Der Weg zur oft beschriebenen „inneren Kündigung“ von Mitarbeiter*innen ist gepflastert mit mehreren kleinen Ereignissen, denen wenig Beachtung geschenkt wird. Unsere Community-Autorin plädiert dafür, genauer hinzuschauen, um gegensteuern zu können.
Alle wollen einen guten Job machen!
Ich unterstelle mal den meisten Führungskräften, dass sie einen guten Job machen wollen. Wieso passiert es dann trotzdem, dass Mitarbeiter*innen auf einmal weniger Engagement zeigen, sich beschweren oder sogar kündigen? Der Weg zur oft beschriebenen „inneren Kündigung“ ist in aller Regel gepflastert mit mehreren Ereignissen, die einzeln betrachtet nicht allzu wichtig erscheinen, in der Summe jedoch gravierende Folgen für den*die einzelne*n und die ganze Organisation haben können. Ich möchte euch dafür sensibilisieren, einzelne Ereignisse wahrzunehmen und die Pflastersteine als mögliche Stolpersteine zu erkennen.
Schauen wir uns dazu drei wahre Beispiele an.
Drei Geschichten – eine Gemeinsamkeit
1. Jetzt erst Recht!
Katharina hat ihren beiden Kolleg*innen gerade eine neue ambitionierte Idee vorgestellt. Die zwei haben, wider Erwarten, ausschließlich Befürchtungen geäußert, warum das Vorhaben nicht umsetzbar ist. Katharina ist sich jedoch vollkommen sicher und sagt sich: „Jetzt erst Recht!“ Für den nächsten Tag hat sie ein Gespräch mit ihrer Chefin vereinbart, die sie von ihrem Vorhaben überzeugen möchte.
2. Ordnung ist das halbe Leben.
Martin kommt aus dem Büro nach Hause und registriert sofort, dass seine Tochter wieder ihre kompletten Habseligkeiten im Haus verteilt hat. Er will es doch nur gemütlich haben, wenn er zu Hause ist. Nur ein paar Worte später kommt es zum Gefecht. Nachdem seine Tochter sich wütend auf den Weg in ihr Zimmer begeben hat, setzt er sich auf das Sofa und denkt an das Gespräch mit seiner Vorgesetzten heute im Büro. Sie hat ihn zwar nicht direkt kritisiert, schien aber nicht angetan vom Verlauf des heutigen Kundentermins. Den hatte Martin allerdings genauso geplant.
3. Hier wird man gebraucht.
Lena hat bei der Arbeit wenig zu tun. Sie spricht nicht darüber, denn sie möchte vor den Kolleg*innen nicht als Streber gelten. Um die Befürchtung ihres Chefs nicht zu befeuern, dass sich das Team in andere Teams auflösen müsse, erwähnt sie auch ihm gegenüber nichts. Sie hat jetzt neuerdings privat ein Amt im Verein übernommen. Dort trifft sie auch auf Menschen, die sich engagieren. Dort herrscht insgesamt eine wertschätzende Atmosphäre.
Was vereint diese Geschichten?
Auf den ersten Blick so unterschiedlich, vereint doch alle eines: Katharina, Martin und Lena haben frustrierende Dinge erlebt! Als Vorgesetzte*r bemerke ich dies jedoch wahrscheinlich nicht. Vielleicht reagiere ich sogar selbst wie eine*r der drei.
Was hat das mit mir als Führungskraft zu tun?
Man könnte nun denken: „Das ist deren Sache…darum muss ich mich als Führungskraft nicht kümmern und außerdem bin ich mit eigenen Problemen gesegnet.“ Zudem könnte man argumentieren, dass man sich so gut versteht, dass er*sie das Gespräch suchen würde.
Weder Katharina, Martin noch Lena sind sich jedoch unbedingt darüber bewusst, dass sie Strategien anwenden, um mit dem Gefühl von Misserfolg umzugehen. Diese sind auch wichtig, um mit den täglichen Gegebenheiten umzugehen.
Als sozial kompetente Führungskraft kann ich jedoch einen Unterschied machen. Dadurch, dass ich zuerst einmal genau hinsehe und WAHRNEHME.
Woran kann ich als Führungskraft erste Anzeichen für Frust bei meinen Mitarbeiter*innen erkennen?
1. Jetzt erst Recht! alias Reaktanz
Katharina bleibt nicht lange geknickt nach dem Gespräch mit den Kolleg*innen. Als selbstbewusste Person, die weiß, was sie kann und will, lässt sich Katharina nicht so schnell entmutigen und handelt.
