Feminismus und Kopftuch passen nicht zusammen? Wenn Frauen anderen Frauen sagen, wie sie sein dürfen und wie nicht, ist diese Bevormundung nicht nur extrem antifeministisch, sondern hat auch noch einen bitteren Beigeschmack von Rückschritt.
Islam und Emanzipation schließen sich nicht aus
Einmal sagte eine Person zu mir: „Na du bist aber emanzipiert für eine Muslima.” Ich verschluckte mich beinah an meinem Saft: „Na, wie sind Musliminnen denn sonst so?” Sie war peinlich berührt: „Na du weißt schon, anders.” Ich beharrte: „Ja, WIE anders?” Und gab ihr selbst die vermutete Antwort: „Lass´ mich raten: Bombenlegerinnen, die im Namen Gottes andere terrorisieren und keine eigene Meinung haben? Verklemmte Weiber, die die eigene Sexualität vergraben, um irgendeinen Haberer voll und ganz zu befriedigen, während sie auf alles Schöne im Leben verzichten und ihre Haare mit 35 Lappen verstecken?” Sie wurde rot: „Ich meinte es gar nicht so. Ich finde dich nur wirklich extrem emanzipiert, auch weil ich deinen Mann kenne und euch als Paar erlebt habe, bei EUCH scheint Gleichberechtigung gut zu klappen. Das war eigentlich ein Kompliment.”
Und hier liegt der arme Hund begraben: „Komplimente” wie „Du bist aber emanzipiert für eine Muslima”, und „Du bist aber fesch für eine Schwarze”, sind schlicht wüste Beleidigungen. So, als würde ich sagen: „Du bist aber gescheit, für eine Blondine”, oder „Du hast aber eine tolle Figur für eine Mutter”, etc. Das sind keine Komplimente, sondern Andeutungen, dass du in einer beschissenen Gruppe die tollste Ausnahme bist. Und das stimmt so einfach nicht, denn ich bin keine Ausnahme. Dass meine Beziehung „gut klappt” ist auch keine Ausnahme. Aber so sieht das „säkulare” Gesellschaftsbild von Musliminnen aus:
Wenn du mit deinem Partner streitest, dann nicht etwa, weil ihr ein ganz normales Paar seid, sondern, weil ihr Muslime seid. Wenn dein Kind in den öffentlichen Verkehrsmittel schreit, dann tut es das nicht, weil Kinder manchmal schreien, sondern, weil Muslime Gebärmaschinen sind und das Kind sicher irgendwo einen ausländischen Knopf hat und in der Öffentlichkeit anfängt zu schreien, wenn man diesen betätigt. Und wenn du neben deinem Mann auf der Straße gehst, händchenhaltend, oder gar küssend, dann bist du die verblüffende Ausnahme.
Wenn ein Wahnsinniger Leute niedersticht, dann tut er das auch, weil er ein Muslim ist. Und sollte er, wie in Hamburg, von anderen Männern aufgehalten werden, die zufälligerweise selber Muslime sind, dann konzentriert man sich NUR auf den Täter – die Zivilcourage hat plötzlich keinen Wert mehr. Du weißt zwar, dass du keine Ausnahme bist, aber in diesem fortschrittlichen, säkularem Staat ist das noch so etwas wie ein Geheimnis, denn Leute reden über und nicht mit uns. Sie reden so, als hätten sie vollste Übersicht über jeden einzelnen muslimischen Menschen. JEDEN EINZELNEN.
Ich sage dir auch nicht, was du anziehen sollst
Wir leben im Jahr 2017 und immer noch bestimmen andere Leute für Frauen, was sie anziehen sollten und was eben nicht – alles unter dem Deckmantel der „wahren” Freiheit natürlich. Das besonders Schlimme daran: Darunter sind Frauen, die für andere Frauen bestimmen möchten, was bitte schön frei ist und was nicht. Wieso?
Würde sich mein Gedankengut ändern, wenn ich mein Kopftuch ablege? Wäre ich eine andere Person? Hätte ich eine andere Einstellung? Wäre ich denn plötzlich integrierter und freier? Nein. Ich fühle mich aber mit Kopftuch einfach wohler. Einfach mehr ich. Ich lasse mir in mein Wohlgefühl nicht reinreden. Ich sage dir auch nicht, was du zu tragen hast und was nicht.
