Die Corona-Krise legt nicht nur das öffentliche, sondern auch das private Leben lahm. Was tun, wenn die Lust kommt?
Trost, Zuversicht, Nähe
Social Distancing, das wird von vielen betont, ist der falsche Begriff. Es müsste vielmehr Physical Distancing heißen, also „körperliche Distanzierung“, denn sozial sind sehr viele von uns derzeit so rührig und verbunden wie lange nicht mehr. Per Skype, WhatsApp, FaceTime, über alle möglichen digitalen Kanäle versorgen wir uns mit dem, was wir zur Stunde besonders brauchen: Trost, Zuversicht, Nähe. Kontakte zu anderen.
Doch klar, ein Telefonat kann vieles – körperliche Nähe ersetzen kann es nicht.
Und so fragen sich vor allem Singles derzeit, wie sie ein Bedürfnis nach körperlicher Nähe – oder schlicht Lust und Geilheit – befriedigen können. Anders gefragt: Sex in Zeiten von Corona, geht da was? Wie auf so vieles, lässt sich allerdings auch auf diese Frage gerade keine ganz einfache Antwort geben. Sie lautet: „Jein, aber so schlimm ist das nicht.“
Zunächst mal die Fakten: Bislang gibt es keinerlei Anzeichen dafür, dass sich das Coronavirus über vaginalen oder analen Geschlechtsverkehr verbreitet. Es verbreitet sich aber über Speichel, zum Beispiel beim Niesen, Husten oder schon beim Sprechen. Sex also ohne Anfassen und Küssen? Ihr merkt, hier kommt der „Nein“-Teil der Antwort her.
Von Sex mit jemandem, der entweder mit Corona infiziert ist oder aber mit einem anderen Menschen mit einer Corona-Infektion Kontakt hatte, ist dringend abzuraten. Gleiches gilt für Sex mit einem Menschen, bei dem sich beides nicht sicher klären lässt.
Wer hingegen mit einem*einer regelmäßigen Sexpartner*in im selben Haushalt zusammenlebt und weder Symptome noch Kontakt mit möglichen Corona-Infizierten hatte, der*die muss sich nichts verkneifen. Sex kann schließlich auch Stress reduzieren – in Zeiten der Krise sicherlich für einige von uns eine feine Sache.
Digital intim werden
Aber auch Singles oder Menschen in Fernbeziehungen müssen sich jetzt nicht auf sexuelle Enthaltsamkeit mit Open End einstellen. Nur weil Casual Sex gerade eine – sorry, wir müssen es so deutlich sagen – extrem verantwortungslose Idee ist, bietet die derzeitige Ausnahmesituation auch Chancen auf neue Erlebnisse.
Paulita Pappel ist Filmemacherin und Kuratorin beim Berliner Porn Film Festival, mit Sex und Kreativität kennt sie sich also bestens aus. Sie meint, nun sei eigentlich die perfekte Zeit, Neues zu entdecken: „Zum Glück steht uns technologisch einiges zur Verfügung. Ich bin ein großer Fan von Sexting, also per Handy mit Text, Bildern und/ oder kurzen Videos intim zu werden. Man kann natürlich auch live Fernsex haben, durch Whatsapp-Video, Skype etc.“
Viele Paare erfahren nach anfänglichem Zögern auch ganz neue Facetten am Gegenüber, denn eine digitale Barriere kann durchaus helfen, eigene Zurückhaltungen zu lockern oder sich zu trauen, sich mal ganz anders darzustellen. Gleiches gilt natürlich auch für Sexting-Partner*innen, mit denen man keine Beziehung hat. Auch mit mehr oder weniger Unbekannten lässt sich, zum Beispiel über Dating-Apps, Sexuelles austauschen. Solange ihr euch nicht bedrängt fühlt und euch mit der Person auch digital sicher fühlt, spricht nichts dagegen.
Zeit für Solosex
Aber klar, auch Selbstbefriedigung lernen derzeit viele vielleicht ganz neu schätzen. Schließlich bringt Solosex die meisten nicht einfach nur zuverlässig zum Höhepunkt, für viele bedeutet er auch ein gestärktes körperliches Wohlbefinden. Viel zu schade, wenn wir Solosex also als halbgare Alternative zum „echten“ Sex abtun. So erklärt Lotte vom Podcast Sex Tapes: „Wenn wir Selbstbefriedigung nicht nur als mangelhaftes Backup ansehen, auf das wir zurückgreifen, wenn gerade keine andere Person Lust auf Sex mit uns hat, können wir uns auch darüber lustvoll austauschen.“
Und selbst, wenn viele eine bewährte Routine beim Solosex haben mögen, gibt es auch hier kreative Möglichkeiten, den Ablauf etwas anders zu gestalten. Sei es, indem ihr anfangt, anders davon zu sprechen, indem ihr andere Toys nutzt oder Geschichten durchspielt. Hier findet ihr Beispiele für verschiedene Ausdrücke für weibliche Masturbation und hier erzählen Menschen in Beziehungen von ihrem Solosex.
Pornos, mal ganz in Ruhe
Aber auch Pornos lassen sich jetzt ganz anders entdecken. Viele User*innen, meint Pappel, würden sich oft einfach schnell durch Porno-Clips durchklicken: „Wo man weiß, ein Orgasmus ist innerhalb 10 Minuten garantiert.“ Dieses Konsumverhalten könnte man jetzt doch ändern, um das Kopfkino zu bereichern: „Vielleicht entdeckt man Neues, eventuell Unerwartetes, was längerfristig zu einem erfüllterem Sexleben führt!“ Es gibt zum Beispiel einige feministische Pornoproduzent*innen, die Videos anbieten, die zum Teil eine Stunde lang sind.
Schließlich gibt es auch viele spannende Sexcasts – also Podcasts, bei denen über Sex geredet wird. Hier findet ihr eine Liste mit Empfehlungen. Sowie hier einen Selbsterfahrungsbericht zu Audio-Porn.
Der Originaltext von Gunda Windmüller ist bei unserem Kooperationspartner ze.tt erschienen. Hier könnt ihr ze.tt auf Facebook folgen.