Foto: Jonathan Chen | Unsplash

Wenn die AfD in den Bundestag kommt, brauche ich kein dickes Fell, sondern einen Reisekoffer

Meine Zukunft ist Grün, aber nicht zwingend in Deutschland. Denn sollte die AfD in den Bundestag einziehen, muss ich unter anderem befürchten, „entsorgt” zu werden.

 

Warum ich kurz vor der Bundestagswahl ans Auswandern denke

Eine Partei ist immer die Summe ihrer Anhänger. Hat sich das Image der Grünen beispielsweise mittlerweile vom Sonderling, der in seiner Freizeit Bäume umarmt und Pullis strickt, zum Verfechter für Klimaschutz und Menschenwürde gewandelt, steht uns bei der AfD eine Entwicklung noch bevor. Und bei dieser Transformation möchte ich nicht dabei sein.

Thea Suh twitter unter @Novemberbeetle

Ich habe keine Zweifel, dass diese Partei in der Gesellschaft ankommen wird, denn nur weil keine offen ausgewiesene Nazis mehr nach dem 2. Weltkrieg im Bundestag saßen, bedeutet es nicht, dass es plötzlich keine Rechtsradikalen mehr in der Bundesrepublik Deutschland gab oder gibt. 

Die AfD gibt den Pöblern, den gewalttätigen Hooligans, den Anzugträgern und den Unzufriedenen eine hässliche Stimme. Das neue Sprachrohr verbindet Gesellschaftsschichten, die sonst keinen gemeinsamen Nenner hätten. Und sollte die AfD auch bundesweit zweistellige Ergebnisse einfahren, kann man sich leicht ausrechnen, dass sie Dank Parteienfinanzierung und Image-Booster, nicht einfach so wieder abwählwar wird. Zu tief sind Gräben, insbesondere in Ostdeutschland, zu clever die Funktionäre der AfD, die das ausnutzen werden.

Augen zu und durch – oder?

Der Wunsch, etwas gegen den Rechtsruck bewirken zu wollen, ist mühsam und selbst andere People of Colour (PoC) fragen mich, warum ich Probleme schaffe, wo angeblich keine seien. Idioten gäbe es überall auf der Welt und ich müsse mir nur ein dickes Fell zulegen. „Wirres Zeug“ war etwas, was eine andere PoC mir vorwarf. Nun ja. Jeder hat eine andere Wahrnehmung. 

Wenn harmlose Nachbarn, die ich seit über 15 Jahren kenne, sich so äußern und mir sagen, dass sie die AfD wählen werden, brauche ich kein dickes Fell, sondern einen Reisekoffer. Mordfantasien sind nichts, was ich ignorieren kann. Business as usual? Fehlanzeige.

Genauso wenig kann ich die steigende Aggressivität ignorieren, die mir als PoC entgegenschlägt – besonders seit ich angefangen habe, bei den Grünen zu arbeiten:

„Sowas wie dir gebe ich nicht die Hand.”
„Schmecken deine Hunde gut?”
„Geh zurück in dein Land!”
„Meine Ex-Freundinnen waren alles Asiatinnen. Ich liebe Asien, es ist so ein tolles Land.”
„Oh, Ich wusste nicht, dass du das ‘R’ aussprechen kannst.”
„Ihr seht alle gleich aus, wie erkennt ihr euch??”
„Es ist so exotisch, dass du aus Asien kommst.”
„Ching, chang, chong.”
„Ich hoffe, du wirst zurück nach Nordkorea gebombt.”
„Du bist gar nicht so nett wie ich dachte, nicht wie Asiaten so sind.”‘
„Für ein Schlitzauge ist dein Deutsch echt gut.”

Um eins mal klarzustellen: Ich finde, dass wir trotz aller Unkenrufe, im internationalen Vergleich ein solider Sozialstaat sind, ohne Despoten, mit freier Presse und einer Gesellschaft, die sich erfolgreich gegen Rückschritte gewehrt hat. Abstrakt gesehen, ein Land, in dem tatsächlich Milch und Honig fließen. Mit dem Alltag und dem Alltagsrassismus hat das aber wenig zu tun.

Und plötzlich sind die 1930er wieder da

Kurz vor der Bundestagswahl sehe ich, wie sich menschenverachtendes Gedankengut normalisiert. Es sind keine „Bagatellen“ mehr, sondern Ideologien, die sich immer fester in uns verankern.

Rassisten erhalten zur Prime Time im KiKa Zeit, ihre Hetze spielerisch zu verbreiten. In so einem Land möchte ich nicht leben, ein Land, dass genau weiss, was in den 1930er Jahren passierte  und die Fehler wiederholt.

