Ich wünschte, Oma und Opa könnten mich mein Leben lang begleiten, denn sie haben mir wahnsinnig viel mitgegeben. Von Großeltern kann man einfach so viel lernen – aber, auch wichtig: nicht jede Lebensweisheit ist unbedingt die richtige.
Oma und Opa sind die Größten!
Gesunde Großeltern zu haben, ist ein Privileg. Sie lange an deiner Seite zu haben, ist es ein noch Größeres. Seitdem ich klein bin bieten sie mir Geborgenheit, stillen meine kindliche Neugierde und lehren mich, meine Ungeduld zu zügeln. Ginge man nur von dieser Beschreibung und der wortwörtlichen Bedeutung von „Großeltern“ aus, würde diese implementieren, dass Oma und Opa nichts anderes sind als eine zweite Mama und ein zweiter Papa. Sie erziehen dich, zeigen dir neue Dinge, teilen ihre langjährige Lebenserfahrung mit dir. Und doch sind meine Oma und Opa vielmehr gute Freunde für mich. Freunde, mit denen ich viel lachen kann, die mir verbal auf die Finger hauen, wenn ich eine falsche Entscheidung treffe, die mir helfen, die Dinge mit etwas Abstand zu betrachten, die mit uns Kindern auch schon mal auf den Tischen tanzen, die Eltern austricksen und zeigen, dass es sich lohnt, nie aufzugeben.
Dank ihrer langjährigen Lebenserfahrung gibt keine anderen Personen, von denen ich mehr lernen könnte als von ihnen. Auf der einen Seite. Auf der anderen Seite jedoch ist diese Langjährigkeit genau das, was sie in enge Bahnen lenkt und in Routinen verfallen lässt, die ich für mich lieber vermeiden würde. Ich habe für euch rekapituliert, welche Eigenschaften ich unbedingt übernehmen möchte – und welche eher nicht.
1. Auf der einen Seite…
„Iss schön, mein Kind“
Gut zu essen, bedeutet nicht nur, genug und auf Vorrat einzukaufen, sodass der Kühlschrank immer voll ist, sondern auch, genug zu essen. Den Satz „Iss schön, mein Kind“ bekomme ich zu jeder Mahlzeit dazu serviert. Es wird nicht auf die Menge der Kohlenhydrate oder des Zuckers geachtet, sondern schlichtweg darauf, ob es schmeckt. Ganz nach dem Motto „Der Körper nimmt sich, was er braucht“ wird geschlemmt, was das Zeug hält. Und wenn der Körper nachts noch eine oder auch mehrere Scheibe Käse braucht, soll er die bekommen. Wer hungrig ist, kann schließlich nicht schlafen. Wo Oma und Opa Recht haben, haben sie Recht.
Alles an Ort und Stelle zurück. Sofort.
In meiner WG neigen wir schon mal dazu, die Teller auf dem Tisch mal über die Nacht stehen, den Wäschehaufen immer größer werden oder das Altglas vor sich hin vegetieren zu lassen. Wenn Oma das sehen würde! In ihrem Haushalt wird nämlich alles, was man in die Hand nimmt, gleich wieder an Ort und Stelle zurück gelegt. So spart man nicht nur Zeit, sondern auch lästige Diskussionen darüber, wer denn das nächste Mal mit dem Aufräumen an der Reihe ist.
„Immer schön zufrieden sein“
Wir greifen schon mal gerne nach den Sternen, wollen groß verreisen, ins Ausland gehen oder neue Kleidung kaufen. Dank (vermeintlich) endloser Jobmöglichkeiten und stets neu entstehender Berufsbilder, fällt es uns immer schwerer, Entscheidungen zu treffen. Wer zu viel träumt und zögert, wird von Oma und Opa direkt auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Oma und Opa, die zu Kriegszeiten ganz andere Verhältnisse erlebt haben, erinnern uns daran, das Leben nicht als selbstverständlicher anzusehen, sondern als Privileg schätzen zu wissen. Und das Beste daraus zu machen. „Immer schön zufrieden sein“, lautet die Devise. Oder in anderen Worten: YOLO.
Großzügig sein
Und damit meine ich nicht, uns Enkeln Geld zu schenken, sondern dem Obdachlosen an der Ecke Münzen zu geben oder eine freundliche Kellnerin mit einem dicken Trinkgeld zu belohnen. Großzügig sein, unsere Mitmenschen wertschätzen und guter Leistung Respekt zollen – diese Dinge sollten wir uns wirklich abschauen.
Einfach mal anrufen!
Nora Tschirner sagte mal im Interview, dass das Gefühl des Nachhause-Kommens automatisch damit verbunden ist, die Freunde anzurufen und einfach geradeaus zu sagen: „Hallo, ich brauche einen Kontakt. Du fehlst mir, bitte komme. Wann sehen wir uns?“. Weil wir Großstadtneurotiker das leider irgendwie verlernt und uns auf Whatsapp, Facebook und Snapchat eingespielt haben, sollten wir das ändern und per Telefon, wie auch Oma und Opa, in direkten Kontakt miteinander treten – ohne Wartezeiten, Ärgern, dass der andere die Nachricht gesehen, aber noch nicht geantwortet hat, und ganz klar sagen: Hey, lange nichts gehört, wie geht es dir? Wann kommst du uns mal wieder in Berlin besuchen? Communication is Key!
