Der Vorsitzende der AfD, Alexander Gauland, schreibt in der FAZ einen Gastbeitrag und rückt die Thesen der AfD damit einmal mehr weiter in die Mitte der Gesellschaft. Welche Gastbeiträge wir wirklich brauchen, schreibt unsere Redakteurin Helen Hahne in ihrer Kolumne „Ist das euer Ernst?”.
Oder soll man es lassen?
Seit Monaten wird darüber diskutiert, ob wir mit Rechten reden sollen (Spoiler an dieser Stelle: Nein, sollten wir nicht). Betroffene von rechter Gewalt und der diskriminierenden Politik der AfD, Aktivist*innen und Expert*innen, die seit Jahren zum Erstarken der sogenannten neuen Rechten forschen, warnen immer wieder genau davor. Immer wieder kritisieren sie Medien dafür, mit Rechten zu reden, seitenlange Interviews mit ihnen zu führen, sie auf ihren heimelichen Gutshöfen zu besuchen und ihnen damit die Bühne zu bieten, die sie so gar nicht verdient haben.
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung dachte sich vergangenes Wochenende (Ausgabe vom 6. Oktober ) aber anscheinend: „Mit Rechten reden? Hold my beer, wir lassen die Rechten einfach ungefiltert zu Wort kommen.”, und veröffentlichten einen Gastbeitrag des Afd-Vorsitzenden Alexander Gauland.
Die AfD ist keine demokratische Partei
Die Argumentation: Als Vertreter einer demokratisch gewählten Partei im Bundestag müssen auch die Positionen der AfD in den Medien stattfinden. Ein vermeintliches Totschlagargument – aber so einfach ist es nicht. Denn die AfD ist, auch wenn sie demokratisch gewählt ist, keine demokratische Partei. Sie ist eine Partei, die mit dafür verantwortlich ist, dass Menschen, die von ihrer Rhetorik bedroht werden und deren Umsetzung in Taten man unlängst in Chemnitz beobachten konnte, ernsthaft überlegen, wann und wohin sie dieses Land verlassen müssen. Sie ist die Partei, die gerade in Hamburg (und das gleiche für Sachsen plant) ein Internetportal eingerichtet hat, auf denen Schüler*innen Lehrkräfte melden können, die die Partei im Unterricht kritisieren. Sie ist die Partei, deren Vertreter*innen auf Veranstaltungen und Demonstrationen immer wieder die Säuberung der Medien als eine der ersten Maßnahmen ankündigen, die sie durchführen würden, sobald sie die Macht ergriffen hätten.
Und ihr Vorsitzender Alexander Gauland ist der Mann, der sich nicht zu schade war, die NS-Zeit als „einen Fliegenschiss” in der deutschen Geschichte zu bezeichnen. Er ist Vorsitzender einer Partei, deren Mitglieder und Abgeordnete immer wieder gemeinsam mit Rechtsradikalen „Trauermärsche” veranstalten und Menschen durch die Straßen jagen. „Wir werden sie jagen” – noch so etwas, was Gauland schon nach der Bundestagswahl 2017 angekündigt hat und was in den letzten Wochen tatsächlich stattgefunden hat.
Der Gastbeitrag normalisiert die Thesen der AfD ein Stück weiter
Und Gauland ist der Mann, der nun einen Gastbeitrag in der FAZ schreiben durfte, der wenn man ihn sich genauer anschaut, erschreckende Parallelen zu einer Rede Hitlers aus dem Jahr 1933 aufweist. Und weil es eben ein Gastbeitrag ist und kein kritisch geführtes Interview, konnte er seine menschenverachtende Hetze, in gemäßigte Formulierungen gießen und ungefiltert rausposaunen. Die Botschaft bleibt aber die gleiche und ein Gastbeitrag in einer der größten und wichtigsten deutschen Zeitungen normalisiert diese Botschaft weiter. Und genau das ist brandgefährlich. Journalist*innen sollten wissen, welche Verantwortung sie tragen und einem bekennenden Rechtspopulisten nicht eine solche unkritische Bühne bieten.
Die Thesen der AfD brauchen einen Faktencheck und eine Einordnung. Wenn falsche Zahlen genannt werden, wenn behauptet wird, die Partei sorge sich um die Gleichstellung der Frau, wenn es heißt, in der Partei gebe es keine Mitglieder, die jemals in extremistischen Gruppierungen gewesen wären, dann muss es jemanden geben, der das hinterfragt, klarstellt und als das benennt, was es ist: Falschbehauptungen.
Gastbeiträge, die die gesellschaftliche Debatte weiterbringen
Gastbeiträge, so schreibt Sophie Spielsberg in der taz, sind wichtig für die gesellschaftliche Debatte, aber sie sollten kein Ort sein, an dem Politiker*innen (Gauland hat der FAZ dieses Jahr übrigens bereits zwei Interviews gegeben) ihre Meinungen ungefiltert in die Welt zu blasen. Hier deshalb eine unvollständige Liste mit Vorschlägen für Gastbeiträge, die für die gesellschaftliche Debatte wirklich wichtig wären:
Semiya Şimşek – Tochter des NSU-Opfers Enver Şimşek, die weiter dafür kämpft, dass das Urteil des NSU-Prozesses keinen Schlussstrich bedeutet und die jeden Tag in Dortmund damit leben muss, dass sie Unterstützer*innen der Mörder ihres Vaters über den Weg läuft.
Kristina Hänel – Frauenärztin, die am 12. Oktober erneut vor Gericht steht, weil sie auf ihrer Website darüber informiert, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführt und die bereit ist bis zur letzten Instanz zu klagen, um Frauen* ihr Recht auf Information zu erkämpfen.
Claus-Peter Reisch – Kapitän der Lifeline, der mit seinem Team Menschen auf dem Mittelmeer vor dem Ertrinken rettet und dabei immer wieder von europäischen Behörden behindert wird. Und der hat sich im übrigen bereits angeboten.
Sigrid (Sigi) Maurer, ehemalige österreichische Politikerin, die sich öffentlich gegen sexistische und erniedrigende Nachrichten eines Mannes wehrte und dafür gerade zu 4.000 Euro Strafe verurteilt wurde – obwohl der Richter glaubt, dass der Kläger gelogen hat.
Anna Pantelia, Field-Communication Managerin von Ärzte ohne Grenzen auf Lesbos, die die unwürdigen Bedingungen unter denen Geflüchtete in europäischen Lagern leben müssen, aus erster Hand beschreiben kann. Gerade hat sie das in einer Reportage von Zeit Online getan.
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