Karella Easwaran hat seit mehr als 20 Jahren eine Praxis in Köln – ihre Mission: Gestresste Eltern von dem Druck befreien, der heute mit dem Kinderhaben einhergeht. Wir haben mit ihr gesprochen.
Was ist das Geheimnis gesunder Kinder?
Eltern, die nicht einordnen können, dass der der leichte Sprachfehler ihres fünfjährigen Kindes keine Katastrophe ist, sondern völlig normal für die Altersstufe; Eltern, die am Immunsystem ihres Kita-Kindes zweifeln, weil es ständig krank ist – Fälle wie diese, die sich in ihrer Praxis häuften, brachten die Kinderärztin Karella Easwaran zum Nachdenken: Warum, fragte sie sich, wirken Eltern heute viel gestresster und besorgter als noch vor einigen Jahren? Welche gesellschaftlichen Entwicklungen haben dazu beigetragen – und wie kann man helfen, Mut machen, mehr Gelassenheit vermitteln? Letztes Jahr hat sie ein Buch dazu veröffentlicht. Im Interview mit uns spricht sie über die Voraussetzungen, unter denen Elternsein heute stattfindet, und wie Eltern lernen können, einen guten Umgang mit ihrem Stress zu finden.
Wie ist die Idee zu Ihrem Buch entstanden?
„Ich habe gemerkt, dass die Eltern, die mit ihren Kindern zu mir kamen, immer öfter und immer stärker gestresst waren. Oft ging es dann tatsächlich gar nicht so sehr um die Krankheit des Kindes – das hatte womöglich nur eine starke Erkältung – aber ich beobachtete, dass die Eltern in starker Sorge waren, dass sie gestresst wirkten. Dieser Stress der Eltern hat mir irgendwann die Augen geöffnet, mir wurde klar: Wir müssen einen neuen Ansatz finden; nicht einfach nur Medikamente gegen Husten oder Schnupfen mitgeben und die Eltern nach Hause schicken, sondern anerkennen: Das grundlegende Problem ist ein anderes, das natürlich in dem Moment auch mit der Krankheit der Kinder zusammenhängt; aber eben auch mit dem Schlafmangel der Eltern, mit der Überforderung in der Arbeit, mit dem ständigen Ringen um Vereinbarkeit. Es ist nicht nur der Schnupfen, der die Eltern fertigmacht, sondern die Umstände, unter denen sie als Familie leben.“
Sie sagen, es handele sich vor allem um Mütter?
„Väter sind meiner Erfahrung nach nicht so gestresst wie Mütter, ganz einfach weil sie in den meisten Familien nicht in gleichem Maße eingebunden sind wie die Mütter. Wir haben auch viele Väter, die mit den Kindern in die Praxis kommen, die ticken oft etwas anders. Es ist einfach bis heute immer noch so, dass die Frauen gerade in den ersten Jahren mit Kindern die meiste Arbeit leisten, sie müssen viel mehr herumjonglieren, um alles zu schaffen – von Ausnahmen abgesehen, bei denen der Vater sich gleichberechtigt oder stärker einbringt.“
Sie führen Ihre Praxis in Köln schon seit 20 Jahren. Welche gesellschaftlichen Veränderungen, oder welche Veränderungen bezüglich des Umgangs von Eltern mit ihren Kindern, haben Sie in dieser Zeit beobachtet? Immer wieder kann man ja lesen, dass Eltern heute stark verunsichert seien, keine eigene Intuition mehr hätten und deshalb die Ratgeberliteratur für Eltern ein so unheimlich erfolgreiches Genre geworden ist.
„Die Eltern haben im Vergleich zu vor 20 Jahren weniger Unterstützung aus dem familiären Umfeld; das heißt, das Konstrukt Familie ist kleiner geworden. Das hat auch damit zu tun, dass viele jungen Eltern aus beruflichen Gründen häufiger aus der Heimatstadt wegziehen, kurz gesagt: Die Globalisierung hat zu Veränderungen geführt; dazu, dass viele Menschen heute weiter von ihrer ursprünglichen Heimatgegend entfernt leben. Das familiäre Konstrukt, das aus mehr Menschen besteht als Eltern und Kinder, gibt es leider kaum mehr. Das zweite ist: Die Berufstätigkeit der Frauen hat sich verändert. Vor 20 Jahren haben die Männer gearbeitet, und die Frauen sind zu Hause geblieben, das gibt es so heute so gut wie nicht mehr, die jungen Frauen gehen alle arbeiten, und sie wollen Karriere und Kinder zusammen stemmen. Das ist machbar, aber die Frauen wollen es gut und richtig machen, und die Anforderungen an Eltern haben enorm zugenommen: Das Kind muss dies, das Kind soll das, und die Eltern müssen so viel schaffen; und dann kommt die digitale Welt mit ihrer Informationsflut dazu. Wenn Sie nichts hören und nichts sehen, dann können Sie in Ruhe machen – aber wenn Sie jede zweite Minute etwas lesen und jede*r eine Meinung zu Ihren Kindern verbreitet, dann ist das sehr, sehr anstrengend, das führt auch zu Stress bei Eltern.“
Und all diese Beobachtungen führen zu einer größeren Verunsicherung von Eltern?
