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Die Angst vor einer Geburt in der Corona-Krise

Autor*in
Karolina Warkentin

Eigentlich würde ich mich mit Damm-Massagen, Heublumenbädern und Atemtechniken beschäftigen. Stattdessen denke ich wenige Wochen vor der Geburt unserer Tochter nur noch darüber nach, ob mein Partner die Geburt miterleben darf und was das für uns bedeutet.

Schlechtester Zeitpunkt für eine Geburt

Noch 24 Tage bis zum errechneten Geburtstermin. Ich bin schwanger in der 37. Woche. Die Kliniktasche steht gepackt vor der Haustür. Ich weiß, dass es ab jetzt jeden Tag so weit sein könnte. Doch jeden Abend kurz vorm Schlafengehen rede ich unserer Tochter gut zu: „Nicht jetzt kleiner Schatz. Wir müssen uns noch gedulden. Bleib noch etwas in Mamas Bauch.“

Corona-Krise. Das Land steht still. Schulen, Kitas, Restaurants, Bars, Sportstätten, Museen und ein Großteil der Geschäfte haben geschlossen – das öffentliche Leben findet nicht mehr statt. Die Straßen sind menschenleer. Wir sind angehalten, zuhause zu bleiben, auf soziale Kontakte jeglicher Art zu verzichten und Haus oder Wohnung – wenn möglich – nur zu verlassen, um einzukaufen oder zum Arzt zu gehen.

Wer kann und nicht zu den systemrelevanten Berufsgruppen zählt, arbeitet im Home Office. Eine nie dagewesene Situation. Dieses Virus verändert unser Land. SARS-CoV-2 stellt unsere Gesellschaft vor ungeahnte Herausforderungen. Im Gesundheitswesen sind diese am deutlichsten zu spüren. Desinfektionsmittel, Schutzkleidung, Beatmungsgeräte sind Mangelware. Reichen die intensivmedizinischen Kapazitäten der Krankenhäuser?

Gestresste Hebammen

In der aktuellen Lage ein Kind zur Welt zu bringen, erscheint mir undenkbar. Schon bei der Geburtsanmeldung vor wenigen Wochen habe ich gemerkt, dass aktuell alles anders ist. Bereits am Eingang zur Frauenklinik werden mein Mann und ich von einem Hinweisschild empfangen, dass der Spender mit Desinfektionsmittel aufgrund von Diebstahl nicht mehr aufgefüllt wird.

Vor den Aufzügen kleben Aushänge, die darüber informieren, dass die Besuchszeiten eingeschränkt wurden. Im Kreißsaal empfängt uns eine gestresste Hebamme. Eine Geburt anmelden? Sie schaut mich entgeistert, fast schon entsetzt an. Ich bin verwirrt, fühle mich hilflos. Der Krankenstand im Team sei sehr hoch, sie müsse sich alleine um alles kümmern, sagt sie entschuldigend. Ich solle mich auf eine lange Wartezeit einstellen, dann würde sie meine Daten aufnehmen.

Geburtsanmeldung im Schnelldurchlauf

Mit einem unguten Gefühl sitze ich vor dem Kreißsaal. Zweifel an der Wahl der Klinik beschleichen mich. Hatte die leitende Hebamme bei der Kreißsaalführung nicht gesagt, dass immer mindestens zwei Hebammen in einer Schicht arbeiten? Sie hatte aufmunternd gelächelt und darüber gesprochen, wie sie Frauen bei einer selbstbestimmten Geburt begleiten. Ist das jetzt hinfällig?

Als wir schließlich drankommen, dauert das Anmelden der Geburt nur wenige Minuten. Das Gespräch ist mehr oder weniger ein reines Abfragen der Daten. Die Hebamme schaut in meinen Mutterpass, stellt mir noch ein paar kurze Fragen. Das war’s. Wie ich mir die Geburt vorstelle, was ich möchte und was ich nicht möchte, darüber sprechen wir gar nicht.

Tränen der Enttäuschung

Ich habe lauter Fragen, die ich der Hebamme stellen möchte, tue es aber nicht, um nicht mehr Zeit als unbedingt nötig zu beanspruchen. Mir ist bewusst, dass es auch für sie sicherlich keine einfache Situation ist. Enttäuscht bin ich trotzdem. Tränen schießen mir in die Augen auf dem Weg hinaus. „Mach dir keine Sorgen. In wenigen Wochen ist die Situation bestimmt besser“, sagt mein Mann zu mir.

