In ihrer Kolumne „Familie und Gedöns“ schreibt Lisa über alles, womit sich Eltern so beschäftigen (müssen), diesmal: Um die Nachrichten kümmert sich der Mann!
Nachrichtenmagazine: eher keine Stimmungsaufheller
Neulich sah ich mir eine Podiumsdiskussion an, die vom „Spiegel“ veranstaltet wurde. Während des anschließenden Publikumsgespräch bedauerte die „Spiegel“-Journalistin, die das Panel moderiert hatte, dass es für den „Spiegel“ weiterhin sehr schwierig sei, mehr Frauen dazu zu kriegen, das Heft zu lesen.
Ich hätte nach Lektüre dieser Studienergebnisse ein paar schlaue Hinweise, woran das liegen könnte: Nun, also: Die Lektüre des „Spiegel“ ist nicht wirklich dazu geeignet, den Strapazen des eigenen, mal anstrengenden, mal tristen, oft redundanten Alltags zu entfliehen, als Stimmungsaufheller dient sie auch nicht unbedingt. Aber nach all dem sehnt sich anscheinend mindestens die ein oder andere Frau, die angesichts ihrer Belastungen, Stichworte: „Emotional Labour“ und Care-Arbeit, nicht mehr weiß, wo ihr der Kopf steht; von der es also womöglich zu viel verlangt wäre, dann auch noch den „Spiegel“ lesen zu müssen!
Im Literaturbetrieb gibt es das Phänomen der „Frauenliteratur“, ich habe vor einiger Zeit mit mehreren Frauen aus der Branche darüber gesprochen: ein eigenes Genre, von Frauen für Frauen, das sich vor allem mit Gedöns beschäftigt, Herz-Schmerz, Happy End, Mars-Venus und all sowas. „Die ultimativen Zutaten für diese Romane sind: Figurprobleme, Shopping und der alles überstrahlende Wunsch nach dem richtigen Typen“, sagte die Schriftstellerin Jackie Thomae. Ganz pauschal vereinfacht: Sowas lesen viele Frauen total gerne, um in einer anderen Welt zu versinken und Ablenkung von der Welt da draußen zu finden, während Männer beherzt zum politischen Sachbuch greifen. Eskapismus versus Informiertheit.
Energien sparen statt Nachrichtenkonsum
Beim Thema Literatur ist die Studienlage ganz gut, ein Klassiker darunter ist diese Studie von Janice Radway, die zu eben jenem Ergebnis kam, dass Frauen gern Schmonzettenliteratur lesen, die für sie einen Ausweg darstellt, den Strapazen von „Emotional Labour“ und Care-Arbeit zumindest im Fiktionalen zu entfliehen.
Die Professorin Ruth Palmer und der Professor Benjamin Toff haben sich nun vor einigen Monaten an ein ähnliches Phänomen herangetastet: Es scheint, dass Frauen weniger Nachrichten konsumieren als Männer, weil in der Regel immer noch sie es sind, die sich ihre Energien für besagte „Emotional Labour“ und Care-Arbeit aufsparen müssen.
Für ihre Studie befragten die beiden Forscher*innen Frauen aus britischen Haushalten mit niedrigem und mittlerem Einkommen. „Wir wollten gezielt die Ansichten von Leuten mit begrenzten sozialen und wirtschaftlichen Ressourcen in den Blick nehmen, weil wir davon ausgingen, dass Klasse tief verflochten ist mit Mustern des Nachrichtenkonsums oder eben der Nachrichten-Vermeidung“, schreiben die beiden.
Informationssuche auslagern
Sie stellten eine klare Aufteilung der Aufgaben fest, die eine „Gender Gap in der Frage des Nachrichtenkonsums“ aufrechterhalte: Während die Frauen damit rangen, ihren Job und die Kinderbetreuung zu vereinbaren, fiel der Konsum von Nachrichten völlig unter den Tisch, beziehungsweise wurde auf den Partner oder andere Familienmitglieder „ausgelagert“.
Die Erkenntnisse dieser kleinen Studie, die natürlich nur einen kleinen Ausschnitt eines riesigen Feldes darstellen, könnten ein bisschen auf die Sprünge helfen bei der Frage, was man denn in der Medienbranche alles anstellen könnte, um mehr Leserinnen, Radiohörerinnen, Zuschauerinnen zu gewinnen? Denn welchen Grund hat es, dass viele der befragten Frauen fanden, dieses ganze Nachrichten-Zeugs sei eher was für die Männer, die hätten ja ständig irgendwelche Zeitungen rumliegen und würden dauernd über Politik streiten? Hier muss sicher immer wieder die Frage gestellt werden, wie tief verwurzelt ein Sexismus im Journalismus immer noch ist, der die Frage, was denn überhaupt relevant und berichtenswert sei, vor allem aus einer männlichen Perspektive beantwortet.
