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Homosexuell = schwul? Lesben spielen in der öffentlichen Wahrnehmung kaum eine Rolle

Bei Homosexualität denken viele an Schwule. Was aber ist mit Lesben? Die werden irgendwo zwischen besten Freundinnen, Porno-Fantasien und Holzfällerhemden einsortiert. Unsere Community-Autorin ist lesbisch und berichtet von ihren Erfahrungen.

Wie viele Lesben kennst du?

Vor kurzem habe ich im Magazin der Süddeutschen Zeitung einen Erfahrungsbericht von einem schwulen Mann gelesen, in der Online-Version prangte darüber das Stichwort „Homosexualität“. Obwohl der Artikel bewegend, gut geschrieben und wichtig war, habe ich mich geärgert. Denn der Text erschien pünktlich zum Tag der lesbischen Sichtbarkeit – und war ein Paradebeispiel dafür, dass die Erfahrungen von lesbischen Frauen in der Öffentlichkeit regelmäßig zu kurz kommen. Zu kurz kommen auch die Erfahrungen von Schwulen, aber lesbische Sichtbarkeit ist eben noch geringer.

Ich bin 28 Jahre alt und lebe offen lesbisch. Was ich erlebe hat mit den weit verbreiteten Klischees fast gar nichts zu tun. Ich habe deshalb sechs „lesbische” Erfahrungen gesammelt, von denen ich selten lese, die aber zu meinem Leben  dazugehören:

1. Nein, ich wusste es nicht schon im Kindergarten

„Ich habe schon immer gewusst, dass ich anders bin.” Mit dieser Aussage von Homosexuellen können die meisten Heterosexuellen etwas anfangen. Viele Coming-out-Geschichten passen allerdings nicht in dieses Schema: Ich selbst habe sechs Jahre in einer sehr erfüllten Partnerschaft mit einem Mann gelebt. Wir haben uns menschlich wunderbar ergänzt und unsere Familien und Freunde warteten quasi auf eine Hochzeitseinladung. Statt dieser habe ich mich in eine Frau verliebt und mich von meinem Freund schmerzhaft, aber friedlich getrennt.

Diese Geschichte ist für die Menschen um mich herum viel schwieriger zu verstehen, als der „Klassiker”. „War der Sex mit deinem Freund denn nicht gut?”, ist nur eine der typischen Fragen, die mir gestellt werden. Dass Orientierungen sich verändern können, ist für viele schwer zu akzeptieren (und vermutlich ein beängstigender Gedanke, denn es könnte dann ja jeden und jede „treffen”). Viele wollen auch wissen, warum ich „es” nicht schon früher gemerkt habe. Die Sehnsucht nach einer einleuchtenden und logischen Antwort ist groß. Irgendwie scheine ich meinem Umfeld immer wieder eine Erklärung dafür schuldig zu sein, dass ich „auf einmal” Frauen toll fand und mich jetzt als lesbisch identifiziere.

Es war einfach so, dass ich erst mit einem Mann glücklich war und nun auf Frauen stehe. Wenn ich keine Lust auf Erklärungen habe, erzähle ich, ich hätte schon im Teenie-Alter Mädchen toll gefunden – das verstehen die meisten. In Wahrheit habe ich aber keine Antwort auf die Frage, wann „es” sich entwickelt hat. Es war halt einfach so, dass ich erst mit einem Mann glücklich war und dann nur noch auf Frauen stand. Eine lesbische Bekannte hat sich vor einiger Zeit in einen Mann verliebt. Auch in ihrem Fall scheinen alle davon auszugehen, sie müsse sich für ihre „Veränderung” rechtfertigen. Dabei sollten wir doch längst über die Vorstellung hinweg sein, Sexualität sei entweder schwarz oder weiß.