„Das stresst die Eltern, und der Stress führt dazu, dass Eltern zweifeln, unsicher sind, sie wollen alles richtig machen, aber Stress führt immer zu Angst und Sorgen, und das ist nicht gut.“
Jenseits von tatsächlichen Krankheiten der Kinder – Sie sprachen gerade schon an, dass eher die Eltern Unterstützung brauchen. Gern wird ja auch darüber geschrieben, dass heute Kinder sehr schnell mit einer Störung diagnostiziert werden, der Klassiker ist hier ADHS. Sie beschreiben im Buch auch Fälle von Kindern, die mit Osteopathie, Logopädie und so weiter überschüttet werden…haben sich die Fälle gehäuft oder werden tatsächliche Auffälligkeiten einfach öfter diagnostiziert? Oder werden Abweichungen von einer angeblichen Norm schneller als pathologisch wahrgenommen?
„Die Kinder haben sich nicht verändert; Menschen sind immer und überall gleich. Die Umstände, unter denen sie leben, sind unterschiedlich und verändern sich, und die Wahrnehmung verändert sich; nicht die Kinder haben sich verändert, sondern der Blick auf die Kinder; Eltern wollen es perfekt machen, damit das Kind keine Chancen verpasst; allein dieser Stress, das Kind perfektionieren zu wollen, ist für das Kind eine Belastung, und dieser Druck, das Kind bestmöglich auf das Leben vorbereiten zu wollen, ist ein Stressfaktor für die Eltern. Wenn das Kind ein bisschen lispelt, dann sind die Eltern gestresst, weil sie natürlich das Beste für ihr Kind wollen; mir tun die Eltern heute oft leid, weil auch die Umgebung schnell mit Urteilen ist: ,Das Kind hat bestimmt ADHS‘ wird leichtfertig zu einem unruhig wirkenden Kind gesagt, oft kommen verunsicherte Eltern mit ihrem Kind zu mir, weil irgendjemand so etwas zu ihnen gesagt hat und sie das abklären wollen. Diese Angstmacherei ist ein Problem, und dann dürfen Sie nicht vergessen: Wer wenig schläft, wer gestresst ist, der*die ist anfälliger für Verunsicherung, ist unruhiger. Da spielt ganz einfach die Funktionsweise des Gehirns eine Rolle: Menschen, die gestresst sind, treffen öfter die falschen Entscheidungen. Wenn man gestresst ist, wird man hektisch, will alles richtig machen, das kann schnell zu viel werden. Natürlich haben manche Kinder so genannte Teilleistungsstörungen, die haben sie aber auch schon vor 20 Jahren gehabt – und vieles regelt sich einfach erst später im Leben, da muss man mit etwas mehr Gelassenheit rangehen.“
Sie schreiben in Ihrem Buch, mit Diagnosen würde heute herumgeworfen wie mit Kamellen an Karneval – ist das auch zu verstehen als Kritik an der Ärzt*innenschaft oder an der Gesellschaft, die es einfordert, dass jedes vermeintliche Problem oder Abweichung von einer vermeintlichen Norm sofort benannt oder diagnostiziert wird?