Das Nichtstun genießen
Sind wir in unserem Alltag immer auf Achse und finden uns nur äußerst selten in Langeweile wieder, ist der Besuch meiner Großeltern automatisch mit einer unvergleichbaren Ruhe und Entschleunigung verbunden. Bei Oma und Opa geht alles etwas langsamer zu, man nimmt sich nicht nur Zeit zum Lesen oder zum Nickerchen machen, sondern auch zum Nichtstun. Einfach mal auf der Bank sitzen, die vorübereilenden Passanten beobachten, die innere Stille genießen und ja, genau richtig: nichts tun.
Selbst ist die Frau!
Meine Oma ist 86 und hat bis Mitte 70 gearbeitet. Als einzige Frau in ihrem Umfeld hat sie schon in den 50er Jahren sieben Tage die Woche auf Märkten gestanden und Frotteepullover, Retrosocken und Feinstrumpfhosen verkauft. Nicht nur meine Mama hat früher in ihrer Klasse damit geprahlt, eine berufstätige Mutter zu haben – auch ich mache das gerne. Denn arbeiten und Selbstverwirklichung tut gut.
2. Auf der anderen Seite…
… haben Oma und Opa mit der Zeit einige Züge angenommen, die ihnen vermutlich in so manchen Situationen die Leichtigkeit des Lebens genommen und ihren Blick für Neues beschränkt haben. Ich möchte mir nicht anmaßen, ihr Leben zu beurteilen, doch die folgenden Eigenschaften werde ich versuchen, zu vermeiden. Fingers crossed!
Das Leben verpassen
Arbeiten und sparen ist auf der einen Seite gut, aber nicht, wenn man später bereut, nicht genug von der Welt gesehen zu haben. OK, Opa fand es Zuhause sowieso schon immer am Schönsten, auf Omas Bucket List stehen hingegen noch immer Rom, Breslau und Venedig. Einige Städte konnten wir bisher schon gemeinsam „abhaken“, für manche sehr stufenlastige Städte ist es leider zu spät. Also: Arbeiten ist gut, sparen und Bodenständigkeit auch, aber manchmal sollte man nicht den Zeitpunkt verpassen, nach den Sternen zu greifen. Denn, was bringt dir ein volles Konto, wenn du verpasst hast, es auszuschöpfen und das Geld in Erlebnisse umzuwandeln?
Hilfe scheuen
Seit Jahren versuchen wir, meine 86-jährige Oma dazu zu bringen, nach dem Einkauf doch bitte ein Taxi zu nehmen – einfach aus Angst, dass sie mit den schweren Taschen fallen könnte. Oder öfter essen zu gehen, anstatt uns Enkeln beim nächsten Besuch Geld zu schenken, damit sie weniger am Herd steht und später weniger aufräumen muss. Oder sich Essen liefern zu lassen. Oder sich nach einer Haushaltshilfe umzuschauen. Oma will nicht. Oma meint, die Taxifahrer würden sie bei dieser kurzen Strecke sowieso nicht mitnehmen wollen. Es hält doch niemand für eine Strecke von sieben Euro! Essen liefern lassen? Das schmeckt Opa bestimmt nicht. Und eine Haushaltshilfe? Die macht doch sowieso nicht so sauber, wie sie das könnte. Also, liebe Oma, wer Hilfe anbietet, sollte auch bereit sein, welche anzunehmen – das ist nur menschlich!
In alte Muster verfallen
Dass es einmal strikte Geschlechterrollen gab, wissen wir alle und, dass diese veraltet sind, auch. Dass Oma und Opa aber noch damit leben fällt mir schwer zu verstehen. In nicht nur einem Moment während meines Besuches würde ich am liebsten aufspringen und den beiden erklären, dass das so nicht funktioniert, dass Oma nicht immer das Essen machen und Opas Kleidung raussuchen muss, dass Opa nicht nur auf dem Sofa sitzen und Kreuzworträtsel lösen kann, sondern lieber unterstützen sollte. Ich weiß, dass es dafür zu spät ist, und ich weiß auch, dass zu diesem Lebensstil immer zwei gehören. Auch, wenn Oma damit schon 64 Jahre in der Ehe lebt und sie das gar nicht als „Problem“ sieht, macht es mich traurig. Weil ich will, dass auch Oma einfach mal auf dem Sofa sitzt und das Leben genießt, die Küche unaufgeräumt stehen und liegen lässt und Opa wieder für Ordnung sorgt.
Offenheit verlieren
Muster und Gewohnheiten sind selbstverständlich – ich habe die schließlich mit meinen 21 Jahren auch. Schade ist nur, wenn sich die besagten Muster und Ansichten so stark verfestigen, dass man die eigene Ansicht als die einzig richtige ansieht und die Offenheit für andere verliert. So habe ich erst letztens mit den beiden eine Diskussion über das Thema Scheidung geführt. Heikles Thema, ich weiß – und von mir auch etwas provokant. Jedenfalls wollten die beiden einfach nicht einsehen, dass eine Scheidung bei manchen Paaren unumgänglich ist, dass sie womöglich beide Partner glücklicher machen und für einen neuen Lebensabschnitt sorgen kann. Ihr Standpunkt, man müsse sich zusammenraffen und das Leben bis zum Ende gemeinsam bestreiten, ist irgendwie süß, weil es bei ihnen wunderbar geklappt hat, aber auch ziemlich einseitig. Das, was für uns persönlich richtig erscheint, kann für andere schließlich ganz anders sein.
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