Das Magazin Rolling Pin hat eine Liste mit den „50 besten Köchen Deutschlands“ veröffentlicht – 48 davon weiß und männlich. Die Reaktionen zeigen: die Diskussion über Sexismus in der Gastronomie ist noch lange nicht beendet.
Die Frau in der Küche oder lieber doch nicht?
Die „Frau am Herd“ – das beliebte Bild, um mit konservativem Blick den Aufgabenbereich von Frauen abzustecken. Wie ironisch, dass gerade in den Küchen von Restaurants Frauen so kolossal unterrepräsentiert sind. Der Sexismus kann sich offensichtlich nicht entscheiden, was er eigentlich möchte.
In Deutschland kommt auf zehn 3-Sterne-Köche keine einzige Frau, in der 2-Sterne-Küche wurde Douce Steiner als einzige Frau ausgezeichnet. Dem stehen 41 männliche 2-Sterne-Köche gegenüber. Kann das wirklich die Realität abbilden? Eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, die seit der letzten Woche wieder für Diskussionen sorgt.
Rolling Peinlichkeit
Das Gastro-Magazin Rolling Pin hat eine Liste der 50 besten Köche Deutschlands veröffentlicht, die laut Aussage des Magazins demokratisch gewählt wurden. Die ausgezeichneten Köche sind vor allem eins: männlich und weiß, oder wie es Sophia Giesecke von Refinery29 so treffend schrieb: „Weißwurstparade deluxe“.
Als in den sozialen Medien haufenweise Menschen ihren Frust darüber zum Ausdruck brachten, dass Frauen und People of Colour bei der Wahl der Liste offensichtlich ausgelassen wurden, sperrte Rolling Pin kurzerhand die Nutzerinnen und Nutzer und löschte ihre Kommentare – egal wie konstruktiv Kritik geäußert wurde.
Gutes Social-Media-Management geht anders
Die Seiteninhaber versuchten noch mit wenig stichhaltigen Argumentationen die Situation zu entschärfen. Kochen sei eben immer noch eine Männerdomäne, das würde vor allem an den nicht familientauglichen Arbeitszeiten liegen, hieß es in einem Facebook-Kommentar von Rolling Pin. Man stellte sich nicht der Diskussion, sondern versuchte ungerechte Verhältnisse mit einer „So ist das eben“-Mentalität zu rechtfertigen. Dass kochende Väter genauso unter den Arbeitszeiten leiden, kam bei Rolling Pin anscheinend niemandem in den Sinn.
Eine von jenen, die die Liste des Rolling Pin laut und reichenweitenstark kritisierten, ist Mary Scherpe von Stil in Berlin. Anfang des Jahres hat die Bloggerin gemeinsam mit Ruth Bartlett ein Netzwerk für Frauen aus der Gastronomie gegründet: den Feminist Food Club. Wir haben mit ihr über Sexismus in der Foodbranche und den Rolling-Pin-Eklat gesprochen.
Der Rolling Pin hat vor kurzem seine Liste mit den „50 besten Köchen Deutschlands“ veröffentlicht. Daraufhin gab es einen Aufschrei in den sozialen Netzwerken. Wie hast du die Situation wahrgenommen?
„Für mich hat die Geschichte schon viel früher angefangen. Der eigentliche Stein des Anstoßes war für mich gar nicht direkt diese Liste, sondern dass Rolling Pin mich zu ihrem Food Symposium eingeladen hat. Sie haben das selbst als größtes, neuestes und bestes Food-Symposium Deutschlands beschrieben, hatten aber auf ihrer Speakerliste nicht eine einzige Frau. In den drei vorherigen Veranstaltungen, die Rolling Pin seit 2014 in Österreich veranstaltet hat, gab es übrigens insgesamt nur eine einzige Frau.
Die Antwort auf meine Nachfrage war, dass hinter den Kulissen ein starkes Frauenteam arbeite und es nicht die Absicht gab, keine Frauen als Speaker einzuladen. Es gab aber anscheinend auch nicht die Absicht, eine einzuladen! Dass ein Frauenteam dahinter steht, macht das Ganze nicht besser, sondern eigentlich schlimmer.“
Wie hast du darauf reagiert?
„Zusammen mit Ruth Bartlett, die auch aus dem Food- und Gastrobereich kommt, habe ich im Januar den Feminist Food Club gegründet. Wir haben mittlerweile eine Facebookgruppe mit 500 Frauen, in der ich etwas dazu gepostet habe. Gemeinsam haben wir versucht, Aufmerksamkeit zu generieren. Ganz viele Frauen aus der Berliner Gastroszene haben angefangen, dem Veranstalter E-Mails zu schreiben, um zu fragen, warum keine Frau bei der Veranstaltung spricht. Die Mails wurden einfach nicht beantwortet.
