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Über die Grauzonen der sexuellen Belästigung im Joballtag – wie reagiere ich richtig?

Zum Skandal zu banal, zum Ignorieren zu frustrierend – so oft fällt es uns schwer, mit Belästigungen und verbalen oder körperlichen Übergriffen umzugehen. Es fehlen Strategien im Umgang mit sexueller Belästigungen im Alltag, findet unsere Community-Autorin.

Sexuelle Belästigung fängt im Kleinen an

Die #MeToo-Debatte hat in Deutschland zunächst vergleichsweise wenig Staub aufgewirbelt. Schließlich fiel dann doch der erste Name im deutschen Filmbusiness. Mehrere Schauspielerinnen werfen dem Regisseur Dieter Wedel vor, sie sexuell belästigt zu haben. Einerseits mag dies nur die Spitze des Eisbergs sein, andererseits ist es so wichtig, dass wir auch weiterhin über sexuelle Belästigung sprechen – und zwar in jedweder Form. Sexuelle Belästigung fängt ja meistens im Kleinen an und reicht von zotigen Altherrenwitzen und geht über Blicke bis hin zu unangemessenen Berührungen.

Ohne Frage ist Sexismus also kein Einzelphänomen der Filmindustrie – Fälle von sexueller Belästigung kennt wahrscheinlich auch jede Sachbearbeiterin in deutschen Amtsstuben – vielleicht sogar, ohne sich dessen bewusst zu sein.

Sexuelle Belästigung als solche erkennen

Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass auch unsere frühere Familienministerin Kristina Schröder erst kürzlich in einem Zeit-Interview von nur einer Handvoll verbalen Annäherungen in ihrer 15-jährigen Zeit im Bundestag berichtet, die sie eher als verunglückte Flirtversuche verbucht und nicht als Sexismus. Im gleichen Interview reihen sich allerdings gleichzeitig etliche Beispiele, die sexistisches Verhalten aufzeigen. „Das erleben Sie einfach als junge Frau“, sagt sie in diesem Zusammenhang.

Das finde ich persönlich schade, denn genau das will ich in Zukunft einfach nicht mehr so hinnehmen müssen, dass junge Frauen solche Erfahrungen machen müssen. Und gleichzeitig frage ich mich natürlich: Bin ich jetzt zu zimperlich oder zu prüde oder ist die öffentliche Meinung dazu in Deutschland einfach nicht mehr zeitgemäß?

Immer wieder höre ich in der Debatte um #MeToo Aussagen, die darauf abzielen, dass der Mann sich nun gar nicht mehr trauen kann, ein Kompliment zu machen oder dass gar US-amerikanische Tendenzen drohen, so dass sich beispielsweise ein Mann nun nicht mehr alleine mit einer Frau in den Aufzug stellen darf, um sich hinsichtlich sexueller Belästigung nicht angreifbar zu machen. Hinter dieser Diskussion versteckt sich die Angst, unschuldig bezichtigt zu werden, die – statistisch betrachtet – nicht gerechtfertigt ist.

Was ist überhaupt Sexismus?

Ein ganz großes Missverständnis der Debatte  – und leider auch von Kristina Schröder falsch eingeordnet – ist nämlich, dass Sexismus mit Sex beziehungsweise sexueller Gewalt gleichgesetzt wird. Tatsache ist doch, dass Sexismus als eine breite Palette von Einzelphänomenen bewusster oder unbewusster Diskriminierung auf Basis des Geschlechts zu verstehen ist. Und dazu zählt natürlich auch sexuelle Belästigung verbaler Natur – meistens auch in gefährlicher Kombination mit Macht.

Alles einfach so hinnehmen?

Es scheint mir, dass es 2018 immer noch sozial erwünscht ist, dass wir als Frauen egal welchen Alters – ob nun in der Politik, in der Filmindustrie oder in der Wirtschaft – solche Annäherungen vermeintlich cool und gelassen hinnehmen sollen? So nach dem Motto, das sind doch nur plumpe Flirtversuche oder lüsternes Machogehabe, und da muss man mal darüber hinwegsehen oder einfach drüberstehen? Ich finde das nicht.

Und ich kann es kaum erwarten, dass sich hier endlich eine gesellschaftliche Weiterentwicklung abzeichnet.  Umso mehr freue ich mich, dass die Debatte mit der Golden Globes-Verleihung und Oprah Winfreys Rede einen neuen Schub erfahren hat.

Nun ist ja auch nicht jede von uns mit dem Talent gesegnet, kokett und schlagfertig auf unangemessene Äußerungen mit einer verbalen Gegenattacke reagieren zu können. Mir zumindest gelingt das nur selten und es ärgert mich jedes Mal aufs Neue sowohl im privaten Umfeld und erst recht im Job, unangemessen behandelt zu werden. Und es ist verdammt noch mal ein Verlust an Lebensqualität, ständig ein Auge zudrücken zu müssen oder über gewisse Verhaltensweisen lässig hinwegzusehen, weil man das „nun mal so erlebt als junge Frau“.

