Stand-up bringt uns zum Lachen. Komikerin Hannah Gadsby bringt dich mit Nanette aber auch zum Weinen und Nachdenken. Genau deswegen ist es so gut, findet unser Kooperationspartner ze.tt.
Worüber lachen wir?
Hannah Gadsby feiert gerade ihren ersten internationalen Erfolg mit ihrem Abschied. Denn die Comedybranche ist nicht einfach. Will man es nach oben schaffen, muss man zwangsweise Witze auf Kosten von jemandem machen: Entweder macht man jemand anderen lächerlich oder sich selbst. Hannah Gadsby will das nicht mehr. Es ist ein bisschen seltsam, das während eines Stand-ups zu sagen, bemerkt sie in Nanette. Gelächter aus dem Publikum. Nicht nur dieser Witz sitzt. Comedy ist das, was sie kann. Sie baut eine Geschichte so auf, dass du genau dann Tränen lachen musst, wenn sie es geplant hat. Also kann sie das mit dem Aufhören ja nicht ganz ernst meinen, oder?
In ihrem Heimatland Australien ist sie schon länger ein Star. Mit ihrem einstündigen Netflix-Comedy-Special Nanette erlangt sie nun aber auch internationalen Erfolg. Ihre Pointen richten sich – zu Beginn zumindest – auch in Nanette gegen sie selbst: Sie ist lesbisch, nimmt Antidepressiva und wird oft für einen Mann gehalten. Das ist die Basis ihrer Witze. Da ist etwa der Typ, der sie für einen Mann hält und verprügeln will, weil Gadsby mit seiner Freundin zu flirten scheint – was sie ja auch tat, nur eben als Frau. Das Publikum kichert. Bis der Typ dann merkt, dass sie ja gar kein Mann ist und sich entschuldigt. Was für ein Typ!
Anders als Erzählungen habe Comedy nur einen Anfang und Mittelteil, sagt Gadsby. In Nanette lässt Gadsby ihre Pointen aber nicht einfach so stehen. Sie erzählt die Geschichte fertig. Und das Ende ist nicht immer lustig. Ohne zu viel vorwegnehmen zu wollen: Die Begegnung mit dem eifersüchtigen Mann endete für Hannah Gadsby im echten Leben nicht mit einer Pointe und Gelächter.
Hinter Witzen versteckt Hannah Gadsby ihre ernste Geschichte
Die ganze Geschichte zu erzählen ist mitunter ganz schön unangenehm. Gadsby äußert sich aber bewusst so. „Ich fühlte mich, als würde ich irgendeinen moralischen Code brechen; Leute kommen zu lassen, die denken: Oh, wir werden lachen, und wenn die Leute denken, oh, wir werden lachen, entspannen sie sich, sie öffnen sich und dann werfe ich Trauma in diese Offenheit. In diesem Raum ist mir sehr bewusst, dass ich die Leute aufwühle und ich mich selbst. Und das ist traumatisch“, erzählt Hannah Gadsby in einem Interview.
Witzig war es für sie auch nicht, in den 1980ern und 1990ern in Tasmanien als lesbische Frau aufzuwachsen. Dort war Homosexualität bis 1997 strafbar. Die Scham, die sie für das empfand, was sie ist, steckt heute immer noch in ihr.
Nanette soll eine Veränderung im Bewusstsein der Comedy-Szene schaffen
Gadsby sagt in Nanette aber nicht nur, dass Comedy nicht alles erzählen kann. Sie versucht auch deutlich zu machen, dass Comedy nicht alles darf. Wenn Stereotype oder sogar Missbrauch als Vorlage für einen Witz dienen, ist es kein Spaß, es ist Herabwürdigung von Minderheiten. Solche Vorlagen werden von Comedians gezielt genutzt. Sie greifen diese Themen nicht auf, weil sie etwas dagegen tun oder eine konstruktive Diskussion erzeugen wollen, sondern weil sie ihren Job, Menschen zum Lachen zu bringen, einfacher machen.
Wie also geht es stattdessen? Diese Themen völlig auszublenden wäre realitätsfremd. „Ich glaube nicht an Zensur – ich glaube an die Redefreiheit –, aber ich glaube an eine Verantwortung. Wenn du über diese Dinge redest, sag etwas Nützliches, versuche konstruktiv zu sein. Und besonders Männer, die nicht Opfer sexueller Übergriffe waren oder, hoffentlich, nicht an sexuellen Übergriffen teilgenommen haben – haltet den Mund! Es ist nicht eure Geschichte“, fordert Gadsby.
Hannah Gadsby kommt mit Nanette genau zur richtigen Zeit
Wegen Aussagen wie dieser wird Gadsby vorgeworfen, dass sie eine Männerhasserin sei. „Ich hasse Männer nicht, wirklich nicht“, meint Gadsby, „(…) aber ich habe Angst vor ihnen. Wenn ich die einzige Frau in einem Raum voller Männer bin, habe ich Angst. Und wenn ihr das für ungewöhnlich haltet, redet ihr nicht mit den Frauen um euch!“
Klingt wie die #MeToo-Debatte, oder? Hannah Gadsby schrieb dieses Stück aber schon 2016. Dass Nanette brandaktuell wirkt, liegt einfach daran, dass es sexuellen Missbrauch und Diskriminierung von lesbischen und angeblich nicht weiblich genug aussehenden Frauen nicht erst seit #MeToo gibt. Der Unterschied zu 2016 ist, dass solche Geschichten heute erzählt und gehört werden. Das beweist auch der internationale Erfolg von Nanette.
Und trotz des Erfolgs will Hannah Gadsby die Comedy-Branche verlassen. Zumindest, wenn sie so bleibt, wie sie ist. Stattdessen? Keine Ahnung. Dafür muss ihre Geschichte gehört werden: weil Gadsby sie erzählt, obwohl es ihr sichtlich wehtut, sie nicht weiß, was das Teilen ihres Traumas mit ihr machen wird und sie etwas aufgibt, nur weil es das Richtige zu tun ist. Wenn der Erfolg ihr Recht gibt, bewirkt sie paradoxerweise mit ihrem Abschied sogar einen Neuanfang in der Comedy.
Der Originaltext von Andrea Buhtz ist bei unserem Kooperationspartner ze.tt erschienen. Hier könnt ihr ze.tt auf Facebook folgen.
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