Sex ist im Islam nach wie vor ein Tabuthema. Für viele Frauen bedeutet das ein katastrophales Liebesleben. Das Sex-Handbuch einer gläubigen Muslimin soll ihnen helfen. Ein Kommentar von Eva Reisinger.
Sechs Monate verheiratet und kein Orgasmus
Als eine frisch verheiratete Freundin nach ihrer Hochzeit immer trauriger wurde, fragte Umm Muladhat, die als Psychologin arbeitet, nach, was los sei. Ihr Sex würde nicht funktionieren, erklärt die Freundin. Sechs Monate eigentlich glücklich verheiratet und noch immer keinen Orgasmus. Bei genauerem Nachfragen wurde Muladhat klar, dass ihre Freundin zwar wisse, wie Sex rein biologisch ablaufe, aber dass sie keine Ahnung habe, was ihrem Mann oder ihr selbst gefällt. Daraufhin schrieb Muladhat all ihre Gedanken und Erfahrungen aus ihrem Sexleben auf. Das PDF verteilte sich per Mail rasch zwischen vielen muslimischen Frauen, bis es schlussendlich ein Buch wurde.
Muladhat hat damit viel Staub aufgewirbelt und Tabus gebrochen, auf das auf wenigen Seiten. Der Titel The Muslimah Sex Manual: A Halal Guide to Mind Blowing Sex mag hochtrabend klingen – wie viele andere Überschriften in Frauenzeitschriften auch –, doch Umm Muladhat ist selbst Muslima und schreibt für eine Zielgruppe, in der Sex bisher nur selten öffentlich diskutiert wurde, geschweige denn, dass eine Frau eine Anleitung für mehr Lust beim Sex schreibt.
Muslimische Frauen haben dieselben Bedürfnisse
„Du kannst rein wie Schnee sein und im Bett immer noch schmutzig.“
Umm Muladhat sagt gegenüber Huffington Post: „Ich denke, das größte Missverständnis, das Menschen gegenüber muslimischen Frauen haben, ist, dass sie Angst vor Sex haben oder zu bescheiden sind, um darüber nachzudenken. Muslimische Frauen sind wie alle anderen Frauen.“
Die Autorin veröffentlichte ihr Sex-Handbuch unter einem Pseudonym, da sie nicht für immer die muslimische Sex-Tante sein will, wie sie selbst sagt. Sie verrät im Buch nur, eine in den USA geborene Psychologin zu sein und dass der Großteil ihres Buches auf eigenen Erfahrungen basiert. Zudem erklärt sie ihre Anonymität damit, dass Kritiker*innen sich dadurch stärker mit dem Inhalt ihres Buches auseinandersetzten müssten und ihren Hass nicht einfach auf ihre Person projizieren könnten.
Von Küssen bis hin zu BDSM
Die Essenz des Buches sind die Beschreibungen von unterschiedlichen Stellungen sowie Techniken. Doch im Buch geht es nicht nur um Sex, sondern auch um Sexting, Dirty Talk, Küssen, BDSM, Verhütung und Hygiene. Dabei gibt Muladhat viele praktische Tipps wie konkrete Beispiele für Sexting oder wie Frauen Nacktbilder von sich selbst machen und verschicken sollten, ohne sich selbst dabei zu gefährden.
Auch für Strippen oder Deep Throat hat die Autorin konkrete Anweisungen parat. Dass sich Experimentierfreudigkeit im Bett und der Glaube an Allah nicht ausschließen, betont sie dabei immer wieder: „Du kannst rein wie Schnee sein und im Bett immer noch schmutzig sein“, schreibt sie an einer Stelle im Handbuch. „Viele jüngere Muslime denken, dass die praktizierenden, Hijab oder Niqab tragenden Schwestern ein langweiliges Sexualleben haben und sich niemals außerhalb von Vanille im Bett wagen.“
„Ich denke, das größte Missverständnis, das Menschen gegenüber muslimischen Frauen haben, ist, dass sie Angst vor Sex haben oder zu bescheiden sind, um darüber nachzudenken.“
Gemischte Reaktionen auf diese neue Offenheit
Seit der Veröffentlichung diesen Sommer erhielt ihr Verlag viele erniedrigende und widerliche Nachrichten. Aber es gibt auch positive Stimmen. Muslimische Frauenorganisationen loben sie und betonen, dass derartige Aufklärung muslimische Frauen stärken und sie vor sexuell missbräuchlichen Beziehungen schützen könne.