Diversity in deutschen Unternehmen: Ein Nice-to-have

Als junge Berufstätige habe ich als Marketing-Fachkraft in einem doch sehr traditionellen und konservativen internationalen Konzern gearbeitet, der sich angesichts des War for Talents für weibliche Fach- und Führungskräfte stark machte. In der Unternehmenskommunikation wurden Werte rund um Diversity demzufolge sehr ernst genommen.

Die Realität zeigt aber gleichzeitig, dass gerade bei so großen und schwerfälligen Unternehmen ein solcher Kulturwandel leider nicht über Nacht passiert. Nach meiner Erfahrung waren sämtliche Diversity-Bestrebungen des
Personalvorstands zwar aufgrund des Fachkräftemangels erforderlich und selbstverständlich sozial erwünscht, – sie sickerten allerdings nur
sehr schleppend – wenn überhaupt – zur Basis durch. Der ganz normale Alltags-Sexismus saß und sitzt immer noch tief in der Unternehmenskultur fest und lässt sich nach wie vor nicht mit durchdachten Personalmarketing-Kampagnen weglächeln. Auch mein beruflicher Alltag als streckenweise einzige Frau im Team sprach eine komplett andere Sprache. Zotige Sprüche der älteren Kollegen, sexistische Annäherungen vor allem verbaler, aber auch nonverbaler Natur waren an der Tagesordnung und fielen stets in eine gewisse Grauzone –  zum Skandal zu banal, zum Ignorieren zu frustrierend.

Wo fängt es an – wo hört es auf?

In diese Grauzone gehören zum Beispiel auch unangenehm taxierende Blicke so mancher Kollegen, die die jungen Kolleginnen übertrieben auffällig von oben bis unten taxierten – in einer Art und Weise, dass mir als Betroffene schon kotzübel wurde. Und in diesem Zusammenhang verhält es sich genauso wie in der Debatte um sexuellen Missbrauch. Es ist nicht meine Verantwortung, wenn ich gerne einen Rock oder ein körperbetontes Outfit trage. Es ist niemals eine Einladung für eine entwürdigende Fleischbeschau. Ein taxierender Blick, der einen regelrecht auszieht, fühlt sich einfach nicht nach einem Kompliment oder einer wertschätzenden Geste an. Es geht hier vermeintlich um Nuancen, aber sie machen einen gewaltigen Unterschied.

Und genau diese feinen Zwischenstufen machen das Thema so schwierig und das sexistische Verhalten zur rechtlichen Grauzone. Ich kann ja niemandem den Blick verbieten. Nur ein Beispiel für den Sexismus in deutschen Traditionskonzernen, in denen mir auch die Gleichstellungsbeauftragte des so zukunftsorientierten Unternehmens keinen zufriedenstellenden Rat geben konnte. Fakt ist, dass die Jobsituationen mit sexistischen Tendenzen keine Besonderheit darstellten, sondern fast jedes einzelne Meeting durchdrungen hatten und von einem veralteten Rollenverständnis geprägt waren.

Vielmehr müsste ich mich fragen: „In welcher Situation gab es mal wirklich ein Meeting auf Augenhöhe?“ oder „Wann hatte ich zuletzt das Gefühl, in einem modernen und von Gleichberechtigung geprägtem Unternehmen zu arbeiten?“ Äußerst selten – wenn überhaupt.

Amüsierdame oder professionelle Ansprechpartnerin

Ich erinnere mich auch noch gut an die Einladung unserer Geschäftskunden zum jährlichen Oktoberfest. Quasi als Belohnung für ihre Treue waren die größten Kunden der Einladung zu diesem Rundum-Sorglos-Event gefolgt. Im Trubel der feiernden Massen wies unser Chef mich und die andere weibliche Kollegin mit folgenden Worten an: „Eine Frau an jeden Tisch“.  Auf den Bierbänken der Tische drängten sich die inzwischen stark alkoholisierten Herren und tanzten dort auf engstem Raum. In unserem hart umkämpften Markt waren natürlich nur die A-Kunden eingeladen, die sich sehr wohl ihres Einflusses bewusst waren. In dieser Situation fühlte ich mich als junge Frau den zumeist älteren Herren wie zum Fraß vorgeworfen.

Selten habe ich mich so ausgeliefert gefühlt und konnte kaum richtig einordnen, inwiefern die vom Chef angeordnete Bespaßung unserer Kunden nun zu meiner beruflichen Pflichterfüllung gehörte oder ob das nun schon in sexistischer Hinsicht grenzwertig war. Versteht mich bitte nicht falsch – ich liebe es zu tanzen – auch gerne ausgelassen. Aber es macht einfach einen Unterschied, ob ich privat auf das Oktoberfest gehe und dort frei entscheiden kann, mit wem ich Seite an Seite tanze und genauso frei wählen kann, die Situation zu verlassen, wenn es mir zu viel wird. Wenn das Oktoberfest allerdings ein Goodie für einflussreiche Kunden ist, besteht automatisch eine Abhängigkeit und ein Machtungleichgewicht, das einen idealen Nährboden für sexuelle Übergriffe darstellt.

