Hat die Art, wie wir Sport für uns definieren und ihn ausführen, etwas mit der Art, wie wir leben, zu tun? Was können wir von unseren eigenen Glaubenssätzen lernen? Und wie kommen wir zu mehr Leichtigkeit im Leben, die uns am Ende zu Höchstleistungen bringt?
Ich lag fix und fertig auf dem Boden, konnte kaum noch atmen und fühlte mich großartig. – Ich habe in den letzten zwei Stunden alles gegegeben, bin Boxen hoch gesprungen, habe Gewichte gestemmt und bin immer wieder ans Limit. Das ist Sport für mich. – Und auf einmal standen auf meinem neuen Trainingsplan Vorwärts- und Rückwärtsrollen, das konnte nur ein Fehler sein. Ich soll nur durch die Gegend rollen? Und nein, es war kein Fehler, sondern der wohl beste Trainingsplan, den ich jemals hatte. Ein Plan für den Körper und die Seele. Ein Plan zum Lernen.
Kannst du dich noch daran erinnern, wie du als kleines Kind rausgerannt bist, als es geregnet hat und du von einer Pfütze in die nächste gesprungen bist, Hauptsache es spritzt ganz viel. Oder wie du dich auf dem Klettergerüst von einer Stange zur nächsten gehangelt und neue Kunststücke ausprobiert hast, so dass deine Eltern schon halb einen Herzinfarkt bekommen haben – aber hoch ist halt noch nicht hoch genug und schließlich hältst du dich ja auch gut fest.
Wenn ich meine Augen so schließe, sehe ich noch sehr gut diesen kleinen neugierigen Wirbelwind, der immer überall sein, alles wissen und vor allem alles ausprobieren wollte; der lachend durch die Felder gezogen ist und ganz stolz war, als er sich oben auf dem Strohballen sitzend die tollsten Träume ausmalen konnte.
Das war vor vielen Jahren …
Und jetzt? Jetzt stand ich an einem Sonntag in meinem Fitnessstudio und mein Coach eröffnete mir mit einem Grinsen, dass es zum Aufwärmen 3 mal10 Rollen gibt, vorwärts und rückwärts selbstverständlich. Wie bitte – was soll ich machen?! Ich war mir nicht ganz sicher, ob er das ernst meinte, aber immerhin stand es schwarz auf weiß in meinem Trainingsplan. Und das Ganze soll ich ab sofort auch noch viermal die Woche machen.
Ich schaue nochmal von den Matten am Boden zu meinem Coach und wieder zurück. Na ja, nun gut, so schwer kann das ja nicht sein. Aber tatsächlich habe ich mich gefragt, was das jetzt mit Sport und vor allem mit Crossfit zu tun hat. Ich war ja schließlich nicht im Turnverein angemeldet.
Aber da ich meinen Coach kenne, wusste ich, dass er sich sowieso nicht auf Diskussionen einlassen würde. Vielmehr spürte er meine Zweifel und bei der Rückwartsrolle auch meine Hilflosigkeit. Tatsächlich war es nämlich doch nicht mehr so easy wie früher. Also fragte ich ihn, wie ich was machen muss: Wie muss der Arm liegen, die Hand nach oben oder unten, darf ich mich abstützen oder Schwung holen… Fragen über Fragen, damit ich es auch richtig mache. – Als würde es die perfekte Rückwartsrolle geben.
Und die einzig richtige Antwort, die mir mein Coach gab war:
„Fang an zu spielen, es gibt kein Richtig und Falsch. Lerne deinen Körper kennen und spüre, wo dein Schwerpunkt ist.“
Und dieser Satz, diese Aufforderung, hallte nach; er begleitete mich einige Tage und mit jedem Training ist mir mehr und mehr bewusst geworden, was fehlte – die Leichtigkeit; die Leichtigkeit von früher. Stattdessen hatten sich Ehrgeiz und Verbissenheit in meinem Kopf festgesetzt. Der Spaß war der Anstrengung gewichen. Ein Training, wo ich nur rolle? – Nein, da schwitze ich ja nicht. Ich muss mich verausgaben, kaum noch Luft bekommen und glauben, dass ich keinen Schritt mehr schaffe. Ja genau, das brauche ich, damit ich weiß, dass ich auch alles gegeben habe.
Aber ist es wirklich so? – Und dann wurde mir auf einmal die Parallele zu meinem Leben bewusst.
Auch da rennen wir den großen Zielen hinterher und vergessen manchmal, wie wichtig es ist, die Basis zu schaffen. Die Rollen hatten schon ihre Berechtigung. Ich möchte nämlich Handstand im Freien können. Aber wie soll man diesen machen, wenn man Angst hat, dass man umkippen könnte und sich dann nicht mal abrollen kann. – Manchmal müssen wir mit den kleinen Dingen starten, bevor die großen kommen können.
Im Leben versuchen wir auch immer alles richtig zu machen. Und bevor wir etwas falsch machen, machen wir lieber gar nichts; denn schließlich sind Fehler das schlimmste der Welt und unumkehrbar. Zumindest sagt uns dies das kleine Teufelchen auf unserer Schulter und verhindert somit den Weltuntergang. Was wäre aber, wenn wir mal einen Fehler wagen? Oh ja, wir lernen. Nach vier bis fünf Rollen hatte ich den Dreh raus. Jeder Mensch muss seine eigene Art finden – es gibt nicht die perfekte Lösung.
Im Leben hat Spaß eher nicht die höchste Priorität. Schließlich haben unsere Großeltern schon früher immer „erst die Arbeit, dann das Vergnügen“ gepredigt und dieser Satz hat sich fest in unser Gedächtnis eingeschrieben. Aber entspricht das wirklich der Realität? – Wann „schaffen“ wir das meiste, wann haben wir die besten Ideen, wann fließt es einfach nur so aus uns heraus? – meistens doch, wenn wir Spaß haben.
Ich kann mich noch sehr gut an eine Situation von vor paar Wochen erinnern, als ich mit zwei hellen Köpfen an einem runden Tisch saß und ein Flipchart mit ein paar To Dos vor uns stand. Jemand, der die Situation nur von außen betrachtet hätte, ohne die Stimmen zu hören, hätte vermutlich gesagt, dass wir Smalltalk gemacht, dass wir gelacht und dass wir rumgeblödelt haben – die Wahrheit aber war, dass es die zwei produktivsten Stunden seit langem waren. Spaß und Arbeit können zusammenpassen. Wir müssen uns nicht immer unter Druck setzen, das Gefühl haben, dass wir ganz konzentriert und angestrengt an unserem Schreibtisch sitzen, damit die beste Idee ever entstehen kann. Es ist vielmehr ein Wechselspiel aus Anspannung und Entspannung.
Oh ja, die Vorwärts- und Rückwärtsrollen haben mir nicht nur gezeigt, wie der Weg zum Handstand aussehen kann, sondern auch, wie der Weg zu einem Leben mit mehr Leichtigkeit aussehen kann.
Mit Ausprobieren.
Mit den kleinen Dingen.
Mit Fehlern zum Lernen.
Mit Spaß statt Anstrengung.
Mit Genuss.
Und daher frage ich dich, auf einer Skala von 0 bis 10, wie viel Leichtigkeit spürst du in deinem Leben? Standest du schon mal auf einem anderen Punkt? Was war da anders? Wovon wünscht du dir vielleicht mehr?
Und was ist der nächste Schritt, den du dafür machen kannst?