Praxistipp: Als Führungskraft könnte ich hier zum Beispiel in einer vehementen Argumentation von Katharina einen kleinen Hinweis bekommen. Zirkuläre Fragen (nach dem Umfeld), wie „Wen würde die Idee ebenfalls betreffen?“ bieten sich an, um zu erfahren, wie weit Katharina bereits in die Abstimmung gegangen ist und wie sie selbst Aspekte bewertet. Die Aufgabe wird dann darin liegen, die unterschiedlichen Einschätzungen zu bewerten und gegebenenfals zu synchronisieren.
2. Ordnung ist das halbe Leben alias Aggressionsverschiebung
Martin hat seinen Ärger im vorangegangenen Beispiel verschoben. So können vor allem Autoritätspersonen unbeschadet bleiben, während die Aggression an andere Menschen in unserer Umgebung adressiert wird. Auch wer nach der Arbeit erst sporteln „muss“, sucht hier möglicherweise sein Aggressionsventil.
Praxistipp: Nicht jeder Streit der Familie oder Sportwunsch weist auf Frust im Job hin. Als nicht betroffene Person kann ich dies schwer unterscheiden. Als Vorgesetzte*r hilft aktives Zuhören, Nachfragen und auch Interesse für das Privatleben zu zeigen. Wichtig: unbedingt mit der Haltung Fragen stellen, dass jedes Verhalten okay ist, da es für jedes Verhalten einen Grund gibt. Wir suchen ja nach Faktoren, auf die man einen Einfluss nehmen kann.
3. Hier wird man gebraucht alias Kompensation
Bevor der Frust über die Sinnlosigkeit der Arbeit bei Lena zu groß wird, sucht sie sich außerhalb der Arbeitszeit eine erfüllende Tätigkeit in Form ihres Ehrenamtes.
Praxistipp: Auch nicht jedes Engagement außerhalb des Jobs bedeutet Kompensation. Dies kann man als Führungskraft in einem vertrauensvollen Gespräch näher beleuchten. Wer selbst positiv und lösungsorientiert in die Zukunft schaut, überträgt dies auch auf Kolleg*innen.
Die Mitarbeiter hätten auch anders reagieren können – drei weitere Anzeichen
Katharina, Martin und Lena hätten in den vorangegangen Beispielen genauso gut anders reagieren können. Zum Beispiel hätte Katharina sich ebenso von ihren Kolleg*innen in eine Art Schmollwinkel zurückziehen können, was ein Anhaltspunkt dafür gewesen wäre, dass sie eine Strategie aus der Kindheit anwendet (4. Regression). Martin hätte noch bei der Arbeit sofort mit seinen Kolleg*innen ins Fachsimpeln verfallen können, was ein Anzeichen gewesen wäre, dass er Erlebnisse rational verarbeitet (5. Rationalisierung). In Lenas Fall wäre auch ein zunehmendes körperliches Unwohlbefinden denkbar. Einige körperliche Symptome wie Magenbeschwerden, Übelkeit oder Schwindelgefühle, Kopf-, Nacken- oder Rückenschmerzen oder Kreislaufprobleme können (müssen aber nicht) Ausdruck von Stress oder. Frust sein (6. Konversion).
Wie kann ich als Führungskraft reagieren, wenn ich eine der Strategien vermute?
Wichtig ist, sich vor jeder Reaktion zu vergegenwärtigen, dass das Verhalten, welches wir an anderen oder an uns selbst wahrnehmen, keinesfalls negativ und als „Verhaltensauffälligkeit“ zu bewerten ist. Jedes Verhalten hat einen Grund. In diesem Falle dienen sie der bestmöglichen (und sozialverträglichen) inneren Konfliktlösung und sind daher auch als solche wertzuschätzen. Als Führungskraft ist es wichtig, dass ich auch die potenzielle „Not“ hinter dem Verhalten sehe und Verständnis dafür aufbringe. Um auszuschließen, etwas in Reaktionen „hineinzuinterpretieren“, sollte ich ein vertrauensvolles Gespräch mit dem*der Mitarbeiter*in suchen. Hier hilft es, Auslöser zu besprechen, die für möglichen Ärger zuständig waren und diese nach Möglichkeit zu verändern/anzupassen.
Fazit
Wenn der Weg zur „Inneren Kündigung“ von Mitarbeiter*innen gepflastert ist mit kleineren unauffälligeren Ereignissen, dann haben wir die Möglichkeit, diese als Stolpersteine wahrzunehmen. Natürlich arbeiten wir nicht in einem Vakuum und haben als Führungskraft begrenzte Möglichkeiten. Diesen Einfluss wahrzunehmen sollten wir jedoch nicht verpassen, da wir die Anzeichen nicht bemerkt haben.
Viel Spaß beim bewussten Wahrnehmen! Oder wie Gandhi sagte: Be the change you want to see in this world!
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