Bis heute weiß ich nicht, wie ich an dieser Stelle richtig hätte reagieren können. Oder einfach alles nicht so bierernst nehmen?

Für solche Situationen hätte ich mir eine starke Mentorin oder eine Kollegin als Vorbild gewünscht, an der ich mich hätte orientieren können. Am besten natürlich einen Chef, der eine solche Situation niemals entstehen lassen hätte. Oder einfach praktische Handlungsempfehlungen für den Alltag. Noch heute weiß ich nicht, wie man es vielleicht erst gar nicht so weit kommen lassen kann. Immerhin habe ich in weiser Voraussicht sogar auf das mir nahegelegte Dirndl verzichtet – obwohl ich eines gehabt hätte.

Schließlich habe ich das Spektakel recht früh – mit dem Gefühl, eine Spielverderberin zu sein – verlassen. Es gab zum Glück auch
keine nennenswerten Zwischenfälle. Aber ein unangenehmer Beigeschmack bleibt. Das Oktoberfest-Beispiel ist mein persönliches Lowlight, das zeigt, wie
Sexismus im Joballtag in Kombination mit Macht- und Abhängigkeitsstrukturen befeuert wird.

Auf den gesellschaftlichen Rahmen kommt es an

Gerade im Angestelltenverhältnis – oder nennen wir es im allgemeinen Machtgefüge – ist der Handlungsspielraum für diplomatische Reaktionen recht begrenzt. Während ich mich in gewöhnlichen Alltagssituationen ganz frei Schnauze und ohne Rücksicht auf Etikette wehren oder einfach die Situation verlassen kann, bin ich als Berufstätige im Job oftmals in Abhängigkeit – sei es die Abhängigkeit von kollegialer Unterstützung durch Wissen, Know-how, Netzwerke oder schlicht und ergreifend hierarchische Systeme.
Es macht eben schon einen Unterschied, ob ich mich privat dazu entschließe, mich im Dirndl und der damit verbundenen körperlichen und mentalen Freizügigkeit auf dem Oktoberfest zu amüsieren oder für sämtliche Kollegen und Kunden das Amüsiermädchen zu mimen.

Fehlende Strategien für den Alltag

So, nun frage ich mich – was können wir alle dazu beitragen, dass dieser Sexismus aufhört? Was hätte ich besser machen können? Muss ich tatsächlich erst mal ein Schlagfertigkeits-Training absolvieren? Muss ich hellhörig werden, wenn es mit der Firma zum Oktoberfest geht? An wem kann ich mich orientieren?

Wie kann ich ein Vorbild für meine Töchter sein, wenn mich solche vermeintlich einfache Situationen schon ohnmächtig beziehungsweise sprachlos werden lassen? Welche Werte können wir unseren Kindern vermitteln?

Erst kürzlich wurden Bundestagspolitiker im Rahmen einer WDR-Docupy gefragt, wann sie zuletzt einen Mann auf sein sexistisches Verhalten angesprochen haben. Interessante Fragestellung, dachte ich. Natürlich sind wir dabei alle gefragt. Nicht nur wir Frauen müssen aktiv werden – auch auf die Gefahr hin als prüde oder frigide abgestempelt zu werden. Auch Männer sind gefordert, sexistisches Verhalten kritisch beziehungsweise überhaupt zur Sprache zu bringen. Vorgesetzte sind auch verantwortlich, ein Klima zu schaffen, das sexistisches Verhalten disqualifiziert. Natürlich ist Sexismus ja auch kein alleiniges Frauenproblem, wenn sie statistisch betrachtet auch eher betroffen sind.

Ich freue mich, dass die Debatte dazu nun neuen Aufwind bekommt. Aus #MeToo wurde #TimesUp und die weiblichen und männlichen Größen Hollywoods trugen jüngst alle Schwarz bei den Golden Globes, um ihren doch eher stummen Protest zu bekunden. Doch wie geht es jetzt weiter? Was ändert sich damit?

Wie viel Ausschlag wird der „Oprah-Effekt“ nach ihrer fulminanten Rede bei den Golden Globes für uns in Deutschland haben? Wird sich irgendetwas für uns Frauen ändern? Es ist großartig, dass eine Persönlichkeit mit einer Strahlkraft wie Oprah Winfrey sie nur hat, so eine ermutigende Rede hält, die die Massen zu Tränen rührt. Ich wünsche mir mehr Vorbilder wie sie – auch in Deutschland.

Und ich wünsche mir für unseren beiden Töchter, dass sie in einer Gesellschaft aufwachsen werden, in der sie sehr viel weniger sexuelle Belästigung hinnehmen müssen als meine Generation es noch musste. Und vor allem, dass sie lernen, wie sie damit umgehen.

Ich befürchte aber, es wird noch ein langer Weg sein bis zu einer solchen Gesellschaft. Aber zumindest gibt es keinen Stillstand. Es bewegt sich was. Das ist schon mal ein gutes Zeichen.

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