Doch das Gegenteil ist der Fall. Die Situation in den Krankenhäusern spitzt sich zu. Zu den Vorsorgeuntersuchungen darf man nur noch alleine kommen. Besuche sind nicht mehr gestattet. Einige Kliniken gehen sogar so weit, dass sie es Vätern und anderen Begleitpersonen nicht mehr ermöglichen, bei der Geburt im Kreißsaal anwesend zu sein.

Zutrittsverbot für Begleitpersonen im Kreißsaal

Eine Freundin leitet mir einen Zeitungsartikel weiter, in dem steht, dass das Uniklinikum Bonn bereits ein Zutrittsverbot für Begleitpersonen im Kreißsaal ausgesprochen hat. Ich bin fassungslos. Schutz von Personal und Patient*innen sei der Grund. Mein Verstand bemüht sich, diese Information zu erfassen und Verständnis für die Entscheidung des Klinikums aufzubringen. Ich weiß, wie wichtig es ist, dass in der aktuellen Situation das medizinische Personal bestmöglich vor einer Ansteckung mit dem Virus geschützt wird, denn sie sind diejenigen, die Erkrankte versorgen müssen. Ein Schock ist diese Nachricht trotzdem. Wie eine Welle überschwemmt mich die Tragweite dieser Entscheidung.

Sollte auch mein Krankenhaus eine solche Entscheidung treffen, werde ich unsere Tochter alleine zur Welt bringen müssen. Alleine. Ich drohe, in einem Meer aus Panik zu ertrinken. In meiner Not klammere ich mich an Google als Rettungsanker und versuche herauszufinden, wie viele Kliniken und Krankenhäuser bereits ein Zutrittsverbot für den Kreißsaal ausgesprochen haben. Eine allgemeingültige Regelung gibt es nicht. Jedes Krankenhaus kann die Entscheidung individuell treffen. Auf der Website meines Krankenhauses gibt es keine offizielle Information dazu.

Doch eine Hausgeburt?

Ich verbringe endlose Stunden damit, fieberhaft nach einer Lösung zu suchen. Welches Krankenhaus in der Nähe erlaubt Begleitpersonen? Ambulante Geburt? Hausgeburt? Ja, ich weiß, dass eine Hausgeburt Monate im Voraus geplant werden muss. Ich weiß auch, dass es nur sehr wenige Hebammen gibt, die überhaupt Hausgeburten betreuen. Eine zu finden, wäre schon bei rechtzeitiger Planung und Vorbereitung ein Sechser im Lotto.

Doch in meiner Angst habe ich jegliche Rationalität über Bord geworfen. Ich stelle mir bereits vor, unsere Möbel im Wohnzimmer mit Malerfolie abzudecken. Eigentlich völliger Quatsch, aber der Gedanke hat etwas Tröstendes.

Angst davor, alleine im Kreißsaal zu sein

Ich habe einfach Angst und mache mir unglaubliche Sorgen. Die Geburt ist für mich als Erstgebärende sowieso mit Ungewissheit und Unsicherheit verbunden. Werde ich die Schmerzen unter den Wehen aushalten können? Bin ich der körperlichen Belastung über Stunden gewachsen? Wird es zu Komplikationen oder Geburtsverletzungen kommen? Was mir angesichts dieser vielen Unbekannten immer Kraft gegeben hat, war die Gewissheit, dass mein Mann bei mir sein würde. Dass wir, egal was passiert, die Situation gemeinsam meistern würden. Die Aussicht, das könnte nun anders kommen, hinterlässt das Gefühl, der vor mir liegenden Herausforderung nicht gewachsen zu sein. Ganz und gar nicht.

Was passiert, wenn unter der Geburt eine schwierige Entscheidung getroffen werden muss und ich nicht in der Lage dazu bin? Wer trifft diese Entscheidung dann? Was passiert, wenn ein Notfall-Kaiserschnitt notwendig wird? Wer informiert meinen Mann? Und die beängstigendste Frage von allen: Wie wird damit umgegangen, wenn unserer Tochter während der Geburt etwas zustößt, sie die Geburt nicht überlebt?

Ungerecht für den Vater

Der Gedanke, dass mein Mann die Geburt unter Umständen nicht begleiten darf, macht mich auch unendlich traurig, weil es ihm gegenüber einfach ungerecht ist. Er freut sich so sehr auf unsere Tochter. Bei allen wichtigen Vorsorgeuntersuchungen war er dabei. Den Geburtsvorbereitungskurs hat er gemeinsam mit mir gemacht, mir Damm-Massage-Öl und Stillbücher gekauft. Während der gesamten Schwangerschaft war er involviert und wollte aktiv an der Entwicklung unseres Babys teilhaben. Ihn nun vom Höhepunkt – der Geburt – auszuschließen wäre nicht richtig. Der Moment, der für viele Menschen zu den prägendsten in ihrem Leben gehört, würde ihm einfach genommen werden. Das lässt sich später auch nicht nachholen.