Für mich ist das Kopftuch nicht nur ein religiöses Symbol, sondern ein Stück Identität, Herkunft und mit dem Wissen, ich kann es ablegen wenn mir danach ist, ist es für mich eine Option, aber kein Zwang. Und genau hier ist der Unterschied: Ich kann und darf entscheiden – jedenfalls theoretisch, denn passt meine Entscheidung dir nicht, dann steckst du mich in eine bestimmte Schublade. In Europa darf man aber noch entscheiden und genau deswegen sind wir hier. Es ist ein teures Gut, das wir sehr schätzen.
Unter einem Kopftuch stecken Individuen
Schließt das die Tatsache aus, dass es vielen Frauen aufgezwungen wird? Nein! Ich kann aber, wenn es um mein eigenes Kopftuch geht, nur über mich reden, weil ich andere nicht bevormunden möchte. Diesen Frauen gehört natürlich geholfen! Damit sie ihr Leben so leben können, wie sie es möchten. Warum eine Frau sich für das Kopftuch entscheidet, muss nicht immer religiös sein. Und ist die Religion der Grund für die Entscheidung, dann können wir den Grad der Religiösität nicht messen – wie auch?
Ich kenne streng gläubige Musliminnen, die kein Kopftuch tragen und mich schief anschauen, wenn ich einen perversen Witz reiße – ich bin aber die, die ein Kopftuch trägt. Lasst euch nicht von Äußerlichkeiten und Labels ablenken, damit macht ihr es euch viel zu leicht. Es gibt ja auch zum Beispiel „die Rothaarigen” nicht. Es gibt „Die Frauengruppe XY” nicht. Wenn ich eine Blondine unfreundlich finde, dann schließe ich nicht auf alle anderen Blondinen. Der Fritzl war auch ein „gläubiger Christ”, der hatte aber 24 Jahre lang seine Tochter im Keller vergewaltigt. Muss ich mich jetzt vor jeden männlichen Christen in Österreich hüten, oder eine Distanzierung von allen gläubigen Christen erwarten?
Hass bringt uns nicht weiter
Und wann hat uns Hass in der Geschichte jemals weitergebracht? Wieso versuchen wir es nicht mit Zusammenhalt und gesunder menschlicher Neugier? Wieso trauen wir dem Termini der Medien, die nur bei ausländischen Muslimen Herkunft und Religion erwähnen? Wieso klopfen wir nicht beim türkischen Nachbarn an und fragen nach einem Teller Baklava?
Jede Art von Zwang, vor allem dann, wenn es um den weiblichen Körper geht, muss bekämpft werden, das gilt auch für die Bevormundung durch Frauen, die White Privilege genießen und alle anderen bemuttern und zwangsretten wollen, weil sie „so etwas niemals freiwillig tragen/tun würden”. Leiste deinen Teil doch anders, indem du nicht über „DIE” Muslima urteilst, weil du ein oder zwei Verse im Koran gelesen hast und dich dadurch in deiner Weiblichkeit attackiert gefühlt hast. Der Koran sowie alle anderen Religionsbücher, lesen sich nämlich ziemlich ähnlich und das Kopftuch ist keine Erfindung des Islam.
Es sind auch nicht Religionen daran schuld, dass Menschen einander bekämpfen, oder in die Luft jagen, sondern Menschen selbst entscheiden sich dazu- oder dagegen. Mit einem Messer kann ich einen Obstsalat schneiden, oder aber jemanden umbringen. Nicht das Messer entscheidet, sondern ich. Ich alleine wache jeden Tag auf und entscheide mich dazu, ob ich nun ein Arschloch sein möchte oder nicht. So können wir uns zwar vorstellen, dass ab morgen keine mehr ein Kopftuch trägt – und viele nehmen es auch tatsächlich ab, weil sie sich der diskriminierenden Blicke nicht mehr hingeben wollen, oder dadurch vielleicht eine bessere Jobchance erhoffen – aber im Kopf der Menschen ändert sich dadurch nichts.
Das Kopftuch für die Karriere ablegen?