2. Ich bin kein Klischee und keine Porno-Fantasie

Bei Homofeindlichkeit denken viele an Gewalttaten und Beleidigungen. Und bei lesbischen Frauen denken viele an kurze Haare und Karohemden. Wie ich lebe, fällt durch beide Raster. Meine Freundin und ich sind beide sehr feminin. Die Diskriminierung, die wir erleben, ist ganz anderer Art. Wenn wir tanzen, umarmen uns ungefragt Männer und wollen „mitmachen”. Wenn wir uns küssen, bekommen wir Pfiffe, derbe Sprüche und üble Anmachen zu hören.

Dass uns das stört, stößt oft auf wenig Verständnis: „Wenn euch jemand heiß findet, ist das doch eher ein Kompliment”, heißt es dann oft. Dass es verletzt, wenn man zu einem Objekt degradiert wird, verstehen viele nicht. Lesbische Paare, vor allem die femininen, sind wenig sichtbar. Der einzige Ort, wo sie regelmäßig auftauchen, ist die Pornografie. Dass wir ein Liebespaar sind, passt für viele Männer deswegen in keine Schublade. Stattdessen scheinen sie allzu oft davon auszugehen, wir würden uns nur küssen, um Männer scharf zu machen oder aufzureißen.

Ein öffentlicher Kuss ist für uns nie ausschließlich etwas Intimes oder Privates, sondern immer auch ein Statement, bei dem ich mich innerlich schon gegen Angriffe von außen wappne. Wenn ich darüber spreche, höre ich immer wieder das Argument: „Wenn ihr euch in der Öffentlichkeit küsst, seid ihr ja selbst schuld.” Ich habe nun das „Pech”, aus eigener Erfahrung eine Hetero- mit einer Homobeziehung vergleichen zu können. Und für mich steht fest: Was ich mit meinem Freund durfte, möchte ich auch mit meiner Freundin dürfen.

3. Ich habe es satt, die „beste Freundin“ zu sein

Wenn Schwule Hand in Hand laufen, ist das mutig und mitunter sogar gefährlich. In jedem Fall ist es ein klares Statement. Wenn ich mit meiner Freundin Händchen halte, ist das erst einmal unauffällig. In vielen Fällen ist das natürlich praktisch: Wir fallen nicht auf, wenn wir uns anfassen. Oft werden wir aber auch nicht ernst genommen. Ich stelle meine Partnerin vor und sie wird automatisch als gute Freundin abgestempelt – oft sogar dann, wenn ich sie als „meine Partnerin” präsentiere. Ich gelte immer wieder als unglücklicher Single, der aus lauter Einsamkeit die beste Freundin mitgebracht hat. Manchmal habe ich Lust, das aufzuklären, manchmal auch nicht.

4. Ohne Mann ist es doppelt anstrengend

Als Frau ist man in unserer Gesellschaft immer noch benachteiligt. Frauenpaare treffen Ungerechtigkeiten wie der Gender-Pay-Gap doppelt. Aber es geht auch viel konkreter: Gewisse Dinge überlassen meine Hetero-Freundinnen regelmäßig ihren Männern, zum Beispiel unangenehme Verhandlungen mit Handwerkern oder der Autowerkstatt. Es gibt scheinbar immer noch Lebensbereiche, die sich am besten „unter Männern” regeln lassen. Ich werde nicht die Möglichkeit haben, so etwas an einen Mann delegieren zu können, auch wenn ich mir das in schwachen Momenten wünsche.

Ich mache meinen Hetero-Freundinnen keinen Vorwurf, dass sie sich manchmal für den leichteren Weg entscheiden. Feminismus im Alltag zu leben kostet Kraft und die ist ja bei allen begrenzt. Aber solange Frauen ihre Männer vorschicken, haben alle Frauen, die das nicht wollen oder können, es doppelt schwer, vermeintliche „Männersachen” auszuhandeln.

5. Es ist vieles besser, aber noch lange nicht gut

Die meisten lesbischen Frauen, die ich kenne, haben es nicht ohne psychologische Hilfe durch die Zeit nach ihrem Coming-out geschafft. Zuerst habe ich mich damals bei meinen Eltern geoutet (Reaktion meines Vaters: „Cool, dann habe ich ja bald drei Schwiegertöchter.”). Anschließend habe ich die restliche Familie per E-Mail informiert („Ich stehe auf Frauen” – Antwort meines Onkels: „Was für ein Zufall. Ich auch.”).