„Es gibt Paramediziner*innen, es gibt so viele verschiedene nicht-medizinische Berufsbilder, und alle erzählen den Eltern, was mit ihrem Kind nicht in Ordnung sein könnte. Da gibt es eine lange Liste, aber es ist schwierig, den Eltern etwas wieder auszureden, wenn ein*e vermeintliche*r Expert*in gesagt hat, das Kind habe dies oder das. Wir müssen vielmehr verstehen: Es gibt keine hundertprozentige Gesundheit, es gibt kein hundertprozentig optimales Verhalten, es gibt Phasen im Leben eines Kindes, in denen es unreif ist, in denen es unkonzentriert ist, dann kommt eine Phase im Kleinkindalter, in der es auch mal etwas aggressiver sein kann; das ändert sich aber alles wieder, man kann manchmal auch einfach abwarten und beobachten und morgen ist das Problem, das uns heute noch so belastet hat, schon nicht mehr so schlimm. Deshalb ist es wichtig für Kinder, dass die Eltern ein bisschen loslassen, ein bisschen gelassener werden, und wiederum für Eltern ist es wichtig, weniger Stress zu haben. Deshalb habe ich dieses Buch geschrieben und Angebote für Übungen gemacht, wie der Stress reduziert werden kann. Stress ist eine Empfindungssache. Ein ganz einfaches Beispiel: Ich hatte heute ein Mädchen hier mit Mundfäule, das deshalb fünf oder sechs Tage nichts essen konnte, die Eltern waren deswegen völlig fertig. Wenn ich ihnen sagte, es kann nichts Schlimmes passieren, das ist einfach ein Virus, wir warten einfach ab – dann kann das den Eltern schon Halt geben, sie beruhigen. Es kann helfen, die Eltern etwas öfter zu mir zu bestellen. Wir müssen die Eltern beschützen und unterstützen.“
Haben Sie generell das Gefühl, dass durch die medizinische Betreuung in Deutschland diese Sorgen der Eltern gut aufgefangen werden können oder werden Eltern alleingelassen? Oder haben Sie das Gefühl, Ärzt*innen würden vorschnell Diagnosen stellen, um den Eltern irgendwas sagen zu können, die Situation der Eltern aber nicht im Blick haben?
„Nein, überhaupt nicht. Die Kinderärzt*innen gehen in der Regel in Richtung Beruhigen. Das Problem ist eher: Viele Eltern holen sich Informationen aus dem Internet, ich höre so oft Diagnosen, die Eltern sich selbst im Internet zusammengegoogelt haben, oder den Satz: ,Ich habe gelesen, das könnte sich zu xy entwickeln‘. Das Wort ,könnte‘ holen sich Eltern so oft aus dem Netz, und es gibt außerhalb der Medizin auch wahnsinnig viele Ratgeber, die dann interpretieren, was da sein könnte, von wegen: ,Das Kind ist ständig krank? Dann ist das Immunsystem bestimmt im Eimer‘ und ähnliches, und das beunruhigt die Eltern natürlich. Und stellen Sie sich vor, Sie haben ein kleines Kind von zwei oder drei Jahren, das schläft nicht gut, womöglich Ihr erstes Kind, das hat ständig Infekte, und dann kommt jemand und sagt, das Immunsystem sei vielleicht nicht in Ordnung: Natürlich machen Sie sich dann Sorgen. Dabei ist es völlig normal, dass kleine Kinder, gerade wenn sie zum Beispiel in die Kita gehen, ständig krank sind.“
Wir sprachen schon kurz darüber, dass Eltern heute schwerer als früher akzeptieren können, wenn ein Kind nicht „perfekt“ ist, beziehungsweise ihren Kindern die besten Startbedingungen ermöglichen wollen. Woran liegt das Ihrer Meinung nach? Oft heißt es, dass Kinder heute eher ein „Projekt“ seien, viele Eltern nur ein Kind bekommen und den Zeitpunkt für dieses Kind ganz genau geplant haben, Kinder laufen weniger mit, sondern stehen viel mehr im Mittelpunkt – oder haben Sie eine ganz andere Erklärung?
„Natürlich ist es so, wenn Sie nur ein oder zwei Kinder haben, dass Sie diese Kinder stärker und fokussierter fördern wollen, und in unserer Gesellschaft haben viele Menschen die Möglichkeiten dazu. Manche Eltern wollen so viel optimieren und verkennen, dass das Kind Zeit braucht. Es hat auch damit zu tun, dass es unserer Gesellschaft gut geht und die Wahlmöglichkeiten da sind: Wenn Sie viel Auswahl haben, dann wollen Sie auch alles ausprobieren; das ist wahnsinnig anstrengend, aber wenn die Eltern ängstlich sind, dann wollen sie eben keine Möglichkeit verpassen und haben immer fünf, sechs Baustellen, an denen sie werkeln; solche Kinder kriegen keine Luft; so genannte Helikopter-Eltern tun mir leid, ich verurteile sie nicht, weil sie pausenlos damit beschäftigt sind und irgendwo doch nichts ändern können, sie haben keine Zeit für Freude, die Dinge sein zu lassen, zu sagen: Dann eben nicht. Wir müssen manchmal Dinge auch einfach sein lassen.“
Wie sehr beobachten Sie dieses medial gern beschriebene Phänomen „Helikopter-Eltern“ tatsächlich? Ist das aus Ihrer Sicht stark verbreitet oder sind das eher vereinzelte Eltern und der Begriff ein Klischee?
