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„Schwierige Situationen sind dazu da, sich reinzustürzen und zu wachsen“

Sabine Müller ist Chefin der Post-Tochter DHL Consulting. Im Interview mit Carina Kontio vom Handelsblatt erklärt sie, warum jeder eine Portion Angst vor einem neuen Job haben sollte.

Klare Schritte aus der Komfortzone

Sabine Müller ist CEO von DHL Consulting, eines unabhängigen strategischen Supply-Chain- und Management-Beratungsunternehmen, das Teil der Deutsche Post DHL Group ist. Die Top-Managerin, die in Köln lebt und in Bonn arbeitet, engagiert sich leidenschaftlich für die Förderung von Gender-Balance in der Führungsebene. Carina Kontio vom Handelsblatt hat sie zum Interview getroffen und mit ihr über Produktivitätskiller, Vorbilder und gute Führung gesprochen.

Liebe Frau Müller, was machen Sie morgens als erstes im Büro?

„Ich hole mir einen Kaffee.“

Was sind Ihre Stärken?

„Passion, Neugierde und die Bereitschaft, auch mal ein Risiko einzugehen.“

Wann haben Sie denn zuletzt etwas gewagt und verraten Sie uns, was es war?

„Ich habe vor ungefähr anderthalb Jahren meine eigene digitale Reise angetreten. Durch meine Social-Media-Aktivitäten und meinen Blog konnte ich meine Stimme im digitalen Raum erheben, mich mit meiner Online-Community austauschen und andere weibliche Führungskräfte effektiver erreichen. Für mich war das am Anfang ein klarer Schritt raus aus meiner Komfortzone.

Haben Sie ein persönliches Motto, das Sie antreibt und motiviert?

„Meine Oma hat immer gesagt: Märchen sind wahr. Nicht weil sie uns erzählen, dass es Drachen gibt. Sondern weil sie uns erzählen, dass Drachen besiegt werden können. Daran denke ich immer, wenn ich mal nicht weiter weiß.“

Wer ist Ihr persönliches Rolemodel und warum?

„Als ich jung war, war Pippi Langstrumpf mein Vorbild. Ich mochte ihre freche, unangepasste Art. Heute habe ich mehrere Vorbilder, die mich durch das, was sie machen oder wie sie es machen, inspirieren. Mein Ex-Chef zum Beispiel hat mir sehr viel Vertrauen entgegengebracht und mir viele Freiheiten gegeben. Ich habe gemerkt, wie sehr mich das motiviert und wertschätzt und versuche heute, genau das auch in meinem Team umzusetzen. Sheryl Sandbergs Bücher und Artikel haben mich wiederum inspiriert, mich aktiv für mehr Frauen in Führungspositionen einzusetzen, um nur zwei Beispiele zu nennen.“

Bitte ergänzen Sie den Satz: Ich unterstütze meine Mitarbeiter*innen in schwierigen Situationen, indem…?

„… ich das Vertrauen habe, dass sie es schaffen. Ich höre ihnen zu, gebe Tipps und ermutige sie, ihre Komfortzone zu verlassen. Ich teile mit ihnen auch gerne meine persönlichen Erfahrungen, zum Beispiel, dass öffentlich vor vielen Zuhörer*innen zu sprechen lange eine der größten Herausforderungen für mich war. Die ersten drei Erfahrungen habe ich noch schmerzhaft in Erinnerung. Inzwischen bin ich in diese Aufgabe hineingewachsen und halte regelmäßig selbstbewusst Reden – auch vor größerem Publikum. Meine Erkenntnis: Auch schwierige Situationen sind dazu da, um sich hineinzustürzen und an ihnen zu wachsen. Besonders wenn es bedeutet, die eigene Komfortzone zu verlassen.“

Angenommen eine Freundin oder Kollegin denkt oft: „Ich verdiene den Erfolg gar nicht“, „Ich bin gar nicht gut genug“, „Das schaffe ich nie“, „Andere sind um Welten besser als ich…“ – Was raten Sie?

„Ich erkläre ihr, dass das nicht stimmt und sie dringend an ihrem Selbstvertrauen arbeiten sollte. Ich bin davon überzeugt, dass jeder Selbstvertrauen lernen kann, wie jede andere Fähigkeit auch. Jeder kann wachsen und mit der Zeit Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und den eigenen Charakter aufbauen. Das gilt nicht nur für Frauen, sondern natürlich auch für Männer. Ich glaube, dass ein Mangel an Selbstvertrauen uns oft zurückhält und teilweise auch dafür verantwortlich ist, dass es weniger Frauen in Führungspositionen gibt.