Die AfD ist eine Partei mit Sympathisanten, die PoC, LSBTTIQ, Hilfesuchende und Andersdenkende entsorgen, aus Hubschraubern werfen oder über den Haufen schießen würden – wenn sie könnten.

Heute im TV, morgen auf dem Schulhof und übermorgen auf der Straße

Wehret den Anfängen, denn was damals Kinderbücher und Kinderlieder waren, sind heute das TV und Smartphone, mit denen Kinder ihre Informationen aufsaugen. Eine Generation wird im Glauben aufwachsen, menschenverachtende Parolen seien nicht so schlimm. Und diese Generation ist unsere Zukunft!

Als PoC steht man sowieso öfters vor der existenziellen Frage, wo man eigentlich dazugehört. Das Land, wo man aufgewachsen ist? Das Land der Eltern? Einige zerreißen sich daran, dass sie weder hier noch da eine Heimat finden.

Angesichts dessen, dass die drohenden Missstände entweder ignoriert („Nazis gehören nicht zu uns”), beschwichtigt (Rechtes Gedankengut im Kinderfernsehen) oder ausgesessen werden, überlege ich, ob es nicht gesünder für meinen Seelenfrieden wäre, in den nächsten Jahre auszuwandern.

Ich bin lieber eine Fremde in einem fremden Land, anstatt zu einer Fremden in meiner Heimat zu werden

Es ist nicht die romantische Idee eines Weltbürgers, die mich antreibt. Und natürlich gibt es kein Utopia, kein Land ohne Probleme. Aber angesichts der Lage in Deutschland frage ich mich: Ist es nicht besser, eine Fremde in einem fremden Land zu sein, als zu einer Fremden in der eigenen Heimat zu werden?

Ich möchte mich nicht länger rechtfertigen müssen, dass ich das Recht habe Deutschland meine Heimat zu nennen, aber mir ist bewusst, dass Menschen, die beispielsweise die AfD wählen, mich wegen meines Aussehens nie akzeptieren oder wenigstens tolerieren werden. Nicht nur bei AfD-Wählerinnen und -Wählern, auch im Alltag ist nicht immer klar, dass man als PoC „dazugehört“. Erinnert ihr euch noch an die Journalistin, die für einen Flüchtling gehalten wurde?

Länder wie Neuseeland und Kanada erscheinen mir, trotz der hohen Anforderungen an potentielle Einwanderer, multikultureller und offener. Paradoxerweise wären die Voraussetzungen eines Neustarts sogar besser, da ich dort als Einwanderer mit den gleichen Vorurteilen zu kämpfen hätte, mit denen ich in Deutschland (als Deutsche!) sowieso tagtäglich konfrontiert werde.

Leider zeigt mir die neue, hippe Offenheit der Rechtsradikalen nur, dass Deutschland den Anschluss in Sachen Diversität verpasst hat. Oder besser: Die Regierung hat es nicht interessiert. Integration ist keine Einbahnstraße und kein Selbstläufer.

Goodbye, Deutschland? Hoffentlich nicht!

Um ein ganzes, deutsches Leben für ein anderes Land vorzubereiten braucht es einiges: Mobilität, Sprachkenntnisse, und Nerven aus Stahl, um Behördengänge durchzustehen. Abschlüsse müssen anerkannt, Beglaubigung beantragt werden und, und, und. Solange ich die Kraft habe, diese Dinge zu erledigen, lege ich mir einen Plan B zurecht. Und ich bin nicht die einzige PoC, die daran denkt, in den nächsten fünf Jahren wegzuziehen. Die Sozial- und Finanzpolitik und das Auftreten Deutschlands in der Außenpolitik – diese Faktoren tragen dazu bei, dass viele in meinem Umfeld immer skeptischer werden und hier keine Zukunft mehr sehen.

Den Vorwurf, dass man vor Rechten nicht kapitulieren darf, weise ich von mir.
Selbstschutz und Zukunftsplanung sollten niemandem abgesprochen werden.

Ich kämpfe natürlich um jede Stimme, die beim Bundestagswahlkampf am 24. September 2017 abgegeben wird. Jede Stimme, die sich gegen Rechtsradikale stemmt und sich für eine Zukunft ohne Hass entscheidet, zählt. Deswegen hoffe ich auch sehnlichst, dass meine Koffer ungepackt verstauben und meine Befürchtungen nichts weiter sind als Schall und Rauch. Weißer Rauch.

Hinweis der Redaktion: Dorothea Suh arbeitet als Geschäftsführerin bei den Grünen-Nord. Sie bloggt auch auf ihrem Blog Novemberbeetle. Stimmen von Frauen aus weiteren Parteien findet ihr hier bei uns.

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