Wenig später kam heraus, dass es nicht nur das Symposium gibt, sondern auch diese Liste geplant war. Es wurde um Nominierungen gebeten, also haben wir angefangen, Köchinnen vorzuschlagen. Jetzt kam die Liste raus und unsere Bemühungen haben gar nichts gebracht. Es ist genau eine Frau, Douce Steiner, auf der Liste. Angeblich haben 5.000 Menschen aus der Gastroszene abgestimmt.“
Darauf habt ihr dann auf Facebook aufmerksam gemacht.
„Genau, ein paar Leute und ich haben dazu etwas gepostet und die Posts haben viel mehr Aufmerksamkeit bekommen als die ersten zum Food-Symposium. Wir haben auf der Seite des Rolling Pin kommentiert und nachgefragt, warum keine Frau dabei ist. Es hat keine Stunde gedauert, bis sie angefangen haben, Kommentare zu löschen, die Leute zu blockieren und zu sperren. Dabei sollte eigentlich jedem klar sein, dass die Entrüstung dadurch eher noch größer wird.
Am nächsten Tag begann der Herausgeber, einige zu kontaktieren, die Kritik an der Liste geäußert hatten. Und zwar ausschließlich die Männer! Einer davon war Hendrik Haase, und diesen hat er eingeladen, mit ihm an einem runden Tisch über Sexismus in der Gastronomie zu diskutieren. Das kann man sich wirklich nicht ausdenken. Außerdem wollte er diese Geschichte groß on- und offline im Heft bringen. Hendrik hat diese Einladung natürlich abgesagt.“
Haben sich auch durch die Liste prämierte Köche geäußert?
„Ja, einer der Köche von der Liste hat sich öffentlich zu Wort gemeldet und gesagt, dass Küchen nun mal eine Männerdomäne waren und sind, und das wohl auch immer bleiben werden. Auch andere Männer und Frauen haben sich geäußert und gesagt, das wäre nur eine Reflexion des Status Quo. Dafür könne der Rolling Pin nichts. Wir waren zu diesem Zeitpunkt immer noch gesperrt.“
Der Herausgeber des Rolling Pin hat inzwischen ein Video mit einer Stellungnahme veröffentlicht.
„Ich habe mir das Video immer noch nicht angesehen. Soweit ich weiß, gibt er sich darin sehr mitleidig, fühlt sich missverstanden und Hetze ausgesetzt. Außerdem erklärt er wohl, dass man nur jene Facebook-Nutzer gesperrt hätte, weil sie beleidigend geäußert hätten. Dabei gibt es zig Screenshots von Kommentaren, von denen keiner in irgendeiner Weise beleidigend ist.“
Hat die Reaktion des Rolling Pin dich überrascht?
„Mich hat von diesen ganzen Sachen eigentlich gar nichts überrascht. Ich kannte diese Argumente, im Prinzip sind das die gleichen ollen Kamellen, die man bei solcher Kritik immer zu hören bekommt.“
Woran liegt es, dass die Gastronomie einfach nicht vom Sexismus loskommt?
„Viele haben diese Argumente einfach fest in ihren Köpfen etabliert: die glauben wirklich, dass es so wenig Frauen in der Küche gibt, weil die Pfannen zu schwer sind, bzw. weil Frauen der anstrengenden Küchenarbeit nicht gewachsen sind. Oder dass sie doch alle Kinder bekommen wollen und der Beruf nicht mit der Mutterrolle vereinbar ist. Die Vereinbarkeit mit der Vaterrolle wird da nie angezweifelt. Ein paar glauben sicher auch, dass den meisten Frauen einfach das gewisse Genie fehlt, um zu den höchsten Rängen aufzusteigen.
Mit diesen Geschichten sind sie in der Branche aufgewachsen, und nutzen sie ja auch in gewisser Weise als Legitimation. Deswegen fällt es ihnen so schwer, das gehen zu lassen. Wenn du Spitzenkoch werden willst, musst du sehr viel dafür opfern. Sie sind durch diese harte Mühle gegangen, haben sich etabliert, und wollen diese Position natürlich nicht gerne aufgeben. Besonders dann nicht wenn der Nachfolger angeblich nicht so viel leisten kann wie sie selbst.“
Wie sollte man deiner Meinung nach an diese Probleme rangehen?