Von Seiten meiner Familie gab es also kaum Probleme. Trotzdem habe ich lange dafür gebraucht, mit meinem neuen Ich – das eigentlich das alte war – klarzukommen. Obwohl ich meine langen blonden Haare liebe, war ich kurz davor, sie ratzekurz zu schneiden. Ich hatte das dringende Bedürfnis, nicht aus allen Rastern zu fallen, sondern Teil einer Gruppe und auch von außen als solcher erkennbar zu sein. Stattdessen habe ich mir dann ein Piercing schießen lassen.

6. Ja, wir haben Sex

Wenn Freundinnen erzählen, dass sie „keinen richtigen Sex” hatten, weil es ja über das Vorspiel nicht hinausgegangen sei und nicht zur Penetration kam, staune ich. Der meiste Sex, den Lesben haben, wäre demnach gar kein Sex, sondern nur Vorspiel. Ich stelle immer wieder fest, dass sich viele Menschen gar nicht vorstellen können, wie lesbischer Sex abläuft und welche wunderbaren und vielfältigen Formen es gibt.

Die Klischee-Frage: „Wie habt ihr eigentlich Sex?”, höre ich zum Glück fast nie. Dabei wäre es für manche Frauen vielleicht sogar interessant, von echtem lesbischen Sex zu hören. Denn in Hetero-Gesprächen geht es oft um Stellungen und Co. Wenn ich mit guten lesbischen Freundinnen über Sex rede, geht es auch um Geilheit, steife Nippel, die Klit, Masturbation … Außerhalb von diesem geschützten Raum ist die weibliche Lust selten Thema. Eine Frau, die die Brüste einer anderen Frau heiß findet, irritiert.

Zum Glück sind viele von uns frei und stark

Zum Schluss noch ein paar positive Punkte. Fast alle lesbischen Frauen, die ich kenne, sind ungewöhnlich stark. Sie alle haben Erwartungen und Rollenmuster gesprengt und gelernt, mit den Konsequenzen umzugehen (ich rede hier nicht von denen, die daran kaputt gegangen sind oder es nie bis zum Outing geschafft haben). Sie haben im besten Fall mehr Freiheiten, was die Familienplanung angeht (meine Freundin und ich werden uns mit dem Kinderkriegen vermutlich abwechseln). Ungewollte Schwangerschaften und die Nebenwirkungen der Anti-Baby-Pille sind für sie kein Thema.

Lesbische Frauen müssen sich über traditionelle Rollenmuster in ihrer Beziehung keine Gedanken machen, sondern können die Aufgaben frei nach Neigungen und Talenten aufteilen. Es steht nicht von Vornherein fest, wer das Bad putzt und wer die Reifen wechselt. (In vielen Heterobeziehungen, die ich kenne, ist das entweder immer noch der Fall.)

Warum ich diesen Text geschrieben habe?

Es ist mir wichtig, zu zeigen, wie vielfältig Homosexualität ist – abseits von all den Klischees, an die viele Menschen als erstes denken: die vermeintliche Polygamie der schwulen Männer, der Konflikt zwischen Schwulsein und Männlichkeit, das „Schon-immer-so-sein”. Ich bin mir sicher, andere lesbische Frauen hätten an dieser Stelle von ganz anderen Erfahrungen berichtet, denn wir passen nun mal nicht in eine Schublade. Eines zeigen mir allerdings die vielen, vielen Fragen, die mir im Alltag gestellt werden: „Normal“ ist mein Zusammensein mit einer Frau noch lange nicht.

Zur Autorin: Sofia Herbst arbeitet als freie Journalistin im Rheinland. In Beruf und Alltag steht sie offen zu ihrem Lesbisch-sein. Trotzdem hat sie diesen Text unter Pseudonym geschrieben, um auch in Zukunft ohne Probleme in Länder reisen zu können, in denen homosexuelle Handlungen strafbar sind.

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