Wenn Mütter beginnen, anderen Müttern das Recht zu entziehen, über Herausforderungen im Familienalltag zu sprechen, hilft das niemandem. Ein Plädoyer für mehr Verständnis untereinander.
Mütter vergleichen sich ständig
„Sorry, aber das ist echt Jammern auf hohem Niveau. Es gibt auch alleinerziehende, mit Vollzeitjob, die das schaffen.” Als ich kurz vor Weihnachten diese Nachricht bei Instagram bekam, war ich erst einmal verdutzt und fragte nach, was genau mit „das” gemeint sei. Die Antwort: Kinder haben und gleichzeitig arbeiten. Im folgenden Nachrichtenaustausch wurde klar: Die Followerin ist der Meinung, dass Frauen in meiner Situation (in Teilzeit arbeitend, nur ein Kind, mit Partner*in) nicht jammern dürften. Ich bin der Meinung: Wenn wir Frauen untereinander nicht aufhören zu vergleichen, wer schlimmer dran ist, werden wir in Sachen Vereinbarkeit und Co. nur schwer vorankommen.
Wie oft bin ich schon über Kommentare gestolpert, in denen Mütter einer anderen Mutter Sachen schreiben wie „Du hast es doch noch gut mit einem Kind, mit zwei oder drei Kindern ist das doch erst ein echtes Problem”. Oder in denen alleinerziehenden Frauen Mütter anklagen, weil diese sich als teilzeit-alleinerziehend bezeichnen, weil ihr Mann innerhalb der Woche auf Dienstreise ist. Ich kann den Impuls zur Kritik zwar nachvollziehen, halte das aber für einen vollkommen sinnlosen Schlagabtausch.
„Meine Situation ist aber schlimmer als deine!”
Im Kern geht es dabei doch immer nur um eins: aufzuzeigen, dass man schlimmer dran ist als die andere. Es ist aber schlicht und ergreifend nicht möglich, das zu vergleichen. Weil objektive Rahmenbedingungen wie verheiratet vs. alleinerziehend, zwei Kinder vs. vier Kinder, auf dem Land leben vs. in der Stadt leben, festangestellt in Teilzeit vs. selbständig in Vollzeit etc. überhaupt nichts darüber aussagen, wie die individuelle Lebenssituation sich für die einzelne Frau darstellt oder anfühlt.
Wer will beurteilen, ob es anstrengender ist, alleinerziehend mit einem vollkommen unauffälligen Kind zu sein oder zwei Kinder mit einem*einer Partner*in großzuziehen, von denen eines chronisch krank ist? Ist die Mutter in Vollzeit, mit einem seit Jahren durchschlafenden Kind, schlechter dran als die Mutter in Teilzeit, die noch immer mindestens dreimal in der Nacht von ihrem Kind gerufen wird? Oder doch umgekehrt?
Wissen wir als Außenstehende, ob die Partner*innenschaft von Eltern tatsächlich immer glücklich ist oder doch eher Kraft und Familienglück kostet, weil man jeden zweiten Tag vor dem Kind lauthals streitet? Ist es in diesem Fall tatsächlich besser, eine*n Partner*in zu haben? Wissen wir, an welchen Schicksalsschlägen aus der Vergangenheit eine Mutter noch zu knabbern hat, ob sie vielleicht gerade eine Fehlgeburt verarbeiten muss oder seit Jahren in einem schlimmen Streit mit ihrem depressiven Bruder verstrickt ist?
Es lohnt sich hinter die Fassade zu schauen
Schaue ich auf meine Situation, so sieht sie auf den ersten Blick auch mühelos und privilegiert aus: verheiratet, ein Kind, Teilzeit. Und ja, damit habe ich wirklich großes Glück. Aber es gibt auch bei mir Rahmenbedingungen, die nicht immer einfach sind, angefangen mit der Patchwork-Konstellation, in der wir leben und die durchaus ihre organisatorischen, emotionalen und finanziellen Tücken hat, selbst wenn sich alle gut verstehen. Oder die Selbständigkeit. Sie ist per se immer mit einem Risiko behaftet und dementsprechend auch in Teilzeit ein Vollzeitthema in meinem Kopf. Dazu kommt dann noch meine permanente Schlaflosigkeit, die am Krafthaushalt zerrt. Und wie wohl bei fast jeder*m gibt es auch beim mir Dinge aus der Vergangenheit, die in mir weiterarbeiten. Was ich deutlich machen will: Jede Mutter hat ihre ganz persönliche Ausgangssituation, die für Außenstehende nicht immer vollständig ersichtlich ist.
