Du kannst sie nicht sehen, aber sie ist da – meine psychische Erkrankung, schreibt unsere Community-Autorin. Seit einiger Zeit leidet sie unter einer Sozialphobie und einer rezidivierenden depressiven Störung. Hier berichtet sie über ihre Therapie.
Eine gute Therapie gibt es nur mit dem*der richtigen Therapeut*in
Es war an einem Montag, als ich zum Telefon griff und die Nummer meiner jetzigen Therapeutin wählte. Zuvor befand ich mich irgendwo zwischen therapeutischen Erstgesprächen, Terminen bei Ärzt*innen und Beratungsgesprächen, um eine Lösung für das Problem zu finden, das ich schon Jahre mit mir rumtrug. Ihre Stimme ertönte aus dem Hörer und ich wusste, jetzt würde alles besser werden. Auch wenn eine Aufnahme von verschiedenen Faktoren abhinge, habe sie noch Therapieplätze frei, sagte sie. Danach ging alles relativ schnell. Nach dem ersten Termin folgten eine Reihe an Gesprächen sowie das Ausfüllen zahlreicher Fragebögen, die langsam aber sicher den Weg zu einer Diagnose ebneten. Schon jetzt fühlte ich mich ein wenig leichter.
Noch wenige Wochen vorher wusste ich nicht, wie es weitergehen sollte. Ich hatte mich überarbeitet, weil ich mich nie gut genug fühlte. Ich hatte meinen Körper schlecht behandelt, um nichts mehr zu spüren und meine Gedanken zu vergessen. Ich fühlte mich einsam und leer. Ich wollte nicht mehr ich sein. Ich wollte nicht mehr da sein. Ich wusste, ich muss endlich handeln, bevor es noch schlimmer wird. Vor allem aber wollte ich verstehen, was in mir vorging und wie es mir besser gehen würde.
Die Diagnose öffnete mir die Augen
Als mir meine Therapeutin dann eine Sozialphobie und eine rezidivierende depressive Störung, also wiederkehrende depressive Episoden, diagnostizierte, fühlte ich mich sofort entlastet. Endlich gab es eine Erklärung dafür, wieso ich mich unter anderem grundlos von Menschen gehasst fühlte, der Umgang mit ihnen Panik in mir auslöste und ich von meiner Wirkung auf andere nahezu besessen war. Endlich gab es eine Erklärung für jedes Gefühl und jeden Gedanken, der in meinem Kopf herumschwirrte. Endlich fühlte ich mich wieder normal.
„Manchmal habe ich mir gewünscht, ich hätte so etwas wie Krebs“
Wieso ich so lange gebraucht habe, mir Hilfe zu suchen, ist in Worten für mich nur schwer fassbar, da es dafür mehr als nur einen Grund gibt. Es fing damit an, dass ich nie gelernt habe, mit meinen Gefühlen umzugehen, geschweige denn, darüber zu reden. Deshalb habe ich mich schnell ungesunden Bewältigungsstrategien zugewendet und meinen Körper auf verschiedene Weisen selbst verletzt. Ich habe mich quasi „selbst behandelt”, zumindest dachte ich das. Dadurch hat sich in mir eine enorme Scham entwickelt, die es mir schwer machte, mich vor anderen zu öffnen. Außerdem hatte ich sehr viel Angst davor, mit jemandem darüber zu sprechen. Ich hatte Angst davor, dass man an meiner Leistungsfähigkeit zweifeln könne. Angst davor, dass man mich nicht ernst nehmen würde. Angst davor, dass man mich für verrückt halten würde. Angst davor, dass ich alles verlieren könnte. Manchmal war ich aber auch einfach unsicher, ob ich denn überhaupt eine Therapie brauchen würde. So schlimm ist es doch nicht, dachte ich mir.