„Also zum einen ist es ja ein Mythos, dass in Küchen nur weiße Männer arbeiten. Die Küche ist immer ein Team, du kannst kein Sterne-Menü alleine kochen. Und diese Teams sind in den seltensten Fällen rein weiß und männlich. Letztendlich profitieren aber nur die Chefköche, die bekommen die Lorbeeren, während sich hinten alle abbuckeln. Ich finde, man sollte das ganze System viel mehr in Frage stellen.
„Ich finde, man sollte das ganze System viel mehr in Frage stellen.“
Man müsste sich fragen: Warum glauben so viele, dass du 80 Stunden die Woche arbeiten musst, um zu Spitzenrängen zu gelangen? Warum ist die Sterne-Gastronomie ein System, dass auf der einen Seite so teuer und so exklusiv ist, dass nur ganz wenige dazu Zugang haben und auf der anderen Seite ist trotzdem zu wenig Geld da, um das Team so aufzustellen, dass ein Angestellter am Tag nur acht Stunden arbeiten muss?
Dazu kommt, dass gerade in den hoch prämierten Läden viele Leute umsonst arbeiten. Wenn du Spitzenkoch werden willst, wird mittlerweile verlangt, dass du das sogenannte „Staging“ absolvierst. Dass heißt, man arbeitet umsonst in einer anderen Küche, um zu lernen. Was wiederum heißt, dass das nur bestimmte Leute machen können, nämlich nur die mit dem entsprechenden finanziellen Background und keinen anderen Abhängigkeiten. Und so sehen die Ränge der Chefköche dann eben auch aus.
„Alle schütteln sich gegenseitig die Hand […] und fühlen sich stark, weil sie das Geld und den Zugang zu dieser Szene haben.“
Dazu kommt die mediale Aufbereitung: Welche Art von Kochen bewerten wir als exzellent? Welche Kriterien haben die Michelin Sterne und Gault Millau Punkte? Warum erzählen die Gastromedien immer wieder so gern die gleichen Geschichten von genialen Starköchen, die der Tomate zu neuen Höchsträngen verhelfen. Und wieso werden so wenig Geschichten darüber erzählt, wo und wie das Essen produziert wird, was der Großteil der Menschen täglich zu sich nimmt. Ich sage nicht, dass die sogenannte Spitzengastronomie nichts Gutes hervorbringt. Aber es ist doch interessant sich dieses komplexe System aus Abhängigkeiten und Anspruchsdenken anzuschauen. Alle schütteln sich gegenseitig die Hand, klopfen sich auf die Schulter und fühlen sich stark, weil sie das Geld und den Zugang zu dieser Szene haben.“
Wie kann man die wenigen Frauen der Branche sichtbarer machen?
„In der Sterneküche selbst gibt es wirklich wenige Frauen und nicht-weiße Männer in Führungspositionen. Aber schauen wir uns die populäre Serie „Chef’s Table“ an, die erst mit der Nase drauf gestoßen werden musste, dass die Leute nicht nur weiße Männer am Herd sehen wollen. Oder eben ein Magazin wie Rolling Pin, das nicht versteht, dass die Leute nicht immer nur die gleichen Geschichten hören wollen. Es geht auch gar nicht darum, nur Frauen zu pushen, sondern genauso nicht-weiße Frauen und Männer. Die Verantwortung liegt da auch klar bei den Medien.
„Es geht nicht darum, nur Frauen zu pushen, sondern genauso nicht-weiße Frauen und Männer.“
Noch spannender ist: Was ist die Rolle der Gäste? In der deutschen Sterne-Küche machen reiche, weiße Männer einen Großteil des Publikums aus. Die sparen nicht wochenlang, um einmal in einem Sterne-Restaurant essen zu gehen. Das gehört da eher zum guten Ton, es ist ein Statussymbol, und die Anzahl der “gegessenen Sterne” ein Abzeichen. Aber wenn wir Restaurants besuchen, von denen wir wissen, dass die Küche von einem ignoranten Sexisten geleitet wird, der den Großteil seiner Mitarbeiter ausbeutet – warum gehen wir da noch hin? Das ist aber kein populäres Argument, sondern wird immer mit „Solange es schmeckt …“ weggewischt.