Shaista Gohir, Vorsitzende des Muslim Women’s Network UK, welches auch die Muslim Women’s Helpline leitet, sagt gegenüber dem Guardian: „Ich bin total dafür, dass alle Frauen über Sex sprechen. Warum sollten sie nicht?“ Sie erklärt aber auch, dass es in der Praxis nach wie vor meist nur um das Vergnügen der Männer gehe: „Wir haben viele Fälle, wo Frauen von unerwünschten sexuellen Handlungen und Vergewaltigung berichten, oder darüber, wie ein Stück Fleisch behandelt zu werden.“ Gohir höre immer wieder von Ehemännern, die erst gar nicht versuchen würden, für den Orgasmus ihrer Frau irgendetwas zu tun. „Ich befürchte, dass das Problem viel größer ist, da es den meisten zu peinlich wäre, darüber zu sprechen.“
Längst nicht alles an Sex ist halal
Doch wer denkt, dass im Bett von muslimischen Paaren alles erlaubt ist, liegt falsch. Es gibt auch Verbote, also Dinge im Bett, die als haram gelten. Dazu zählen Dreier, Pornos, Analsex und Geschlechtsverkehr während der Periode. Besonders absurd wird es, als die sexuelle Beziehung eines Mannes mit mehreren Frauen im Buch thematisiert wird. Denn auch in dieser Konstellation bleibt der Sex zu Dritt untersagt. Da die Frauen ein Bündnis mit ihrem Ehemann, aber nicht den anderen Frauen geschlossen haben, wie die Autorin erklärt.
So liberal und wichtig dieses Buch erscheinen mag, mit der sexuellen Emanzipation der Frau hat es noch zu wenig zu tun. Schließlich dreht sich der gesamte Inhalt darum, wie Frauen ihren Mann befriedigen und nach sich verrückt machen können. Zweifelsfrei war dieses Buch ein Tabubruch und wird vielen Frauen weiterhelfen. Doch bleibt ein bitterer Beigeschmack: dass sich ein erfülltes Liebesleben darum dreht, seinen Ehemann glücklich zu machen.
Der Fokus liegt wieder beim Mann
So wird im Buch beispielsweise intensiv besprochen, wie man durch Blow- und Handjobs seinen Mann verwöhnen kann, wie dieser das seiner Frau aber zurückgeben und sie dabei zum Höhepunkt bringt, wird nicht erklärt. Auch auf Kapitel, die von Selbstbefriedigung und sexueller Emanzipation handeln und klarmachen, dass es für einen erfüllten Orgasmus nicht unbedingt einen Mann braucht, wartet man vergeblich.
„Ich habe Dutzende von E-Mails von Männern erhalten, die mich fragten, ob ich irgendwelche Pläne hätte, ein Begleitbuch zu schreiben, um ihnen beizubringen, wie sie ihre Frauen im Bett erfreuen könnten. Ich habe das berücksichtigt und plane, eine Follow-up zu schreiben, wenn dieses Buch erfolgreich ist“, erklärt die Autorin. In ihrem nächsten Buch könnte es also endlich mehr um die weibliche Lust gehen. Bleibt zu hoffen, dass die muslimischen Männer das neue Buch genauso fleißig lesen werden, wie ihre Ehefrauen.
Der Originaltext von Eva Reisinger ist bei unserem Kooperationspartner ze.tt erschienen. Hier könnt ihr ze.tt auf Facebook folgen.
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