Stephanie Turzer verlor bei einem Brand fast ihr gesamtes Hab und Gut. Mit dem Feuer verbrannte nicht nur ihr Zuhause, sondern auch der gemeinsame Lebensplan mit ihrem Mann. Ein Protokoll.
Ein Neuanfang kann ein Abenteuer sein; eine aktive Entscheidung, etwas Neues zu wagen. Aber nicht jeder Neuanfang ist selbst gewählt oder entsteht aus einer privilegierten Position heraus. Viele Menschen haben gar keine andere Wahl, als neu anzufangen – sie sind gezwungen, das Beste aus einer neuen Situation zu machen.
Wie fängt man neu an? Wie geht man mit Veränderungen um, auf die man kaum Einfluss hat? Was lernt man dabei, übers Leben, über sich selbst? Wir sprechen mit unterschiedlichen Menschen über ihren Neuanfang. Ihre (Lebens-)Geschichten zeigen, wie verschieden die Gründe sein können, neu anzufangen und wie unterschiedlich die Erkenntnisse sind, die diese einschneidenden Erlebnisse mit sich bringen.
Im ersten Teil unserer Protokoll-Serie „Alles neu“ erzählt Stephanie Turzer von ihrem Neuanfang.
Was das Feuer nicht vernichtete, zerstörte das Löschwasser
„,Endlich ist der ganze Scheiß weg.‘ Das waren die Worte meines Mannes, nachdem wir fast unseren gesamten Besitz bei einem Hausbrand verloren hatten. Im Gegensatz zu mir war er froh, den ,materiellen Ballast‘ los zu sein, von dem er sich eh schon lange lösen wollte. Wir lebten damals auf Usedom – ein Kompromiss, den wir ausgehandelt hatten, weil er alles verkaufen und künftig auf einem Boot durch die Welt segeln wollte, während ich meinen großen Traum verwirklichen wollte: ein Haus mit eigenem Malatelier, um meiner Arbeit als Künstlerin intensiver nachgehen zu können.
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Also zogen wir von Brandenburg nach Usedom, in die Nähe des Meeres, wo man segeln, aber auch ein Haus bauen konnte. Während wir auf die Baugenehmigung warteten, bewohnten wir zwei Wohnungen in einem Ferienhaus, das wir sonst an Urlauber*innen vermieteten. In der einen Wohnung hatten wir ein provisorisches Zuhause eingerichtet und in der anderen unsere Sachen in Kartons zwischengelagert. Genau diese Lagerung führte dazu, dass wir bei dem Brand fast alles verloren. Das Feuer selbst hat weniger vernichtet als das knietief stehende Löschwasser, das unsere auf dem Boden gelagerten Kartons samt Inhalt aufweichte.
Zehn Löschzüge und ein lichterloh brennendes Reetdach
Als der Anruf kam, der uns darüber informierte, dass unser Haus in Flammen steht, befanden wir uns zwei Stunden entfernt bei einem Familientreffen. Wir saßen mit der ganzen Verwandtschaft beim Abendbrot, als wir erfuhren, dass ein Blitz ins Reetdach eingeschlagen hatte. Natürlich sind wir sofort nach Usedom aufgebrochen. Während wir im Auto saßen, schaute sich die ganze Verwandtschaft den Brand aus der Ferne an – jemand hatte ein Video des lichterloh brennenden Hauses bei Youtube hochgeladen. Als wir am Grundstück ankamen, waren zehn Löschzüge im Einsatz, einberufen von der ganzen Insel und sogar vom Festland – aber so ein Reetdach bekommt man nicht gelöscht, wenn es einmal brennt.
Im Nachbardorf brannte am gleichen Tag ebenfalls ein Haus ab, überall gingen Blitze nieder, einer hat sogar ein Pferd erschlagen. Die Einheimischen erzählten, dass sie noch nie so ein heftiges Gewitter erlebt hätten. An dem Abend sind wir erstmal bei einer Freundin untergekommen. Als die Feuerwehr gegen zwei Uhr nachts abzog, ist mein Mann zurück zum Haus gefahren, um Wache zu halten. Aber in der kurzen Zeit zwischen dem Abzug der Feuerwehr und der Ankunft meines Mannes sind Leute ins Haus und haben gestohlen, was sie finden konnten. Als mein Mann beim Haus ankam, sah er nur noch, wie ein Auto vom Grundstück fuhr. Ich frage mich bis heute: Wer tut sowas?