„Ich kenne viele Köche, deren Albtraum es wäre, in einer rein männlichen Küche zu arbeiten.“
Meine Hoffnung ist vor allem die nächste Generation, die viel mehr Interesse an Diversität hat. Ich kenne viele Köche, deren Albtraum es wäre, in einer rein männlichen und weißen Küche zu arbeiten. Die diese Hierarchien nicht mehr wollen. Wir können sehr lange darüber reden, wie exklusiv dieses System gegenüber Frauen und Nicht-Weißen ist, aber es ist genauso feindlich gegenüber Männern, die nicht das Klischee von Maskulinität verkörpern, und die unter dem Druck des Jobs kaputtgehen.“
Du äußerst dich oft zu Gastro-Sexismus. Wie hast du die Reaktion der Szene beobachtet?
„Was mich frustriert und gleichzeitig fasziniert ist, zu sehen, wie schnell und vehement sich die Front schließt, wenn man Kritik äußert. Ich greife das System an, und sofort werden die Reihen geschlossen, und das Abwehrfeuer beginnt. Da ist es sehr schwer, gehört zu werden oder auch nur eine Diskussion zu beginnen.
Diese ganze Privilegien-Struktur ist eigentlich sehr fragil, aber besetzt von viel Ego. Es zeigt, wie krass viele Männer ihre Privilegien verteidigen und wie wenig Einsicht sie haben, dass sie sich diese nicht erarbeitet haben, sondern sie ihnen zugesprochen wurden, weil wir in einer Gesellschaft leben, die weiße Männer bevorzugt. Es ist schon der Wahnsinn, wie schnell das aber als „natürliche Ordnung“ verklausuliert wird.“
Du selbst arbeitest nicht in der Gastronomie. Woher hast du deine Einblicke?
„Ich arbeite nicht in der Küche oder im Service, aber auf der medialen Seite des Ganzen und kriege so natürlich viel mit. Ich spreche mit vielen Köchinnen, die ihre Geschichten erzählen und oft selber etwas gründen, weil sie keine Lust haben, weiterhin in der Mühle zu arbeiten. Außerdem lese ich sehr viel zu dem Thema. Gerade in den USA gibt es aktuell viele Diskussionen zu Feminismus, Rassismus und Cultural Appropriation in den Restaurants.
„Ich glaube, es gibt keine Frau, die mal in der Gastronomie gearbeitet hat und die keine Geschichte über Belästigung oder Benachteiligung erzählen kann.”
Durch die monatlichen Treffen des Feminist Food Club komme ich natürlich auch immer wieder ins Gespräch mit Frauen, die ihre Geschichte erzählen. Und ich habe früher selbst im Service gearbeitet. Ich glaube, es gibt keine Frau, die mal in der Gastronomie gearbeitet hat und dir keine Geschichte über Belästigung oder Benachteiligung erzählen kann.“
Einerseits sind Frauen in der Spitzengastronomie stark unterrepräsentiert, andererseits wächst ihre Präsenz durch die Eröffnung von Foodblogs, Streetfood-Ständen und Cafés. Wie kommt es zu dieser Parallelität?
„Im Alltag ist es doch so, dass Frauen den Großteil des verzehrten Essens zubereiten. Sobald es allerdings um Speisen geht, die mit Preisen versehen werden, teurer als üblich sind, oder sich in der Nähe der Kunst positionieren, sind es auf einmal Männer, die übernehmen. Die Spitzengastronomie – und damit mein ich jetzt nicht nur die Küchen selbst, sondern das ganze System, das sie stützt – ist eigentlich absurd.
Die interessantesten Gastro-Projekte in Berlin sind aktuell jene, die sich nicht diesem System verschreiben, und die werden eher nicht von weißen Männern gemacht. Denn mal ehrlich, wer von uns geht denn wirklich regelmäßig in Spitzenrestaurants essen.“
Welche Frauen aus der Food-Branche muss man aktuell auf dem Schirm haben?
„Das sind auf jeden Fall zu viele, um sie hier alle zu nennen… Bonanza Coffee, eine der bekanntesten Kaffeeröstereien Berlins wird von Yumi Choi mitgeführt.
Kavita Meelu kam aus London nach Berlin, hat den Street Food Thursday gestartet und damit ganz maßgeblich die Food Szene angetrieben. Dalad Kambhu kam aus New York um das Kin Dee, ein wirklich zeitgemäßes Thai-Restaurant aufzumachen. Im Nobelhart & Schmutzig arbeiten vier Köche, zwei davon sind Frauen. DAS BRUNCH wurde von den Schwestern Sophie and Xenia von Oswald gegründet. Louise Hughes von Spice Spice Baby sollte man kennen, Sophia Hoffmann, Ruth Barry, Laurel Kratochvilla, Ash Lee, Laura Villanueva-Guerra, Aparna Aurora – aber es gibt noch so viel mehr!“
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