„Ein bisschen ,Helikopter‘-Verhalten haben viele Eltern, aber richtige Helikopter-Eltern gibt es zum Glück nicht häufig. Denn viele sogenannte Helikopter-Eltern sind selbst oft in Zweifel, und wollen nichts dem Zufall überlassen, wollen alles perfekt machen, und wollen das Leben ihrer Kinder perfekt gestalten. Sie sind angestrengt, gestresst und das geben sie dem Kind und ihrer Umwelt weiter. Das schlimmste an der Sache ist, dass diese Kinder komplett durch ihre Eltern gelähmt werden. Die Eltern geben dem Kind keinen Raum sich zu entfalten. Helikopter-Eltern sind ein Last für ihre Kinder, und für ihre Umwelt. Das sehen sie leider nur nicht, aber auch hier: Statt sie zu verurteilen, müssten wir Wege finden, sie zu entlasten, das wäre vorteilhafter für alle Beteiligten, denn häufig leiden Helikopter-Eltern selbst unter Angst und Zweifeln.“
Was heute stark zu beobachten ist, ist dieser enorme Druck auf Mütter, alles auf eine bestimmte Weise zu machen, es gibt verschiedene Lager: Still-Fans, die den Müttern, die nicht stillen können oder wollen, ein schlechtes Gewissen machen, und viele weitere Beispiele – zumindest schildern viele Mütter das so. Vielen Müttern scheint es schwerzufallen, eine positive Laissez-faire-Haltung zu entwickeln, im Sinne von: „Macht, wie ihr wollt, Hauptsache jede*r fühlt sich mit ihrem Weg wohl” – woran liegt das Ihrer Ansicht nach?
„Wenn man jemanden verurteilt, macht man sich damit selbst größer. Mit dem Ansatz ,dumme Mutter, stillt nicht‘ macht man einen anderen Menschen runter, und gibt sich selbst unbewusst mehr Größe. Das ist vielen nicht bewusst. Wenn wir andere Menschen verurteilen, loben wir uns damit still und leise selbst. Das ist aber schlimm, weil das sehr destruktiv ist, das ist eine ganz zerstörerische Kraft. Und das ist auch ein Positionskampf, mit dem Frauen ihre eigene Position verteidigen oder besser darstellen wollen. Frauen müssen aber verstehen, dass niemand sich wohlfühlt, wenn man jemand anderen runtermacht. Diese vielleicht kurzfristige Befriedigung oder Freude, wenn wir kurz Hormone ausschütten, im Sinne von: ,Ich mach das doch viel besser‘, das ist keine gute langfristige Strategie, das muss diesen Frauen bewusst werden.“
Und Sie meinen, das kann nur aufhören, wenn wir uns bewusst werden, dass wir durch die Kritik an anderen eigentlich die eigene Seele streicheln wollen?
„Wenn man ökonomisch denkt, ist es besser, wenn Sie zum Beispiel eine Frau in den Arm nehmen und sagen: ,Hey, es tut mir wirklich leid, dass es nicht geklappt hat mit dem Stillen, aber dein Kind wird genau so gut groß wie alle anderen‘, da werden weitaus mehr positive Hormone ausgeschüttet. Loben ist viel besser für das Gehirn, als jemanden zu verurteilen. Wenn wir jemand anderen, der womöglich weniger Chancen hat als wir, verurteilen, empfinden wir vielleicht kurzfristig Freude, aber auf lange Sicht ist das auch für uns destruktiv.“
In Ihrem Buch geht es viel um „Mind-Body-Medizin“ und um „Beneficial Thinking“, also durch die Kraft der eigenen Gedanken Stress und Ängste zu reduzieren. Bei mir war es so, dass ich beim Lesen oft dachte: Klingt ja prima, aber ist das in echt wirklich umsetzbar? Was kriegen Sie denn für Rückmeldungen, wie schaffen die Leute, das umzusetzen?