Ich rufe im Kreißsaal unseres Krankenhauses an und erkundige mich nach dem derzeitigen Stand. Noch gibt es kein Zutrittsverbot für Väter. Eine gute Nachricht. Wie sich die Situation in den kommenden Wochen entwickeln werde, könne sie jedoch nicht sagen, sagt die Hebamme am Telefon. Uns bleibt nichts anderes übrig, als abzuwarten und zu hoffen.

  1. Danke für die große Offenheit und den bewegenden Artikel. Es sind diese Geschichten, die uns in Heidelberg veranlasst haben, auf einer Webseite Informationen aus den Kliniken über Begleitpersonen und Besuchsmöglichkeiten in den Geburtshilfestationen bereit zu stellen. Damit Frauen und Familien sich wenigstens informieren können. Ich wünsche dir viel Kraft für die bevorstehende Geburt.

    1. Danke für den guten Text. Mir geht es ähnlich. Da ich schon eine Tochter habe, kommt bei mir und meinem Mann noch die Sorge hinzu, was es wohl mit ihr macht, wenn sie mich und ihre kleine Schwester nicht sehen darf, falls mir keine ambulante Geburt gelingt. Was mir in der Vorbereitung aber geholfen hat ist der Film http://www.die-sichere-geburt.de und der Podcast die friedliche Geburt von Kristin Graf. Beides stärkt das Selbstvertrauen.

  2. Ich bin 38. Woche mit unserem ersten Kind. Mein Mann sitzt wegen Corona mit geschlossenen Grenzen in Palästina fest. Keine Ausreise in Sicht. Ich werde alleine bei der Geburt sein und wahrscheinlich auch die ersten Wochen danach.
    Wie akzeptiert man das? Ich versuche es, aber es fällt schwer. Aber ich will Platz machen für die Freude auf unsere Tochter und auch das Einlassen auf die Geburt die sowieso nicht planbar ist. Hin und her zwischen Trauer und Vorfreude. Das zehrt.

  3. Ich bedanke mich für diesen Beitrag. Auf meinem Blog habe ich eine Liste mit hilfreichen Beiträgen zu Corona und Geburten. Ich habe diesen Artikel dort verlinkt: https://ichgebaere.com/2020/03/19/corona-und-geburt-linkliste/

    Außerdem führe ich seit Mitte März eine Liste mit Infos zu denjenigen Kreißsälen, die sich öffentlich geäußert haben, ob sie Väter bei den Geburten zulassen: https://ichgebaere.com/2020/03/23/vaeter-im-kreisssaal-trotz-und-wegen-corona/

    Davon ganz abgesehen wünsche ich dir von Herzen, dass du die Geburt deines Kindes unabhängig von den äußeren Faktoren als bereicherndes Erlebnis ansiehst!

    herzliche Grüße,
    Katharina

  4. Zum Glück kam meine Tochter kurz vor der Krise zur Welt. Wäre ich jetzt mit einem zweiten schwanger und hätte die Wahl zwischen ohne Begleitung in der Klinik und mit Begleitung zu Hause: ich würde wohl die zweite Option wählen. Aber bei der ersten Geburt ist das natürlich nochmal eine weit schwierigere Entscheidung…

    Und zum Aufnahmegespräch: Insistieren, wenn nötig mit Nachdruck, und besprechen, was man nicht will. Und darauf, dass es schriftlich festgehalten wird. Ich habe in den Wochen vor der Geburt selbst eine Modifikation zum Einwilligungsformular des Krankenhauses entworfen und bei meiner Unterschrift unter demselben auf dieses verwiesen. So ist es nämlich eine rechtgültige Erklärung und kein “Geburtsplan”-Wunschzettel.

    Keine Angst, sich unbeliebt zu machen. “Die Irre”, bei der der Anwalt schon um die Ecke winkt wird im Zweifel immer noch besser (weil vorsichtiger) behandelt als die brave Patientin. Letztere kommt im Zweifel unter die Räder bzw. bekommt unnötigerweise einen Wehentropf und Dammschnitt verpasst, damit man schneller wieder den Kreißsaal frei hat.

    Grüße von einer erstmals geboren habenden mit intaktem Damm und intakter Psyche. 🙂

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