Irgendwo muss man ja Abstriche machen?
In ihrer Studie fanden die Professor*innen heraus, dass vor allem Frauen mit eher niedrigem Bildungsgrad den Nachrichtenkonsum, das „Informiertsein“, gern an ihrer männlichen Partner auslagerten. Frei nach dem Motto: Wenn was richtig Krasses passiert, dann wird er es mir schon erzählen.
Viele Teilnehmerinnen der Studie hatten das Gefühl, freier zu sein für ihre „Kernaufgaben“ – Kinderbetreuung, Haushalt (Stichwort: Mental Load), wenn sie das Thema Nachrichtenkonsum auslagern konnten. Weitere Aspekte, die genannt wurden: Die Kinder sollten nicht mit der Nachrichtenlage konfrontiert werden, außerdem das Gefühl, bei dem ganzen Riesenchaos an Kinderbetreuung und Organisation einfach keine Zeit, keine Ressourcen mehr zu haben. Auch mir (und als Journalistin hat man ja geradezu eine Verpflichtung zum Informiertsein) schießt regelmäßig der Gedanke durchs Hirn: Ogott, ich kriege einfach GAR NICHTS MEHR MIT, wenn sich gefühlt die ganze Welt darüber unterhält, was Trump gerade schon wieder angestellt und ich es einfach nicht mitbekommen habe.
Wenn Nachrichten von den Befragten der Studie als wichtig empfunden wurden, dann waren das übrigens immer Nachrichten, die mit ihrem persönlichen Umfeld zu tun hatten: Meldungen, die die Schule der Kinder betrafen, ein Verbrechen in der eigenen Nachbarschaft, und andere Themen, die mit ihrem Leben oder dem ihrer Familie in direkter Verbindung standen.
Das alles deutet in eine problematische Richtung: Gerade Frauen, die für wichtige Themen eine große Lobby bräuchten, und Freiraum, um sich zu informieren und diese Lobby zu schaffen, können dieses Engagement oft nicht leisten: Weil sie zu erschöpft sind, weil sie kleine Kinder haben, weil neben Job und Kindern einfach die Zeit fehlt, sich zu engagieren.
Ein Beispiel: Über dieses Phänomen sprach ich mit der Regisseurin Carola Hauck, als es um die Frage ging, wie man endlich mehr Druck bei der Lösung der massiven Probleme der Geburtshilfe in Deutschland bringen könnte. Frauen, die noch keine Kinder haben, haben das Problem noch nicht auf dem Schirm, und wenn sie es nach dem Kinderkriegen dann womöglich auf dem Schirm haben, dann haben sie außerdem erstmal ein Neugeborenes, dann ein Kleinkind, Kita-Kind, Schulkind und so viel um die Ohren, dass es bei den wenigsten zum Engagement kommt. Hier der Form halber der rein theoretische Einwurf, dass ja auch Männer sich stärker für eine Verbesserung der Geburtshilfe einsetzen könnten. Betrifft ja irgendwie alle.
Nachrichtenvermeidung als strategische Entscheidung
Toss und Palmer schreiben: „Nachrichtenvermeidung scheint eine strategische Entscheidung zu sein, um sowohl emotionale Energie als auch Zeit zu sparen, um die vielen fordernden Aufgaben besser erfüllen zu können, ganz besonders Kinderbetreuung oder die Pflege von Angehörigen.“ Die 50er-Jahre-Rollenaufteilung „Um Nachrichten und Politik kümmern sich die Männer, um den Haushalt die Frauen“ lebt also in vielen Haushalten fröhlich weiter.
Ganz bestimmt geschieht diese „Nachrichtenvermeidung“ sehr oft unterbewusst; und auch der Gedanke „Ich habe hier schon so viel Mist um die Ohren, da ertrag ich das Sterben auf dem Mittelmeer/Krieg in Syrien/usw… nicht auch noch“ ist bestimmt vielen Frauen nicht unbekannt.
Es lässt sich also ein interessanter Schlenker machen: Eine zeitgemäße Familienpolitik, die endlich dazu führt, dass sich Väter und Mütter gleichermaßen zu Hause und im Job engagieren können und wollen, ist auch im Interesse unserer Medienlandschaft: Dann hätten viele Medien womöglich endlich den Zuwachs an Leserinnen, den sie sich wünschen. Und mein Instinkt sagt mir, dass Männer, die in Sachen „Emotional Labour“ und Care-Arbeit endlich einen vernünftigen Anteil übernehmen, nicht alle aufhören, den „Spiegel“ zu kaufen und plötzlich nur noch „Meine Familie & ich“ lesen wollen. Also kein Grund zur Panik!
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