„Die Eltern sind selbst überrascht über die Entwicklung, die sie machen. Die Übungen muss man bewusst wiederholt machen, es dauert drei Monate, bis das sitzt. Nehmen wir das Beispiel mit den stillenden Müttern, nehmen wir an, Sie sind kurz davor zu sagen: ,Ist die doof‘, hier kommt ,SADH‘ ins Spiel: Stopp, Atmen, Denken, Handeln. Ich gebe den Eltern in meiner Praxis Zettel mit Anleitungen mit, die kommen wieder und sagen, sie hätten nicht gedacht, dass ein Wort wie ,Kaiserschmarrn‘ so viel Veränderung in ihr Leben bringt. ,Kaiserschmarrn‘ ist mein persönliches Schutzwort, an das ich immer dann denke, wenn ich von Stress oder anderen Emotionen drohe überwältigt zu werden. Viele denken erstmal, es sei naiv zu glauben, dass bei den Problemen, die mich jeden Tag plagen, ein Wort oder ein Satz einen großen Unterschied machen könne; aber manchmal sind es die simpelsten Dinge, die große Veränderungen mit sich bringen.“
Man könnte nun sagen: Die Dinge, die Sie in Ihrem Buch anstoßen, sind gut, um in akuten Situationen mit Stress besser umzugehen; aber wenn Sie darüber hinaus denken: Was müsste passieren, damit das Leben für Eltern gar nicht erst so stressig ist? Wie müsste sich die Gesellschaft verändern, damit die Bedingungen, unter denen man in Deutschland als Familie lebt, besser werden?
„Wir können die Gesellschaft nicht verändern; ich kann aber an meinen Lebensansichten etwas verändern. Es gibt kaum eine Gesellschaft, der es so gut geht wie Deutschland; mit unseren Lebensbedingungen sind wir an der Weltspitze. Wir haben zwar viele Anforderungen zu erfüllen, die Großeltern sind womöglich nicht in der Nähe, aber ich schreibe im Buch ganz viel darüber, was man anders machen könnte, wie man sein Stresslevel reduzieren kann, den Perfektionsanspruch runterschrauben kann. Wir können in unserer eigenen kleinen Ich-Welt etwas verändern. Wenn ich abends im Bett liege, kann ich überlegen: Wie kann ich meine Situation verbessern? Was stört mich? Was ist mein Stress? Allein wenn Sie damit anfangen, zu identifizieren, was in Ihrem Leben der Stressor ist, was Sie am meisten belastet, fängt Ihr Gehirn automatisch an, nach einer Lösung zu suchen. Ist es die angespannte Betreuungssituation? Sind es Geldsorgen? Das sind alles Dinge, die wir zumindest bis zu einem gewissen Grad regeln können.“
Das werden nicht wenige Eltern skeptisch sehen…
„Wir dürfen uns nicht von der Außenwelt fertigmachen lassen; natürlich steht die Gesellschaft vor enormen Herausforderungen: Hebammen brauchen eine bessere Ausbildung, Mütter müssen rund um die Geburt besser betreut werden; auch bei den Kitaplätzen ist die Situation nicht optimal. Die Arbeitszeiten für Eltern müssen optimiert werden; es gibt Länder, in denen es die Norm ist, dass Eltern ab 16 Uhr nach Hause gehen. Es ist offensichtlich machbar. Sowas kann man ansprechen. Es gibt natürlich wahnsinnig viele Dinge, die die Gesellschaft machen kann, aber das braucht Zeit, bis dahin sind Ihre Kinder groß. Nun stellen wir uns aber vor, morgen müssen Sie ins Büro, sind eh gestresst, weil ein Bericht fertig werden muss, ihr Mann ist verreist, die Oma krank, im Job ist aber die Hölle los… dann brauchen Sie Strategien, um genau jetzt mit der Situation besser umgehen zu können. Dann tief einatmen, und überlegen, und Entscheidungen treffen, wie der Tag funktionieren kann – und so funktioniert auch unser Leben: ein Tag nach dem anderen; und wir müssen uns Ziele setzen, sagen: Nächste Woche würde ich gern dies oder jenes machen, Schritt für Schritt, und dabei nicht zugrunde gehen. Ich hab eine Übung, die ich immer mache, wenn ich abends unruhig bin oder nachts nicht schlafen kann: Ich setze ich mich immer geistig in den Zug zum Gotthardtunnel, und schlafe dabei jedes Mal ruckzuck ein. Wir tricksen mit solchen Übungen unser Gehirn ein wenig aus – aber das Leben trickst uns ständig aus, also müssen wir auch tricksen. Mehr Ruhe und weniger Stress – das ist mein Ziel.“
Bild: Kiwi-Verlag
Karella Easwaran: „Das Geheimnis gesunder Kinder. Was Eltern tun und lassen können“, Kiwi Taschenbuch, Januar 2018, 12,95 Euro.
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