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Wie die feige Haltung der SPD zu 219a junge Menschen im Stich lässt

219a ist immer noch nicht gestrichen. „Ist das euer Ernst, liebe SPD?“, fragt sich unsere Redakteurin Helen Hahne in ihrer Kolumne.

2018, ein Jahr der großen „What the Fuck”-Momente – mal wieder

„Ist das euer Ernst?” – so lautet die Frage, die ich mir als junge Frau im Jahr 2018 am häufigsten gestellt habe. Ganz akut erst gestern wieder, als ich die Meldung las, dass einer jungen Frau, die von einem Fahrer der Münchner Verkehrsbetriebe vergewaltigt wurde, kurz darauf von einem Mitarbeiter eine Freifahrt mit der sogenannten „Party-Tram” als „Entschädigung” angeboten bekam. Der Höhepunkt der „Ist das euer Ernst”-Momente letzte Woche war für mich einmal mehr die Debatte um Paragraf 219a, der ein sogenanntes „Werbeverbot” für Schwangerschaftsabbrüche durch Ärzt*innen festlegt und damit in Wirklichkeit ein Verbot von sachlicher Information durch Fachleute gesetzlich verankert. Dieser Paragraf steht, dank der Gießener Ärztin Kristina Hänel, nun im Bundestag zur Debatte. Grüne und Linke fordern eine Streichung, die FDP eine Anpassung und CDU/CSU sowie die AfD die Beibehaltung. Wer eigentlich auch eine Streichung fordert? Die Erneuerungspartei SPD. Allerdings dann lieber doch nicht so vehement. Lieber wollen sie einen Kompromiss mit dem Koalitionspartner CDU/CSU finden.

Schon lange will die SPD eigentlich hipper, wieder sozialer, progressiver werden. Seit der Bundestagswahl 2017 will sich die Partei ganz offiziell erneuern und verkündet das seitdem immer wieder. Mutiger wollten die Genoss*innen werden. Wieder ein eigenes Profil entwickeln. Und damit auch junge Menschen für sich (zurück-)gewinnen. Zu diesen Menschen gehören bekanntlich etwa zur Hälfte ja auch junge Frauen und andere, für die sexuelle Selbstbestimmung ein großes Thema ist. Regelungen wie die Paragrafen 219a und 218 des Strafgesetzbuches schränken ihr Leben ein, machen es komplizierter, anstrengender und teurer als es sein müsste. Wenn man also diese Menschen für sich gewinnen will, wären gute Gesetze zu reproduktiven Rechten ein sinnvoller Weg. Und in der Debatte eine wirklich klare Haltung und Ideen zu haben wären da wenigstens ein Anfang sein. 

Mutige Gesetzesänderungen? Fehlanzeige

Wenn aber selbst der Mut fehlt, die Streichung von 219a zu fordern, habe ich schlechte Nachrichten: Wirklich progressiv ist selbst das nicht. Denn für die allermeisten jungen Menschen steht gar nicht mehr zur Debatte, dass sie sich über Schwangerschaftsabbrüche gut informieren können sollten –und das deshalb auch Ärzt*innen das Recht eingeräumt werden muss, diese Informationen zur Verfügung zu stellen, ohne sich strafbar zu machen. Die Streichung von 219a kann zudem nur ein Schritt auf dem Weg sein, auch den Paragrafen 218 endlich anzugehen, damit Abbrüche endlich wirklich legal werden und Schwangere in Deutschland allein und vollständig über ihren eigenen Körper – über ihr Leben – bestimmen dürfen.

Die Streichung von 219a ist längst überfällig. Jeder Mensch, der schon einmal einen Schwangerschaftsabbruch hatte oder jemanden dabei begleitet hat, weiß das. Kristina Hänel weiß es. Und die anderen Ärzt*innen, die informieren wollen, aber nicht können – oder auch gerade deswegen angezeigt wurden und demnächst vor Gericht stehen. Und wenn es dazu kommt, wird auch das Bundesverfassungsgericht, da bin ich mir sicher, genau das feststellen. Und die SPD wird sich einmal mehr ärgern, dass sie nicht viel früher und deutlicher für dieses Ziel eingestanden hat und diese Gesetzesänderung als ihren Erfolg verbuchen kann.

Wo will die SPD stehen?

219a steht damit symbolisch für ein Problem der SPD insgesamt: der Mut für gesellschaftlichen Fortschritt einzustehen, scheint zu fehlen. Will man junge Menschen für sich gewinnen, ist aber genau das der Weg. Es reicht nicht, auf eine Einigung mit der Union zu hoffen, um die Abschaffung von 219a später mitgestaltet zu haben.

Es gibt viele Debatten, bei denen die SPD jetzt eine klare, linke und soziale Haltung beziehen könnte: Seenotrettung, Sanktionen bei Hartz IV, die Weiterführung der NSU-Ermittlungen in bereits bestehenden und neuen Untersuchungsausschüssen. Aber all das scheint in weiter Ferne. Paragraf 219a wäre ein Anfang – und zwar ein wichtiger. Es wäre ein Zeichen dafür, dass die SPD für Politik für junge Menschen macht. Aber will sie das überhaupt?

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