Glücklich über jeden Gegenstand, den ich retten konnte
Am nächsten Tag konnten wir mit Spezialstiefeln der Feuerwehr ins Haus – drinnen sah es aus wie in einer Höhle: Der Boden war voller Scherben, alles war kaputt und das Wasser stand uns bis zu den Knien. Überall schwammen Gegenstände, Bücher, CDs, einfach alles war über den gesamten Boden verteilt – und ganz oben auf dem Wasser trieb das Kinderbuch „Das Katzenhaus“. Die Ironie dabei: In der Geschichte brennt ein Haus ab. Trotz der komischen Symbolik habe ich das lädierte Buch gerettet, auch wenn es stark nach Rauch riecht. Meine Enkelkinder nennen es heute das Stinkebuch. Zu DDR-Zeiten habe ich viele Brieffreundschaften mit Menschen aufgebaut, ich hatte eine riesige Sammlung mit Ansichtskarten aus mehr als hundert Ländern. Während des Brandes befanden sich diese in der untersten Schublade einer Schwedenkommode, schön nach Ländern sortiert – das Löschwasser hat daraus einen bunten, verklebten Klumpen geformt. In diesen Momenten hatte ich das Gefühl, ich drehe durch.“
Mühevoll sind wir durchs Haus gewatet und haben meine Bilder beziehungsweise das, was davon übrig war, rausgeholt und geschaut, was sich retten lässt. Auf meinen Aquarellen hat die Farbe weitergearbeitet, hunderte Zeichnungen waren komplett versaut. Die Bilder, die ich mit Pastellkreide gemalt hatte, waren nur noch Matsch. Das sind die Dinge, die mich am meisten geschmerzt haben; all die Gegenstände, die unwiederbringlich verloren sind.
Die Menschen im Dorf haben überhaupt nicht verstanden, wie schlimm so etwas ist. Ein Einwohner meinte nur: „Dann malst du eben neue Bilder.“ Ein kleiner Teil meiner Werke, die kurz zuvor bei Ausstellungen gezeigt wurden, waren glücklicherweise gerahmt. Also legten wir sie auf dem Rasen vor dem Haus aus, entfernten die nassen Rahmen und Passepartouts und ließen sie an der frischen Luft trocknen. Der Witz: An diesem Tag fand in Mecklenburg-Vorpommern der Tag des offenen Ateliers statt, in unserem Garten hätten sich die Leute eine besonders komische Ausstellung anschauen können.
Du hast nichts, du bist nichts
All unsere Fotos, die in einem der Umzugskartons auf dem Boden standen, waren nur noch Papierklumpen – Kinderfotos, Urlaubsfotos, alles verloren. Ich war glücklich über jeden Gegenstand, den ich aus dem Haus retten konnte, darunter ein paar wenige Fotoalben, die überlebt hatten, weil sie erhöht in einem Regal standen. Mein Mann wollte nichts mehr von all dem wissen, er wartete nur darauf, dass uns die Versicherung die Schadensumme ausbezahlt. Während ich weiter im Haus einer Freundin unterkam, wohnte er auf dem Boot und wollte am liebsten sofort lossegeln. Endlich war die Gelegenheit gekommen, die er so lange ersehnt hatte. Und mit jedem Gegenstand, den ich aus dem zerstörten Haus retten konnte, ist die Beziehung zu ihm weiter kaputtgegangen.
Das Grundstück, auf dem wir ursprünglich das Haus mit Atelier bauen wollten, verkauften wir. Ich wollte in der Gegend kein Haus mehr bauen, sondern einen Schlussstrich ziehen. Das Geld von der Versicherung erhielten wir erst Monate später, zu spät im Herbst, um mit dem Segelboot durch die Biskaya gen Süden zu segeln. Die nächsten Wochen sind wir also mit anderen Transportmitteln gereist; nach Italien, Gran Canaria und zu Familienmitgliedern in Deutschland – wir versuchten, uns wieder zusammenraufen. Doch egal wohin wir reisten, wir waren immer nur zu Besuch. Ich wollte nach Hause, aber ein Zuhause gab es nicht mehr. Immer nur mit der Reisetasche unterwegs, du hast nichts, du bist nichts – so hat es sich angefühlt. Nach vielen Wochen auf Reisen wollte ich die ganzen Eindrücke verarbeiten, aber wie soll das gehen, wenn stets das Nächste folgt?