Helena schreibt offen über ihre Therapie. Quelle: privat
Man sieht es mir nicht an, aber mir geht es nicht gut
In meinen schlimmsten Momenten habe ich mir gewünscht, ich hätte eine Krankheit, die man mir auch körperlich ansehen würde. Eben etwas, das nicht in meinem Gehirn stattfindet, sondern für andere Menschen sichtbar ist. Etwas, woran niemand auch nur eine Sekunde lang zweifeln kann. Bei psychischen Erkrankungen ist das nämlich nicht so leicht. Man solle sich nicht so anstellen, heißt es dann oft. „Schau auf die positiven Seiten des Lebens”, muss man sich immer wieder anhören. Wie krank du tatsächlich bist, ist für viele nicht greifbar. Dir fallen von der Therapie nicht die Haare aus, du trägst keinen Gips und sitzt auch nicht in einem Rollstuhl. Niemand sieht, was in dir vorgeht. Selbst die Narben auf deiner Haut sind für viele einfach unsichtbar.
Doch niemand sollte das, was er*sie nicht versteht, unterschätzen. Eine Sozialphobie ist mehr als reine Schüchternheit. Eine Depression ist mehr als einfache Traurigkeit. Psychische Erkrankungen sind kein vergängliches Gefühl, sondern ein lästiger Ballast, den kein Betroffener und keine Betroffene gerne auf den Schultern trägt.
„Es ist ein gutes Gefühl, zu wissen, dass es weitere Menschen mit diesen Problemen gibt“
Seitdem ich die Praxis meiner Therapeutin das erste Mal betreten habe, hat sich schon etwas in mir verändert. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich das Gefühl, dass wirklich etwas passiert, denn ich bin endlich bereit dazu, an mir zu arbeiten und warte nicht darauf, dass alles von alleine verschwindet. So funktioniert die Psyche nun mal nicht. Wir müssen tagtäglich daran arbeiten. Es gibt Tage, an denen mir das leicht fällt und ich die bisher erlernten Strategien mühelos anwenden kann. Genauso gibt es jedoch Tage, an denen ich vor der Praxistür stehe und am liebsten wieder umdrehen würde, um mich zu Hause zu verkriechen. Natürlich könnte ich das auch tun. Schließlich zwingt mich niemand dazu, dorthin zu gehen. Allerdings weiß ich, dass ich die Therapie gerade brauche und das ist auch in Ordnung so!
Die Therapie hilft mir
Die Therapie gibt mir Stabilität, hilft mir dabei, meine Denkmuster zu verändern und für den Notfall gesunde Bewältigungsstrategien zu erarbeiten. Ich merke, wie ich langsam damit beginne, meine Gedanken und Erlebtes zumindest ein bisschen besser einzuschätzen. Genauso entdecke ich mich dabei, wie ich zum Keyboard oder meinem Tagebuch greife und nicht in alte Verhaltensweisen zurückfalle, wenn es mir schlecht geht. Noch wertvoller hingegen ist, dass ich mich endlich nicht mehr alleine fühle, da die Therapie in einer Gruppe stattfindet. Es ist ein gutes Gefühl, zu wissen, dass es weitere Menschen mit diesen Problemen gibt und zu hören, wie sie damit umgehen. Es tut gut, mit Menschen zu reden, die mich nachvollziehen können oder es zumindest versuchen. Die Therapie tut mir einfach gut.
„Man sollte sich nicht dafür schämen, sich um seine Gesundheit zu kümmern“
Letztendlich müssen wir verstehen, dass unsere Psyche, genauso wie ein gebrochenes Bein, manchmal mehr braucht als ein Heftpflaster oder eine Genesungskarte mit einem Strauß Blumen. Wir sollten uns nicht dafür schämen müssen, uns um unsere Gesundheit zu sorgen. Wir sollten Menschen mit psychischen Erkrankungen Verständnis und Ernsthaftigkeit entgegenbringen und vor allem mehr über solche Themen sprechen, damit der Weg zu einer Therapie für Betroffene einfacher wird.
Dieser Artikel erschien zuvor auf dem Blog F1rstlife. Wir freuen uns, dass Helena ihn auch hier veröffentlicht.
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