Der sonntägliche Anruf bei den Eltern ist pasé, seitdem es Whatsapp-Familiengruppen gibt. Alles Wichtige – und weniger wichtige – wird nun einfach im Gruppenchat besprochen. Ze.tt ist diesem Phänomen auf den Grund gegangen.
Papa macht doofe Witze, Mama organisiert Geburtstage, der Bruder stellt sein Date vor – was wäre unser Familienleben ohne WhatsApp?
Wie haben wir das eigentlich früher organisiert, dieses „Familienleben“? Einige werden sich dunkel erinnern: In Zeiten vor WhatsApp lief familiäre Kommunikation vor allem über das gesprochene Wort – in der Küche, vorm Bad oder am Telefon. Doch seit es Chatdienste, WLAN und Smartphones gibt, wird fast nur noch getippt. „Whatsapp ist schneller, spontaner und auch bei räumlichen Distanzen gut“, erklärt der Familienpsychologe Professor Wolfgang Hantel-Quitmann, „und es lässt sich nebenbei erledigen.“ Auch die Soziologie-Professorin Corinna Onnen weiß, warum Chats in Familien so beliebt sind: „Durch WhatsApp und Co. sind zum einen die Kommunikationswege verkürzt worden und zum Anderen direkter geworden. Neu ist, dass Eltern ihre Kinder jederzeit anschreiben können.“ Und umgekehrt.
Digitale Wohnküche im Smartphone
Daher nutzen viele Familien WhatsApp-Gruppen, um sich auszutauschen und zu organisieren – von der Geburtstagsparty bis zum Sommerurlaub oder um einfach mal zu hören, was bei den anderen so los ist. Das Smartphone wird damit zu einer digitalen Wohnküche, in der sich Generationen begegnen, manchmal unkoordiniert irgendwas reinrufen, sich regelmäßig gründlich missverstehen – und dann voneinander lernen. Und sei es nur, dass Papa einen Hang zu merkwürdigen Reimen hat oder was die Abkürzung „FYI“ bedeutet.
Das kann sehr nützlich, sehr schön und gleichzeitig sehr, sehr nervig sein. Oder um es mit den Worten von Lisa Altmaier, die auf der Netz-Konferenz re:publica einen Vortrag zu Familienchats aus der Hölle hielt, zu sagen: „Mit WhatsApp ist jeder Tag wie Weihnachten – nur ohne das Essen und ohne Geschenke.“
Austausch und Kontrolle
Tatsächlich haben Familien-Organisation und Kommunikation über WhatsApp auch einige Nachteile – und das betrifft nicht nur grundverschiedenes Humorverständnis. „Kinder beziehungsweise junge Erwachsene so wie auch ältere Erwachsene haben sich noch nie so stark gegenseitig kontrolliert wie heute“, erklärt Professorin Corinna Onnen. „Durch die Display-Anzeigen sieht man ja, wenn der Andere online ist oder die Nachricht gelesen hat – und man reagiert entsprechend, wenn keine Antwort kommt.“ Da kann Muttis achtfaches „HALLO?!?“ irgendwann zu ausgewachsenen Konflikten im echten Leben führen.
Krisenticker
Außerdem kommen Familienchats in Notsituationen schnell an ihre Grenzen und können richtige Gespräche keinesfalls ersetzen. Denn obwohl sie natürlich dabei helfen können, sich in Krisen gegenseitig auf dem Laufenden zu halten und Mut zuzusprechen, möchte und sollte niemand „Scheiße. Opa ist gestorben“ bei WhatsApp lesen müssen. Dass die digitale Kommunikation allerdings selbst im ganz normalen Alltag ihre Grenzen hat, sagt auch Professor Hantel-Quitmann: „Familie braucht die direkte Kommunikation zur Abstimmung.“ Das Wichtigste sei das emotionale Familienklima – und das lässt sich nun mal nicht mit Emojis erzeugen.
Der Originaltext von Jessica Wagener ist bei unserem Kooperationspartner ze.tt erschienen. Hier könnt ihr ze.tt auf Facebook folgen.
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