In der IT-Branche beteuert man seit Jahren, diverser werden zu wollen. Doch woran hakt es? Eine aktuelle Befragung liefert Antworten, denn sie zeigt, dass junge Frauen bereits beim Einstieg in dieses Berufsfeld massiv mit Diskriminierung und Sexismus konfrontiert sind.
Von Vorurteilen bis hin zu Belästigung
Von mehr als tausend Frauen, die sich auf einen Job in der IT-Branche beworben haben, machten mehr als die Hälfte negative Erfahrungen oder kennen eine Frau, der es so erging – das zeigt eine neue Erhebung von „Girls Who Code“. Die Erfahrungen reichen von Stereotypisierung und Vorurteilen über Diskriminierung bis hin zu Belästigung – egal ob bei einem Startup oder einem großen Unternehmen. Die US-amerikanische Nichtregierungsorganisation „Girls Who Code“ – die sich für Gleichberechtigung im IT-Bereich einsetzt und junge Frauen in der Tech-Industrie fördert – befragte ihre Mitglieder, die aktuell im Studienalter oder älter sind und sich für Praktika oder Jobs in der Branche beworben haben.
Die befragten Frauen erzählen von impliziten wie auch direkt geäußerten Vorurteilen im Bewerbungsgespräch, von Interviewpartner*innen, die ihre Fähigkeiten und Kenntnisse anzweifelten, von der unangenehmen Erfahrung als weibliche Person of Colour einer Gruppe ausschliesslich weißer, männlicher Interviewpartner gegenüberzusitzen, von diskriminierenden oder sexistischen Fragen oder auch von unangebrachten Avancen der Interviewpartner. Die Mehrheit der Frauen, die negative Erfahrungen machten, bemerkten zudem – nicht wirklich verwunderlich – einen starken Mangel an Diversität in der Belegschaft des Unternehmens. Auch das schreckt ab.
Gescheiterter Versuch, Diversität zu leben
Die Ergebnisse der Befragung zeigen, dass die geschlechtsspezifische Diskriminierung im Tech-Bereich bereits Frauen unter 20 Jahren betreffen – dem Moment also, in dem sie gerade erst ins Berufsleben einsteigen und versuchen, in einer noch immer stark männerdominierten Branche Fuß zu fassen, die doch eigentlich so dringend versucht, diverser zu werden. Die Ergebnisse der Befragung machen wütend und zeigen einmal mehr, dass der Weg zur Gleichstellung noch ein weiter ist. Das wirklich Fatale an der Sache ist, dass Frauen diese negativen Signale schon beim Einstieg in den Beruf vermittelt bekommen, wo der Absprung oder die Orientierung hin zu anderen Jobs noch näher liegt, als nach fünf bis zehn Jahren in der Branche, in denen man sich bereits eine Karriere aufgebaut und Erfahrung gesammelt hat.
Kein Wunder also, hat die Tech-Branche so große Schwierigkeiten hat, mehr Frauen für ihre Jobs zu begeistern. Bei „Girls Who Code“ ist man überzeugt, dass es einen direkten Zusammenhang gibt zwischen der Diskriminierung, die Frauen im Bewerbungsprozess erleben und den Belästigungen und der Ablehnung, die sie anschließend im Beruf erfahren. So schreibt die Gründerin und CEO von „Girls Who Code“ Reshma Saujani in der Pressemitteilung zur Befragung: „Wir haben unsere Mädchen und jungen Frauen so weit gebracht – über alle Hürden in der Schule – nur damit sie im Arbeitsleben mit diesem Verhalten konfrontiert werden. Das Schlimmste daran ist jedoch, dass es in einer Industrie passiert, die von sich behauptet, sich für die Gleichstellung der Geschlechter einzusetzen.“
„Man sagte mir, dass ich als Frau weniger verdienen würde als ein Mann“
Aber was haben die Frauen genau erlebt? Hier eine Auswahl an Erzählungen der Umfrageteilnehmerinnen, die von „Girls Who Code“ veröffentlicht wurden. Sie zeigen, dass Sexismus und Diskriminierung im Beruf nunmal immer noch Realität sind – leider nicht nur in der Tech-Branche:
„Weil man mir ansieht, dass ich Muslima bin, wurde ich während des Bewerbungsgesprächs darauf hingewiesen, dass ich ein Visum brauche, dabei bin ich US-Bürgerin.“
„Einer der Gesprächspartner schickte mir ungefragt ein Foto von sich.“
„Ich musste mir anhören, dass ich nicht aussehe wie jemand, die Elektroingenieurin studiert hätte und dann sagte er mir, dass meine ****** hoffentlich nicht im Weg wären, wenn ich mit der Ausrüstung arbeite.“
„Ich wurde gefragt, wie es dazu kommt, dass ich mich fürs Codieren interessiere, weil man sonst kaum Afro-Amerikaner*innen mit diesem Interesse und diesen Qualifikationen kenne. Ich habe mich vorverurteilt und ausgesondert gefühlt – auch weil ich weit und breit keine anderen Afro-Amerikaner*innen im Unternehmen sah.“
„Es ist frustrierend, bei Fachgesprächen nur Männern gegenüberzusitzen. Die Firmen predigen Vielfalt, die sich im Bewerbungsprozess nicht zeigt.“
„Man sagte mir, dass ich als Frau weniger verdienen würde als ein Mann.“
„Als ich mich beim Bewerbungsgespräch vorstellte, wurde ich überrascht angeschaut. Mein Name ist geschlechtsneutral. Dann fragte man mich, ob ich mich verlaufen hätte.“
„Der Interviewer sagte, Frauen wären in nichttechnischen Bereichen besser aufgehoben.“
„Ich musste Fragen beantorten wie: Was macht dich als Mädchen so einzigartig? Wie würdest du auf Belästigung am Arbeitsplatz reagieren?“
„Man kommentierte mein Aussehen und fragte, ob ich eine*n Partner*in habe.“
„Er machte Bemerkungen darüber, was für eine große Sache es sei, dass er mich zum Bewerbungsgespräch eingeladen habe, wo man doch so viele männliche Kandidaten hätte und ich die einzig weibliche Bewerberin sei.“
Diese Erlebnisse zeigen: Wenn sich Entscheider*innen in den Unternehmen wirklich mehr Diversität wünschen, dann müssen sich die über Jahrzehnte gewachsenen Strukturen ändern. Denn wie soll ein diverserer Nachwuchs nachziehen, wenn sich Bewerber*innen weder ernstgenommen, noch willkommen und wohl fühlen.