares Kommunikationsmittel. Die meisten Beziehungen, in denen ernste Probleme auftauchen, sind solche, in denen sexuelle Wünsche und Vorstellungen nicht diskutiert werden. Aber man muss darauf achten, dass der Ton liebevoll bleibt. Wer ‚Bist du etwa frigide?‘ vorgeworfen bekommt oder ein ‚Du findest mich wohl nicht mehr attraktiv?‘, wird gleich in die Defensive gedrängt. Es geht aber nicht darum, einen Kampf zu gewinnen. Sex ist etwas, das für beide Partner gut ist.“ Macht Sinn, oder? Ein Satz, den er seinen Patienten gern sagt, lautet: „Willkommen in der Realität.“ Die Realität besteht bei vielen Menschen aus Arbeit, Rechnungen, Kindern, schlechtem Wetter und einem Hund mit Verdauungsproblemen.

Warum wir auch in stressigen Momenten mit unserem Partner Sex haben sollten

„Ich sage vor allem den Frauen immer: Sie sind kein Pornostar“, sagt Metz, „sondern ein ganz normaler Mensch. Aber selbst, wenn Sie mies gelaunt sind, können Sie trotzdem Sex haben. Einfach, weil er Ihnen genau in der Situation guttun wird. Woran wir in der Praxis arbeiten, ist, vor allem den Männern beizubringen, dass Frauen emotionale Intimität brauchen. Und dann schlage ich den Patientinnen noch vor, wie das gehen könnte. Der Partner könnte sie in den Arm nehmen und ein wenig streicheln, und vielleicht gibt er ihr ein wenig Oralsex. Ich frage immer: ‚Glauben Sie nicht, dass Ihnen das guttun würde?‘ Und natürlich nicken die meisten.“ Die Sache ist im Prinzip wirklich leicht. Es geht nicht darum, dass beide immer kommen und sogar gleichzeitig. Es geht darum, dass Menschen ein intimes Team bilden, sexuelle Freunde sind. Es geht darum, zu verinnerlichen, dass Sex haben nicht bedeutet, dass jeder alles beim anderen macht. Sex kann auch vorsichtig und klein sein und ganz beiläufig. Er soll in erster Linie Freude machen. Niemand sollte irgendjemandem etwas beweisen müssen. Wer es schafft, eine Verbindung herzustellen, der löst eigentlich alle wesentlichen Probleme.

Untersuchungen über weibliche Sexualität haben gezeigt, dass der weibliche Fokus der Sexualität in einer Beziehung nach etwa zwei, drei Jahren auf die emotionale Ebene rutscht. Berührung ist dann wichtiger als Leidenschaft, Nähe bedeutender als schweißnasse Laken. Das ist natürlich nichts Negatives. Wenn eine Frau erst mal so richtig in Fahrt ist, dann kann sie noch wilder lieben als ein Mann. Leider neigen Frauen dazu, Männer auf ihre Brünstigkeit zu reduzieren. Als wären Männer Tiere, die im Zaum gehalten werden müssen. Und derart reduziert zu werden greift wiederum massiv das männliche Selbstwertgefühl an. Der Gedanke „Jetzt ist es schon sieben Tage her, und er hat schon wieder diese Falte zwischen den Augenbrauen. Wir sollten schnell Sex haben, bevor er versucht, Brandenburg zu erobern“ ist auch mir nicht fremd. Dabei hat Sex eine Menge Funktionen, die gar nicht beachtet werden. Von der Fortpflanzung abgesehen, dient er der Stressreduktion, dem Wohlbefinden, der Erhöhung des Selbstbewusstseins und der Schaffung von Nähe innerhalb der Beziehung. Sex im Sinn von reiner Penetration bringt im Grunde kaum etwas, wenn er die anderen Aspekte außer Acht lässt.

Wenn du Good-Enough-Sex haben willst, darfst du nicht so viel Wert auf die Performance im Einzelnen legen, sondern darauf, dass euer beider Sinne stimuliert werden. Das bedeutet dann zwar ziemlich häufig, dass es kein legendärer Akt wird, der in die Geschichtsbücher als Vögelei des Jahrhunderts eingehen wird. Aber wichtiger ist doch wirklich, dass du in einer Partnerschaft leben kannst, in der ihr beide frei von Zweifeln seid und voller Befriedigung. Ansprüche sind nämlich pures Gift für Sex. Es bringt dir nichts, wenn du versuchst, Sasha Grey zu sein, obwohl du dich wie Angela Merkel fühlst. Und ich rate dir eins: Beim nächsten Treffen mit deinen Freundinnen tust du nicht so, als seien bei euch die Betten zu Bruch gegangen. Behaupte auch nicht, dass dein Mann dir jedes Mal die Sinne raubt. Sei einfach ehrlich. Dein Sex war nämlich wahrscheinlich genau so wie er sein sollte: gut genug.

In eigener Sache: Paula Lambert wird auch als Speakerin beim FEMALE FUTURE FORCE DAY am 25. August dabei sein und gemeinsam mit Anja Reschke, Eva Schulz und Ruth Moschner an einem Panel mit dem Titel „Frauen in der Medienwelt: Über Rollen, Macht und Speaker*innen“ teilnehmen. Für alle, die mit in Berlin dabei sein wollen: Mit dem Rabattcode WORDLOVE könnt ihr jetzt 111 Euro beim regulären Ticketpreis sparen! Hier findet ihr das gesamte Programm.

aus: „Paula kommt: Das ehrlichste Sex-Buch der Welt“, Gräfe und Unzer Verlag, 7. Juni 2018, 206 Seiten, 17,99 Euro

Das Buch ist natürlich auch bei lokalen Buchhändler*innen eures Vertrauens zu finden. Support your local Book-Dealer!

Mehr bei EDITION F

Nora Bossong: „Mein Blick auf Sex ist konservativer geworden“. Weiterlesen

Nichi Hodgson glaubt: Ja, wir können respektvolle Pornos produzieren. Weiterlesen

Warum ich als Feministin kein Verbot von Sexarbeit fordere. Weiterlesen

Anzeige