Klar möchte jeder sein Kind gerne offen und unverkrampft aufklären. Trotzdem kommen die meisten von uns bei einigen Fragen doch ins Stottern. Rike Drust beschreibt in ihrem Buch „Muttergefühle. Zwei“ den Balanceakt zwischen Offenheit und Peinlichkeiten.
Auch die coolsten Eltern dürfen mal rot werden
Kinder sind neugierig. Sie entdecken, wie wahnsinnig gut Schokolade schmeckt, wie viel Spaß es macht in Pfützen zu springen und irgendwo dazwischen entdecken sie auch ihren eigenen Körper. Und mit den Entdeckungen kommen die Fragen. Das ist gesund und wichtig. Eigentlich sollte man als Elternteil heutzutage doch auch locker genug sein, um seinen Kindern vorbehaltlos aufzuklären, ganz ohne Peinlichkeiten.
Und trotzdem gibt es Momente, in denen man von den Fragen der Kinder überrumpelt wird und trotz aller Coolness ins Stottern gerät. Rike Drust hat mit „Muttergefühle. Zwei“ ein selbstironischen und ehrliches Buch über ihr Leben als zweifache Mutter geschrieben. Darin widmet sie sich auch dem Thema Aufklärung. Wir veröffentlichen mit dem Kapitel „Penis! Hahahaha. Penis! Hahahaha.“ einen Auszug aus dem Buch:
Die Arglosigkeit der kindlichen Sexualität
Beim Abendessen erinnerten wir uns an die WM 2006. Der Große fragte, ob er da schon auf der Welt war, und als wir das verneinten, lachte er: „Papa, 2006 war ich in deinem Sack.“ Abgesehen davon, dass unser von Natur aus sehr ungeduldiger Sohn nie im Leben geschafft hätte, zwei Jahre zu warten, bis er endlich loskann, stimmte das natürlich so nicht. Der Mann erklärte: „Da warst du noch nicht in meinem Sack, die Spermien werden immer wieder neu produziert.“ Der Große spekulierte: „Die Frau schießt aus ihrer Scheide Eier in den Penis vom Mann.“ Der Mann: „Andersrum.“ Der Große: „Der Mann steht ganz weit weg von der Frau und schießt mit voller Kraft in die Scheide der Frau.“ Der Mann: „Äh, nee, der Penis wird in die Scheide gesteckt.“ Der Große: „Voll peinlich, wenn man das im Park macht.“ Der Mann: „Macht man ja nicht.“ Hüstel. Der Große: „Das machen nur Cyborgs.“
Dieser Dialog drückt auf großartige Weise das aus, was ich über frühkindliche Sexualität denke. Nämlich erstens, dass Aufklärung immer eine gute Idee ist, vor allem, wenn wir nicht aussterben wollen, und zweitens, dass Kinder an das Thema spielerisch und völlig unbelastet rangehen und wir sie auf keinen Fall davon abhalten sollten.
Nackte Körper faszinieren
Außer vielleicht im Schwimmbad. Bei einem unserer Besuche im Hallenbad, zum Beispiel, stand eins meiner Kinder in der Frauendusche und starrte die Frau neben sich ganz unverblümt und sehr, sehr lange an. Da wäre ich dankbar für ein bisschen mehr Schamgefühl gewesen. Klar, es hat es nicht böse gemeint; es war fasziniert und wollte die Gelegenheit, mal so viele nackte Fremde um sich zu haben, nicht ungenutzt lassen. Trotzdem habe ich ihm an dieser Stelle gesagt, dass es lieber nicht so gucken soll, weil viele Menschen es unangenehm finden, wenn sie angestarrt werden. Die meisten Menschen seien nackt lieber allein, erklärte ich; im Schwimmbad und in der Sauna und überall, wo Menschen gezwungenermaßen nackt zusammen sind, geht es darum, dezent an ihnen vorbeizuschauen. Und weil ich ihm diesen Blick schmackhaft gemacht habe wie eine Superpower, bin ich für die nächsten Besuche im Schwimmbad optimistisch.
Außerdem haben die Kinder ja noch mich und meinen nackten Körper. Die Kleine, die viel lieber nackt ist als ich, interessiert sich besonders dafür. Sie will meine Brüste angucken, auf meinen Po hauen, meine Beine wackeln, während ich auf dem Klo sitze, und natürlich will sie meine Vagina sehen. Sie will vergleichen. Und während wir uns im Badezimmer gegenüberstehen und sie genau guckt, was bei mir anders ist als bei ihr, bete ich zu irgendeiner mächtigen Stelle, dass sie morgen in der Kita lieber wieder die ausgedachte Geschichte von Bobby, der Katze, erzählt als davon, was bei uns untenrum anders ist.
Nicht ohne meine Vorbehalte
Überhaupt könnte ich offener sein. Wenn die Kinder mir freudestrahlend berichten, was sie mit ihren Freunden doktormäßig gespielt haben, will ich das lieber gar nicht wissen. Oder wenn sie in der Badewanne tauchen, um sich untenrum genau sehen zu können. Dann lachen die beiden sich schlapp, und ich habe den größten Stock der Welt im Arsch, und das nicht zum Vergnügen.