Außerdem ist die Resilienz und der Krafthaushalt jedes Menschen – und damit auch jeder Mutter – vollkommen unterschiedlich. Was eine Frau in 24 Stunden zu leisten in der Lage ist, ist hochindividuell. Da gibt es Mütter, die vier Kinder haben, ihren kranken Vater zuhause pflegen, stundenweise arbeiten gehen, nebenbei noch den Familienurlaub planen, Wäsche stets akkurat falten und abends zufrieden bei einem Glas Wein die Füße hochlegen, während andere Mütter mit einem Kind und dem Haushalt schon vollkommen an ihre Grenzen kommen. Wem steht es zu, zu entscheiden, dass die Mutter mit einem Kind über ihr Gefühl von Anstrengung nicht offen reden darf?
Feministische Mutterschaft wird im Keim erstickt
Natürlich verstehe ich, dass man sich vergleicht. Und dass man im Stillen auch mal mit den Augen rollt und denkt „Ach komm schon, so schlimm bist du doch nun echt nicht dran.” Das ist vollkommen menschlich, gerade dann, wenn man auf eine Lebenssituation trifft, die vermeintlich sehr viel angenehmer ist als die eigene. Aber jemanden dafür zu verurteilen oder gar öffentlich, wie in manchen Mama-Shitstorms, anzugreifen – was nutzt das? Das nutzt gar nichts, im Gegenteil, es schadet uns im Kampf um gleichberechtigte Elternschaft und feministische Mutterschaft.
Wenn Mütter sich untereinander verbieten, über ihre Situation zu klagen, müssen wir uns doch nicht wundern, wenn die Kolleg*innen auf der Arbeit mit Sätzen wie „Also meine Nachbarin hat sogar zwei Kinder und schafft es trotzdem, auch mal nachmittags für Meetings in der Firma zu bleiben”, oder der*die eigene Partner*in den Wunsch nach einer privaten Haushaltshilfe mit „Wieso das denn? Meine Schwester bekommt Job, Kind und Haushalt doch auch unter einen Hut” beantwortet.
Mütter wünschen sich mehr gegenseitige Unterstützung
Vor einer Weile wurde der Hashtag #coolmumsdontjudge auf Instagram verbreitet. Ein Firma nutzte ihn für eine Werbekampagne, zu deren Qualität und Sinnhaftigkeit ich nichts sagen kann, weil ich sie nicht im Einzelnen verfolgt habe. Mir fiel der Hashtag aber beim Nachdenken über all das nochmal ein, daher hab ihn gegoogelt und bin über die Auswertung der Umfrage gestolpert, die die webende Firma damals gestartet hat: „86 Prozent der Mütter wünschen sich mehr Toleranz und Unterstützung von Müttern untereinander” war eines der Ergebnisse. Schon recht eindrucksvoll, diese Zahl, oder nicht?
Toleranz und Unterstützung kann aber nur dann entstehen, wenn es gegenseitige Wertschätzung gibt. Wertschätzung für die Leistung aller Mütter, die aktiv das Familienleben gestalten und ihren Möglichkeiten entsprechend ihr Bestes geben. Vergleiche, welche Mutter die schlimmere Situation hat, ersticken das im Keim. Denn: schlimmer geht leider immer.
Also, verpulvern wir unsere Energie nicht dafür, uns untereinander anzuklagen und zu rechtfertigen. Nutzen wir sie lieber, um gemeinsam auf die vielen unterschiedlichen Herausforderungen von Elternschaft und die vielen unterschiedlichen Familienkonstellationen aufmerksam zu machen, damit Politik, Arbeitswelt und gesellschaftliche Stimmung familienfreundlicher werden. Da haben wir dann nämlich alle was von.
Dieser Beitrag ist bereits auf Sandra Lachmanns Blog erschienen. Wir freuen uns, dass sie ihn auch hier veröffentlicht.
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