Hierzu eine Anekdote dazu, was passieren kann, wenn du aufgrund anderer dein Kopftuch abnimmst. Ich habe eine Freundin in Paris, die in der Marketingabteilung einer großen Firma arbeitet. Sie und ihre Kollegin haben marokkanische Wurzeln, sind aber beide in Frankreich geboren und aufgewachsen. Meine Freundin trug ein Kopftuch, ihre Kollegin nicht, aber sie beide sind gläubige Musliminnen. Noch dazu sieht ihre Kollegin europäisch aus und hat nicht wie wir, die „Tschuschenkarte” gezogen, wenn es um das Aussehen geht. Beide sind selbstständige, ambitionierte Frauen, die eine gute
Position in einer Firma haben, beide in der Marketingabteilung. Soweit,
so gut.
Eines Tages rief der Boss meiner Freundin sie zu einem Gespräch und erklärte ihr, dass er in einer Entscheidung zwischen ihr und ihrer Kollegin schwankt. Es gehe um eine höhere Position und er wisse einfach nicht, für welche er sich entscheiden sollte. Es würde ihm aber helfen, würde sie das Kopftuch abnehmen, denn er wolle seine Marketingbeauftragte „herzeigen” können und andere Firmen mit dem Kopftuch nicht abschrecken, immerhin finde er, dass sie die bessere Arbeit liefere. Sie ging nach Hause, überlegte lange und nahm es dann tatsächlich für diese Stelle ab.
„Ich habe mir das jahrelang erarbeitet und werde es mir nicht vom Kopftuch nehmen lassen. Ich werde es später wieder tragen, wenn ich selbstständig bin.” So dachte sie und ging ohne Kopftuch zur Arbeit. Wochen später wurde die neue Abteilungsleiterin der Marketingabteilung ernannt – es war die andere. Als meine Freundin ihren Chef zu Rede stellte, sagte er: „Ich habe nie gesagt, Sie müssen es ablegen und Ihnen auch keine Stelle versprochen. Aber hätte ich vorher gewusst, dass Sie so leicht auf Ihre Prinzipien verzichten würden, hätte ich das früher gesagt.”
Dabei war es für sie nicht leicht auf ihre Prinzipien zu verzichten, sie dachte, man würde sie so eher akzeptieren, sie wäre nun als integrierter angesehen, wenn ihre Prinzipien ihr nicht im Weg stünden. Deshalb hat sie auf diese verzichtet und wurde trotzdem – oder gerade deswegen – nicht mehr respektiert, sondern als Heuchlerin dargestellt.
Der Islam ist nicht frauenfeindlich
„Aber Menerva, du unterstützt mit dem Kopftuch eine Ideologie, die frauenfeindlich ist.”, Oh please, give me a Break! „Und wen unterstützt du? Michael Kors? Für wen hungerst du und kotzt dich nach jeder Mahlzeit aus Welchem Modediktat unterliegst du, Leggings und Messy Bun?” Wären das nicht auch gemeine Unterstellungen von mir?
Diese von euch kritisierte Ideologie ist die einzige, die uns Frauen erlaubt, uns scheiden zu lassen und uns mit den Männern gleichstellt. Ja, das ist für heute kein relevantes Thema mehr, aber damals, vor 1500 Jahren, war das sehr wohl fortschrittlich. Ich zitiere hier gerne die Arabistin und Islamwissenschaftlerin Angelika Neuwirth, die Folgendes im Bezug auf Frauenrechte im Koran sagt (ihre Forschung ist darauf fokussiert):
„Natürlich ist der Koran kein Nachschlagwerk für soziales Verhalten. Weite Kreise gehen heute davon aus, dass man alle Normen des Islam bereits im Koran finden kann. So war der Koran aber nicht gedacht. Es wandte sich als Verkündigung an Leute, die andere Normen kannten und bereit waren, diese Normen Infrage zu stellen. Der Koran bildet Verhandlungen über verschiedene Normen ab. Dass man die relativ wenigen rechtlich relevanten Anweisungen dann systematisiert und zu einem Teil des islamischen Normenkanons, der Scharia gemacht hat, ist eine andere Sache. Die spätere Rechtsliteratur reflektiert nicht dieselben Verhältnisse wie der Koran. Das zeigt sich besonders deutlich am Bild der Frau, das ja in der islamischen Rechtsliteratur ganz anders aussieht als im Koran. Gerade hier markiert der Koran einen revolutionären Fortschritt: Er stellt die Frau vor Gott auf gleiche Ebene mit dem Mann, was zur damaligen Zeit einmalig ist. Beide Geschlechter werden im jüngsten Gericht auf dieselbe Weise beurteilt. Das klingt von heute aus betrachtet vielleicht irrelevant, aber das ist es nicht. Zur damaligen Zeit war die Gleichstellung der Frau mit dem Mann noch ganz undenkbar – es gab sogar noch Diskussionen darüber, ob die Frau überhaupt eine Seele habe. Die Frau wurde sehr ambivalent beurteilt und ihr Rechtsstatus war in vielen vorislamischen Gesellschaften ausgesprochen ungünstig. Der Koran rückt die Frau auch in wichtigen weltlichen Dingen auf die gleiche Ebene mit dem Mann, sie besitzt Rechte und kann sogar erben, ist also keineswegs entmündigt.”
