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Und täglich grüßt die Berufswahl

Eigentlich will ich über die Berufswahl von Frauen schreiben. Ich recherchiere, durchforste meine eigenen Erfahrungen.

Eigentlich will ich über die Berufswahl von Frauen schreiben. Ich recherchiere, durchforste meine eigenen Erfahrungen. Ich will Statistiken anbringen, Männer- und Frauenberufe definieren, den Zusammenhang von Berufswahl und Vergütung aufzeigen. Es gibt viele Artikel zu dem Thema, Neues bieten sie kaum. Ich bin frustriert und überlege, ob ein weiterer Text dazu überhaupt Sinn macht und will das Projekt schon begraben. Doch dann erlebe ich wie Bill Murray in „Und täglich grüßt das Murmeltier“ einen Tag immer wieder und wieder.

Tag 1

Acht Uhr früh. Ich bin in Darmstadt auf der hobit 2016. An drei Tagen informieren sich über 20.000 jungen Menschen über Studien- und Ausbildungsmöglichkeiten. Seit ein paar Jahren liegt der Fokus beim Studium. „Ich will mal Karriere machen!“ und „Wozu mache ich denn sonst Abitur?“ antworten mir die meisten Schülerinnen* auf meine Fragen nach den Gründen für den Studienwunsch. Ich frage weiter, in welche Branche sie* gehen wollen. Die jungen Frauen wollen zu über 90 Prozent „was mit BWL oder Menschen“ machen – trotz den vielen anderen Möglichkeiten, einen Führerschein haben Frauen ja heute schon ab 18 fast alle . Weil es ja ihrem Naturell entspricht. Die Antworten der jungen Männer kann sich die Leserin* denken.

Tag 2

Der Zeiger wechselt von 7.59 Uhr auf acht Uhr. Wieder hobit in Darmstadt. Wieder strömen jungen Menschen auf der Suche nach dem Studien- und Berufsorientierung in den Messebereich. Ich bin optimistisch und rede weiter interessiert mit den Besucherinnen*, in welche Richtung sie denn gehen wollen. Ganz oben in der Hitliste der beliebtesten Studienfächer und Ausbildungsberufe landen bei jungen Mädchen BWL/Bürokauffrau* und „was mit Menschen oder was Soziales“. Bei den jungen Männern dominieren MINT-Fächer. Natürlich. Und BWL. Natürlich.

Tag 3

7.59… Acht Uhr. Darmstadt. hobit. Das Grauen wiederholt sich. Im Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“ testet Bill Murray die Grenzen aus und bringt sich auf verschiedenen Weisen um. Diese Exit-Strategie habe ich leider nicht. Und wieder „BWL oder was mit Menschen“.

Weshalb alle den Einheitsbrei wollen

Drei Tage lang hat die Platte einen Sprung und ich höre immer wieder die gleiche Leier. Das alleine ist schon schlimm. Noch schlimmer sind allerdings die Tatsachen, dass sich scheinbar niemand ersthaft Gedanken darüber macht, was sie* später mal werden möchte und keine* die uniforme Berufswahl in Farge stellt. „BWL und was mit Menschen“ scheint einfach zur Lebenserwartung und -planung zu passen. Und die jungen Frauen werden darin auch noch bestärkt. Medien, Familie, Freunde und die Schule leben es ihnen vor. Frauen machen da in der Regel irgendwas Soziales oder sitzen in einem Büro. Der Verdienst ist da natürlich alles andere als sagenhaft gut. Eine Schülerin meinte ernsthaft, ihre Eltern hätten ihr von einem technischen Fach abgeraten.

Genau in dem Moment erinnere ich mich an meine Abiturzeit. Ich wollte eigentlich Physik studieren. Meine Eltern haben es mir nicht unbedingt ausgeredet, aber Unterstützung sieht anders aus. Anstatt mich zu bestärken, dass ich gut in Mathe bin und mit etwas Nachhilfe darin auch das Studium schaffen würde, kam im besten Fall nichts. Im schlimmsten Fall hörte ich Ratschläge wie: „Willst du nicht eher was für Frauen machen?“ oder „Mach doch was Richtiges wie Bank-/Sozialversicherungs-/Hotelkauffrau.“

Was es braucht, um etwas anderes zu wählen

Ich habe nicht Physik studiert und alle paar Monate bereue ich es. Was hätte ich gebraucht, um mich dafür zu entscheiden? Oder du, liebe Leserin*? Was hast du gelernt oder studiert? Warum hast du dich gerade dafür entschieden? Was hättest du dir gewünscht, um eine andere Entscheidung zu treffen? Für mich persönlich sind mir folgende Sachen eingefallen:

  1. Ein Physiklehrer,* der allen Schülerinnen* interessante Aufgaben stellt und keine „Frauenaufgaben“ verteilt. Mir ist in der achten oder neunten Klasse mal der Kragen deswegen geplatzt. Besser wurde es nicht.
  2. Eine Physiklehrerin*, die mir einfach und verständlich meine Fragen beantwortet. Für zwei Wochen war sie die Vertretung meines alten Physiklehrers. Das hat fürs Abitur gereicht, für alles andere lernte ich sie leider zu spät kennen.
  3. Eine Mathelehrerin*, die auf „Warum ist das so und was bedeutet das?“ ausführlich und verständlich antwortet und die Frage nicht mit einem „Das ist eben so und nun sei ruhig“ abtut.
  4. Eine sinnvolle Berufs- und Studienvorbereitung schon vor dem Abitur, sodass ich mir verschiedene Branchen anschauen kann. Ich hörte immer nur die ewige Leier, ich und meine Klassenkameradinnen* würden ja sowieso alle studieren.
  5. Technischer Unterricht, damit ich mich mal ausprobieren und feststellen kann, ob mir das liegt und Spaß macht.
  6. Mehr männliche Lehrer auch in den angeblichen Frauenfächern und umgedreht.
  7. Klischeebefreite Lehrbücher.
  8. Lehrerinnen* und Eltern ohne geschlechtsspezifische Vorurteile. Schönschrift ist nicht weiblich und auch Jungs können still sitzen. Ebenso wie Mädchen Fußball spielen wollen und auch mal eine Arbeit verhauen dürfen.

Es gibt sicher noch viel mehr, was ich gebraucht hätte und was jungen Menschen heute fehlt, um eine differenzierte Entscheidung jenseits von MINT, BWL oder „was mit Menschen“ zu treffen. Aber es ist ein Teufelskreis. Spätestens in der Schule wird der Werdegang von Frauen und Männern zementiert. Und wie der aussieht, wenn nur Rollenklischees präsentiert werden, sieht man an den Besucherinnen* der hobit. Ich habe nicht das Gefühl, dass sich daran etwas ändern wird. Ich glaube auch nicht, dass dies gesellschaftlich, politisch und wirtschaftlich erwünscht ist.

Bill Murray findet sein Glück in Punxsutawney und bricht aus der ewigen Wiederholung aus. Ich stecke noch immer in der Zeitschleife fest, wenn die Uhr von 7.59 auf acht Uhr wechselt.

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