Ich habe selbst lange geglaubt, dass ich einfach viel Glück und meinen Erfolg dem*r ein oder anderen Chef*in zu verdanken habe. Heute weiß ich, dass es so nicht stimmt und ich vieles meinen Stärken, meinem Einsatz und meiner Passion zu verdanken habe.“

Ein No-Go im Umgang mit Mitarbeiter*innen ist für mich…?

„… Respektlosigkeit.“

Feedback ist für mich…?

„… ein perfektes Tool, um regelmäßig über seine Stärken und Schwächen zu reflektieren, seine Stärken zu stärken und an seinen Schwächen zu arbeiten, um zu wachsen.“

Welches Tool ist bei der Arbeit für Sie unverzichtbar?

„Mein Handy.“

Ihr persönlicher Produktivitätskiller?

„Nicht funktionierende Skype-Konferenzen.“

Über ihre Erfolge sollten Frauen…?

„… stolz sein und sich trauen, lauthals darüber zu sprechen. Also keine falsche Bescheidenheit!“

Her mit dem Geld: Ihr Ratschlag an andere Frauen für Gehaltsverhandlungen?

„,You get in life what you have the courage to ask for‘ klappt viel öfter als man denkt, einfach mal ausprobieren. Und das gilt nicht nur bei Gehaltsverhandlungen.“

Verbündete und Mentor*innen finde ich, indem….?

„… ich mir aktiv ein Netzwerk aufbaue. Die sozialen Medien bieten hervorragende Chancen für die Frauen, die sich bisher damit schwergetan haben, proaktiv zu netzwerken, oder denen es vielleicht auch an Gelegenheiten mangelte. In der digitalen Welt gibt es neue Wege, sich mit Gleichgesinnten, Vorbildern und Meinungsführer*innen zu verknüpfen – und sich so ein karriereförderndes Netzwerk aufzubauen. Frauen sollten diesen Mehrwert erkennen und das eigene digitale Engagement gezielt und ergänzend zum persönlichen Kontaktaufbau einsetzen.“

In Konfliktsituationen bin ich…?

„… kämpferisch. Ich scheue den Konflikt nicht, weil ich davon überzeugt bin, dass Konflikte viele Themen positiv voranbringen. Für mich ist es sehr wichtig, eine Unternehmenskultur zu etablieren, in der sich jeder traut zu widersprechen und in der Konflikte offen angesprochen werden.“

Pannen sind…?

„… eine super Learning Opportunity.“

Wie fängt Ihr Tag an?

„Meistens mit einem Waldspaziergang mit unserem Hund.“

Wie schalten Sie abends ab und wann gehen Sie ins Bett

„Herrlich abschalten kann ich beim Yoga, Laufen, Gartenarbeit, einem guten Buch oder einem Glas Wein. Ins Bett gehe ich leider oft zu spät, da ich bei Abendessen oder Veranstaltungen, aber auch bei einem Glas Wein selten ein frühes Ende finde.“

Nein sagen sollten Frauen zu…?

„… einem Job mehr als ein Level unter ihrem jetzigen Level mit der dazu oft angebrachten Argumentation: Sie müssen das Handwerkzeug erst lernen. Ich bin davon überzeugt, dass jeder eine Portion Angst vor seinem neuen Job haben sollte, nur dann ist der neue Job der richtige nächste Schritt.“

Sie merken, dass Sie unglücklich sind in Ihrem Job. Was tun Sie?

„Ich bin ein sehr analytischer Mensch. Zuerst würde ich lokalisieren, was eigentlich das Problem ist. Abhängig davon, was es ist, führe ich ein klärendes Gespräch oder stoppe eine Tätigkeit. Da ich CEO bin, habe ich einen großen Einfluss auf das, was geschieht und wie es geschieht. Ich rate Frauen, die unglücklich in ihren Job oder mit ihrem*r Chef*in sind, das gleiche zu tun. Sollte es nicht zum gewünschten Erfolg führen, rate ich, den Job zu wechseln. Manchmal ändere ich aber auch meine Einstellung zu einer Sache, falls ich sie nicht ändern kann.“

Anderen Chef*innen würde ich gerne sagen, …

„… Digitalisierung wird sich zumindest bis zu einem gewissen Grad auf jede Rolle in unseren Bereichen auswirken. Die Verantwortung für die Anpassung muss von allen geteilt werden. Als Chef*innen müssen wir sicherstellen, dass es passiert.“

Frau Müller, ich danke Ihnen für das Gespräch.

Das Gespräch führte Carina Kontio, Redakteurin bei Handelsblatt. Mehr Interviews zu Diversity, Management und Leadership findet ihr im Handelsblatt-Special„Shift“. Carina hat außerdem eine Karriere-Kolumne bei Audible.

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