Conny Runge ist querschnittgelähmt und berät ähnlich Betroffene rund um das Thema Sex und Orgasmus. Mit unserem Partner IGP-Magazin hat sie über dieses Thema gesprochen.
Auf den Genuss kommt es an
Conny Runge sitzt seit ihrem 19. Lebensjahr wegen eines Unfalls im Rollstuhl. Heute berät sie Menschen mit Querschnittlähmung in Sachen Sex. Dem IGP-Magazin erzählt sie, wie sie zu dem Job kam, wie sich ihr Orgasmus durch die Querschnittlähmung verändert hat und was das Thema Inkontinenz im Bett zu suchen hat.
Sie arbeiten seit gut 15 Jahren als Sexualberaterin. Wie kamen Sie mit Mitte 20 darauf?
„Nach meinem Unfall war ich zum ersten Mal in meinem Leben beim Urologen. Er zog sich die Handschuhe über, steckte seine Finger in mich rein und fragte: ‚Spüren Sie was?‘ Als ich meinte ‚Nö‘, sagte er nur: ‚Na ja, Kinder können Sie trotzdem noch bekommen.‘ Das war meine gesamte Sexualberatung. Ein paar Jahre später fragte mich ein Bekannter – ebenfalls ein Rollstuhlfahrer –, ob ich ihn in der Sexualberatung unterstützen wolle und ich sagte sofort ja.”
Warum mussten Sie denn zum Urologen?
„Durch die Querschnittlähmung konnte ich meinen Magen-Darm-Trakt nicht mehr kontrollieren. Die Urodynamik (Blasendruckmessung) und der damit verbundene Gang zum Urologen gehören für frisch verletzte Querschnittgelähmte daher zur Basisversorgung. Oft checkt der Urologe dann nicht nur, wie Darm und Blase funktionieren, sondern übernimmt auch die sexuelle Aufklärung.”
Bei Frauen verlagert sich die Sensibilität oft nach oben
Kathetern und Sex, das klingt nach einem ziemlichen Spagat …
„Ist es auch erst einmal. Uns wird ja von klein auf beigebracht, dass Ausscheidungen etwas Ekliges sind, für das wir uns schämen müssen – und nun steckt man sich plötzlich einen Katheter in Blase und Darm und muss (bei anfänglicher Inkontinenz) Windeln tragen. Sich dabei noch als sexueller Mensch zu fühlen, fällt schon enorm schwer. Beim Sex wird die Kontinenz dann ganz praktisch zur Herausforderung.”
Wie meinen Sie das?
„Ich umarme meinen Partner, wälze mich mit ihm im Bett herum, liege auf ihm – das drückt auf den Bauch. Deshalb ist es wichtig, vor und nach dem Sex die Blase ordentlich zu entleeren. Nach dem Verkehr sollte man außerdem noch seinen Genitalbereich auswaschen, damit man sich keinen Harnwegsinfekt holt.”
Können Sie Ihre Geschlechtsorgane denn noch spüren?
„Ich persönlich spüre noch einen leichten Druck, dann weiß ich zumindest: Er ist jetzt drin. Andere Frauen können hingegen wirklich gar nichts mehr spüren. Bei ihnen verlagert sich die Sensibilität dann oft nach oben. Etwa auf Brustwarzen, Hals oder Nacken. Die Empfindungsfähigkeit von Klitoris und Vagina hängt von der Art der Lähmung ab.”
Männer sind bei der Fortpflanzung im Nachteil
Und was spürt ein querschnittgelähmter Mann?
„Für Männer ist es oft noch schwieriger. Anders als wir Frauen kennen sie nicht so viele erogene Zonen, mit denen sie das, was ihr Penis weniger spürt, kompensieren können. Die Art und Höhe, an der das Rückenmark geschädigt ist, beeinträchtigt außerdem das Stehvermögen. Eine Erektion ohne Hilfsmittel bekommen die meisten tatsächlich nicht mehr hin, oder sie ist sehr kurz.”
Mit Hilfsmittel meinen Sie Viagra.
„Auch. Viagra ist nach wie vor eines der wirkungsvollsten Medikamente. Alternativen sind SKAT-Spritzen (Schwellkörper-Autoinjektionstherapie), Arzneimittel wie Cialis und Levitra, Vakuumpumpen oder sogenannte Elektrostimulatoren. Die kann man sich entweder an den Penis setzen oder in den Darm einführen.”
Warum in den Darm?
„Um die Ejakulation auszulösen. Für Männer mit Querschnittlähmung ist das oft die einzige Möglichkeit, eine Ejakulation zu bewirken, die zur Befruchtung führt. In den Behandlungszentren für Querschnittgelähmte kann man die Elektrostimulatoren testen und sich beraten lassen. Bezogen auf die Fortpflanzung ist das weibliche Geschlecht tatsächlich im Vorteil. Die meisten von uns können ganz normal schwanger werden.”
Und das Kind kommt dann per Kaiserschnitt.
„Früher ja. Mittlerweile gibt es viele spezialisierte Geburtszentren, in denen Frauen das Kind ganz natürlich und mithilfe von Bauchpressen zur Welt bringen können – und das ohne Schmerzen.”
„Ich mag es, wenn er meine Beine berührt“
Gibt es etwas, das Sie in der Beratung besonders häufig gefragt werden?
„Viele befürchten, dass sie durch die Querschnittlähmung keinen Orgasmus mehr bekommen können.”
Ist die Sorge berechtigt?
„Das ist sehr unterschiedlich. Männer und Frauen, die sich auf andere erogene Zonen einlassen, können in der Regel noch Orgasmen erleben – etwa an den Brustwarzen. Mit denen von früher sind die meisten allerdings nicht vergleichbar. Ich persönlich finde das aber auch nicht schlimm. Beim Sex geht es ja nicht nur um diesen einen Punkt, sondern um Genuss.”
Wie ist es, wenn Ihr Freund Sie an den Beinen berührt?
„Ich mag das sehr gerne. Denn auch, wenn ich es nicht spüre, so sind meine Beine doch ein Teil von mir. Schaue ich dabei noch in den Spiegel, ist es fast so, als könnte ich seine Finger spüren. Auch hier spielen Fantasie und Hilfsmittel eine große Rolle.”
Das Original-Interview von Stella Hombach ist bei unserem Kooperationspartner IGP-Magazin erschienen.
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