Foto: © Wild Bunch Germany

Der Film „Bombshell“ ermutigt dazu, sich gegen strukturellen Sexismus zu wehren

Das Kinodrama „Bombshell“ beschreibt, wie der Chef des US-amerikanischen TV-Senders Fox News Mitarbeiterinnen belästigte. Und wie die Frauen den Mut fanden, seine Übergriffe öffentlich zu machen. Eine Kritik. 

Struktureller Sexismus beim rechtspopulistischen Nachrichtensender

Achtung: Diese Kritik enthält Spoiler.

Kayla Pospisil (Margot Robbie) wittert ihre Chance auf einen Karriereboost. Ihr Chef, Fox-News-Oberhaupt Roger Ailes (John Lithgow), hat die junge Redakteurin zu sich ins Büro bestellt. Mit klugen Worten und Elan will Kayla ihn davon überzeugen, sie als Moderatorin zu beschäftigen. Doch Ailes interessiert sich kaum für die fachliche Kompetenz seiner Mitarbeiterin. „Drehen Sie sich mal“, ordnet er beim Treffen unter vier Augen an. Und dann: „Ziehen Sie das Kleid hoch. Höher. Höher.“

Margot Robbies Figur Kayla ist erfunden. Der strukturelle Sexismus beim rechtspopulistischen US-Nachrichtensender Fox News, von dem das Drama „Bombshell“ erzählt, ist es nicht. In Kaylas Geschichte verdichtet der Film die Erlebnisse mehrerer Frauen, die Roger Ailes sexuell belästigte. Über Jahre hinweg. Geschützt von Mitarbeiter*innen, die ihren Job nicht verlieren wollten oder die aus Loyalität wegsahen.

Moderieren? Nur in knappen Kleidern

Erst 2016 bietet die Moderatorin Gretchen Carlson (im Film gespielt von Nicole Kidman) Ailes die Stirn. Nach ihrer Kündigung beschließt sie, öffentlich über ihren Chef auszupacken – und löst damit einen Medienskandal aus.

Mit einer Kameraführung wie aus einem Dokumentarfilm fängt Regisseur Jay Roach die Stimmung im Fox News-Büro ein: Mitarbeiter*innen spielen Carlsons Anschuldigungen herunter. Frauen verteilen Team-Roger-T-Shirts, mit denen die Belegschaft ihre Solidarität zeigen soll. Auf den Fluren versichern Mitarbeiter*innen am Telefon Journalist*innen anderer Medien, bei Fox News gäbe es keinen Sexismus. Das alles passiert, während im Studio nebenan Kolleginnen in knappen Kleidern an einem Glastisch sitzen, der den Zuschauer*innen einen freien Blick auf ihre Beine erlaubt.

Die betrieblichen Hilfesysteme sind vermint

Auch auf die Moderatorin Megyn Kelly (Charlize Theron) übt das Kollegium Druck aus: Sie soll ihre Popularität zugunsten von Ailes einsetzen. Kelly allerdings schweigt. Sie ist zu Beginn ihrer Karriere vom Fox-News-Chef belästigt worden und nun hin- und hergerissen, auf welche Seite sie sich stellen soll.

Im Gespräch mit ihrem Team verdeutlicht sie in einer eindrucksvollen Szene, dass es nahezu unmöglich für Mitarbeiterinnen ist, sich gegen den Sexismus beim TV-Sender zu wehren: weil alle mit drin stecken. Weil selbst die betrieblichen Hilfssysteme vermint sind. Wer aufbegehrt, wird als Männerhasserin tituliert, ausgegrenzt oder – wie Gretchen Carlson – fallengelassen.

Dass die Frauen schweigen, hat auch mit dem Image des rechtspopulistischen Senders Fox News zu tun. Hat man mit diesem Arbeitgeber im Lebenslauf überhaupt noch eine Zukunft woanders im Journalismus? Und wenn man aussagt: Kann man auf die Unterstützung des linken Lagers hoffen, nachdem man bei dem Trump-nahen Sender gegen Migrant*innen Stimmung gemacht und konservative Werte propagiert hat? Viele, wie Kaylas Kollegin Jess (Kate McKinnon), schweigen auch deshalb und lassen den Sexismus weiter über sich ergehen.

Obwohl „Bombshell“ zwischen mehreren Protagonistinnen hin und her springt, gelingt es dem Film, in das Innenleben jeder Figur ausreichend Einblick zu geben, um ihr Hadern nachvollziehbar zu machen. Die Unsicherheit ist groß. Egal, auf welcher Karrierestufe sich die Frauen befinden.

Der Exit als Lösung

Am Ende, das hat die Realität längst gespoilert, spricht Megyn Kelly. Sie überwindet ihre Angst vor einem vermeintlichen Imageschaden oder Karriereende. Auch dank ihrer Aussage verliert Roger Ailes letztlich seine Machtposition.

Ebenso wird der Moderator Bill O’Reilly nach Vorwürfen der sexuellen Belästigung gefeuert. „Bombshell“ erwähnt dies lediglich am Rand. Der Film bleibt bei seinen Protagonistinnen und ihren Ängsten und entfaltet dank der Hauptdarstellerinnen eine enorme Empathie in den Zuschauer*innen. Mit jeder Szene steigert sich die Wut: auf die Männer, die ihre ekligen Avancen als vermeintlich gutgemeinte Unterstützung tarnen. Und auf die Mitarbeiter*innen, die tatenlos dabei zusehen.

Obwohl am Ende unklar bleibt, ob sich nach dem Ausscheiden von Roger Ailes und Bill O’Reilly etwas bei Fox News geändert hat – die Glastische und knappen Kleider vor der Kamera sind bis heute geblieben –, findet Bombshellzu einem positiven Abschluss. Indem der Film den Mut und Zusammenhalt der Frauen pompös feiert. Mit epochalen Streicherklängen und siegreichen Blickwechseln der Protagonistinnen.

Kaylas tapfere Geste in der letzten Szene, dem furchtbaren Arbeitsklima bei Fox News den Rücken zu kehren, fällt zwar ein bisschen schmalzig aus. Aber „Bombshell’s“ Hollywood-eskes Finale mag einen nützlichen Effekt mitbringen: Die Mitarbeiter*innen von Unternehmen, in denen sich ähnliche Strukturen verkrustet haben wie bei Fox News, zum Kampf zu ermutigen.

Der Originaltext von Mark Heywinkel ist bei unserem Kooperationspartner ze.tt erschienen. Hier könnt ihr ze.tt auf Facebook folgen.

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