Ich sehe nicht zwei Kinder, die sich neugierig etwas genau angucken, das sie nicht so oft zu Gesicht bekommen, sondern ich sehe die Erfahrungen und Nachrichten, die sich in den letzten vierzig Jahren angesammelt haben, und meine eigene Geschichte, in der ich erst spät gelernt habe, so deutlich zu sagen, was ich will und was ich nicht will, dass ich mich selbstbestimmt gefühlt habe. Das wünsche ich mir für meine Tochter erheblich früher, nämlich ungefähr jetzt gleich. Erst recht, weil in Amerika unlängst ein orangefarbener Mann zum Präsidenten gewählt wurde, der sich damit brüstet, Frauen ohne Konsens geküsst und begrapscht zu haben.
Aufklärung heißt Selbstbestimmung
Dazu kommen ja weltweit noch die behämmerten Pickup Artists und ein beträchtlicher Teil der unorangen, unorganisierten männlichen Bevölkerung, die den Wert von Frauen mindestens dreiundzwanzig Prozent unter ihrem eigenen ansiedeln. Also muss meine Tochter umso genauer wissen, dass ihr Nein trotz dieser Idioten auch Nein bedeutet und dass sie später viele Menschen treffen wird, mit denen Küssen und Grapschen Spaß macht, weil alle Beteiligten sich dazu verabredet haben. Und klar sage ich all das meinem Sohn auch, weil auch er Spaß und Respekt vor Neins haben soll.
Was ich mich frage: Wenn Eltern mit ihren Kindern nicht über Lust und den eher emotionalen Part von Körperlichkeit sprechen wollen, wer macht das dann? Der Sexualkundeunterricht? Heißt der hoffentlich inzwischen anders? Oder beschweren sich »besorgte« Eltern, wenn erklärt wird, dass es beim Sex nicht nur um Heterosexualität und Vermehrung geht? Um den Stock aus dem Arsch zu kriegen und die Notwendigkeit zu sehen, mit Kindern darüber zu sprechen, empfehle ich allen das Erinnern an die eigene Kindheit und Jugend sowie das Buch »Untenrum frei« von Margarete Stokowski. Bitte schön.
Selbstverständliche Sexualität
Mein bisheriges Fazit (wobei ich zu bedenken geben möchte, dass wir hoffentlich noch sehr lange nicht in der Phase sind, in der unsere Kinder trotzdem zu früh mit Pornografie aus dem Internet konfrontiert werden): Ich möchte meinen Kindern vermitteln, dass Sexualität selbstverständlich ist und Spaß machen sollte. Deshalb werde ich auch statt rot nur noch Folgendes sagen:
- Steckt euch nichts irgendwo rein.
- Sagt Stopp, wenn ihr etwas nicht wollt.
- Respektiert sofort, wenn jemand anderes Stopp sagt.
Abgesehen von diesen drei Punkten werde ich in allen Gesprächen, in denen es darum geht, woher die Kinder kommen, nicht nur was davon erzählen, dass der Penis in die Scheide kommt, sondern dass dabei Mann und Frau oder Mann und Mann oder Frau und Frau oder Mensch und Mensch besonders schöne Gefühle haben. Und wenn meine Kinder das nicht mehr von der eigenen Mutter hören wollen, dann werde ich dafür sorgen, dass sie keine »Bravo« oder irgend ein angestaubtes Blatt lesen, das Mädchen immer noch empfiehlt, irgendwie zu sein, damit Jungs sie wollen, sondern ihnen Medien, Bücher oder Filme zur Verfügung stellen, die sexuelle Freiheit, Selbstbestimmung, Respekt, Verantwortung und Spaß für alle Beteiligten propagieren.
„Alles geht, was glücklich macht“
Aber noch sprechen wir ja darüber. Und als der Große beim Abendbrot im verschwörerischen Flüsterton gesagt hat, dass die in der Vierten lernen, wie man sext, haben der Mann und ich mit unterdrücktem Kichern von Konsens und schönen Gefühlen erzählt. Und dass Kinder auch im Reagenzglas gemacht werden können oder von Menschen, die kein Liebespaar sind, weil ja zum Beispiel sein Nachbarskumpel auch zwei Mütter hat, die biologisch keine Kinder kriegen können, aber zusammen sind, weil sie sich lieben, womit wir wieder bei Liebe und Lust wären. Und dann spüren wir, dass es auf den ersten Blick vielleicht kompliziert ist, aber auf den zweiten großartig, weil alles geht, was glücklich macht.
Auszug aus: Muttergefühle. Zwei: Neues Kind, neues Glück
304 Seiten, 15,00 € [D] 15,50 € [A] 20,50 CHF
Erschienen am 04. September im C. Bertelsmann Verlag
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