Religion und Feminismus schließen einander nicht aus!
Es gibt nicht nur muslimische, sondern auch christliche und jüdische
Feministinnen, die gläubig in der Religion und feministisch im Leben
sind. Erst letztes Jahr durfte ich mit Gabriele Kienesberger, Julia
Kaldori und Brigitte Hornyik in einer Runde sitzen und über Gott, die
Welt und Religion diskutieren. Da saßen also eine Christin, eine Jüdin,
eine Muslima und eine Atheistin zusammen und hatten nichts füreinander
übrig, als puren Respekt und lautes Gelächter – so kann es also auch gehen, wenn ich den Menschen in seiner Würde anerkenne. Ich muss nicht verstehen, wieso, wer wie lebt, aber ich muss es respektieren. „Für sie passt es so und sie scheint mehr als glücklich damit zu sein. Es hat mit meiner Weltanschauung nicht viel zu tun, ABER solang es wen anderen glücklich macht, wieso nicht?!”
Falls es jemanden wirklich interessiert, wie gläubige Feministinnen argumentieren, dem empfehle ich das Buch „Faithfully Feminist” aus der Serie „I speak for myself”. Da schreiben Frauen aus mehreren Religionen über ihre Sicht auf die Dinge und warum es so etwas wie „den” Feminismus nicht gibt. Er ist bunt, er hat viele Geschichten, unzählige Gesichter und ist nicht nur Frauensache. Und jetzt überlege einmal, wie eintönig und unglaubwürdig er wäre, wenn er nur aus weißen, atheistischen Frauen bestünde, die für das Binnen-I kämpfen? Da fällt mir ein Zitat von Christine Nöstlinger ein: „Ein Binnen-I ist a bisserl wenig.”
Feminismus ist für alle da
Wieso setzen wir uns nicht gemeinsam für Gleichberechtigung beim Lohn ein? Wieso wird das von vielen einfach hingenommen? Wieso wird die maskuline Überlegenheit hier so oft nicht kommentiert, sondern nur dann, wenn es um den ach so bösen Muslim geht? Feminismus heißt Gleichberechtigung, aber vor allem Selbstbestimmung. Ich kann selbst bestimmen, ob ich heute nackt, oder eben mit Kopftuch auf die Straße gehe. Nacktheit ist schön, natürlich und kein Gegensatz zum Kopftuch, denn auch jede Kopftuchträgerin hat einen stinknormalen Körper und wurde, wie alle anderen Menschen, nackt geboren. Wir sind uns ähnlicher als wir denken und es wäre schön, wenn wir einiges teilen könnten, auch dann, wenn wir nicht über alle Themen gleich denken.
Ist der Feminismus nicht das Ziel und das seelische Zuhause für ALLE Frauen? Warum spielen dann einige den bösen Türsteher, der nicht alle hereinlassen will? It´s your Home and it´s my Home. Ich würde gerne all meine Schwestern zusammen sehen und zwar vereint. Eine für alle und alle für eine – so und nicht anders. Unabhängig von Religion, Hautfarbe, Herkunft und Sexualität. Was bringt Feminismus, wenn wir nicht füreinander einstehen, einander die Hände reichen und die Herzen öffnen?
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