Vertrautes
Als mein Mann Pläne für die nächste Reise schmiedete, sagte ich ihm, dass ich nicht mitkommen würde. Ich sehnte mich danach, anzukommen, nach einem Ort, an dem ich zu Hause sein konnte. Ich überlegte lange, wie es weitergehen könnte. Meine Tochter wollte, dass ich in ihre Region ziehe, aber was sollte ich dort? Klar, da waren sie und meine Enkelkinder, aber dort wäre ich nur noch die Oma gewesen, dafür fühlte ich mich noch nicht alt genug. Also ging ich zurück in meinen alten Brandenburger Heimatort, wo wir vor dem Umzug nach Usedom gelebt hatten. Der Zuspruch ansässiger Freund*innen und befreundeter Künstler*innen war riesig, bei einer Bekannten konnte ich günstig eine Ferienwohnung mieten und in meiner alten Schule war eine Teilzeit-Stelle als Lehrerin frei, die es mir ermöglichte, weiterhin Zeit in meine Kunst zu investieren.
Der Witz war ja, dass ich nur mit viel Aufwand woanders als bei meiner alten Schule hätte anfangen können. Meine Dokumente waren schließlich alle verloren; verbrannt oder aufgeweicht vom Löschwasser. Im Archiv des örtlichen Schulamts lagen jedoch Kopien meiner Unterlagen. In meinen alten Job zurückzukehren, hat gutgetan: Als ich am ersten Arbeitstag ins Lehrer*innen-Zimmer kam, schaute ich in die vertrauten Gesichter ehemaliger Kolleg*innen, saß auf dem gleichen Stuhl wie Jahre zuvor und selbst mein Vorbereitungsraum für den Unterricht sah noch genau so aus, wie ich ihn verlassen hatte. Diese Vertrautheit war schön.
Tausend Möglichkeiten, das Leben zu leben
Für mich stand fest, dass ich an diesem Ort bleibe. Mein Mann hingegen wollte weiter auf dem Segelboot leben. Also teilten wir die finanziellen Güter auf und ich entschied, mit meinem Anteil des Versicherungsgeldes ein kleines Haus mit Atelier zu bauen. Diese räumliche Trennung von meinem Mann führte zur endgültigen Trennung, wir ließen uns scheiden. Unsere Vorstellungen, wie wir den Rest unseres Lebens verbringen wollen, waren zu unterschiedlich. Im Nachhinein weiß ich, wie wichtig es ist, in einer Beziehung darüber zu sprechen, welche Vorstellung man vom Leben hat. Aber als wir uns zu DDR-Zeiten kennen lernten, heirateten und Kinder bekamen, war genau vorgeschrieben, was und wie man sein Leben lebt, alle haben das Gleiche gemacht. Mit der Wende eröffneten sich tausend neue Möglichkeiten. Zu DDR-Zeiten konnte man nur die eingefahrenen Gleise nehmen, Wege, die vorgeschrieben waren. Die Wende hat sich stark auf unsere Beziehung ausgewirkt, danach konnte wir uns entfalten. Erst dadurch kam zum Tragen, wie unterschiedlich wir gestrickt sind.
Der Neuanfang war heftig: der Verlust, die Suche, das Ankommen, die Trennung. Ich war mir nicht sicher, ob ich das alles hinbekomme. Jeder Tag hat neue Erfahrungen gebracht, die ich zum ersten Mal in meinem Leben allein in Angriff nehmen musste. Allein die ganze Einrichtung neu zu kaufen, war eine eigenartige Erfahrung. Meine Beziehung zu Gegenständen hat sich kaum verändert, ich habe immer noch den Drang, alles aufzuheben. So bin ich nun einmal, ich kann nicht aus meiner Haut.
Vieles, was durch den Brand verloren ging, habe ich haargenau so wieder beschafft. In meinem neuen Zuhause habe ich mir alles so schön wie möglich eingerichtet, ich wusste: das ist die letzte Küche, der letzte Tisch, das letzte Regal, das ich mir in meinem Leben kaufe, all das wird mein letztes sein. Auf so einen Brand kann man wirklich verzichten, aber ohne ihn würden mein Ex-Mann und ich noch immer dasitzen und unsere Konflikte vor uns herschieben. Im Prinzip hat uns der Brand geholfen, einen Schlussstrich zu ziehen.“
Stephanie Turzer (63) lebt und arbeitet als Lehrerin, Autorin und Malerin in Lichterfelde, Brandenburg. Seit 2017 stellt sie ihre Kunst auch in ihrer „Galerie im Bäckergarten“ aus. In ihrer illustrierten Buchreihe „Die Malerin vom Jakobsweg“ erzählt sie von ihrem Leben und ihren Wanderungen entlang des Jakobsweges.
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