Unsere Autorin ist Berufsanfängerin und möchte mit ihrer Leidenschaft Geld verdienen. Das ist ein Privileg – und macht ziemlichen Druck. Ein Kommentar
Meine naive Jobvorstellung
Wochenlange Recherche, spannende Reportagen schreiben, Fotografieren und Interviews mit bekannten Persönlichkeiten führen. So – oder so ähnlich – stellte ich mir den Beruf als Journalist*in vor. Mittlerweile habe ich das vierte Semester meines Crossmedia-Redaktion Studiums abgeschlossen und mit ihm meine naive Traumvorstellung meines späteren Berufs begraben. Immerhin arbeite ich jetzt für sechs Monate bei einem Online Magazin in Berlin, treffe inspirierende Menschen und lasse mich vom monoton summenden Bass der Stadt einsaugen. Okay, in diesem Punkt hat mir die Corona-Krise einen Strich durch die Rechnung gemacht. Aber was noch nicht ist, kann ja noch werden. Zurück zu mir und meiner beruflichen Zukunft.
Große Freiheit vs. Sicherheit
Es ist schwierig. Mit meinen 21 Jahren kann ich zwar über viele Vorstellungen meines 18-jährigen Bruders nur schmunzeln und ihnen den Stempel „Jugendliche Naivität“ verpassen. Dennoch bin ich weit entfernt vom Pragmatismus meines Vaters oder der Zielstrebigkeit einiger Freund*innen. Mein Studium mit dem Schwerpunkt Crossmedia Redaktion macht mir Spaß. Ich habe ein Auge für Schönes, bin wortgewandt und interessiere mich für Menschen und deren Geschichten – das war immer mein Steckenpferd. Deshalb wollte ich „was Kreatives“ machen, schreiben und deshalb wollte ich für mein Praxissemester nach Berlin. Und was nach dem Abitur eine aufregende Illusion aus wilden Studierendenpartys, Altbau-WG-Zimmern mit hohen Decken und grenzenloser Freiheit in einer neuen Stadt ist, wird langsam ernst. Es geht um meine Zukunft. „Wo willst du später arbeiten?“, „Verdient man in der Branche überhaupt noch was? “, „Crossmedia-Redaktion? Ach so, also irgendwas mit Medien.“
Und genau da liegt das Problem: Viele dieser Fragen kann ich nicht beantworten, habe keinen blassen Schimmer, wie genau der richtige Job für mich aussehen könnte. Vielleicht sind meine Träume noch zu groß, ich zu naiv, so dass die Vorstellung eines 9-to-5 Jobs (wobei es ja eigentlich 9-to-6 heißen müsste) mit sicherem Einkommen mein Herz nicht höher schlagen lässt. An manchen Tagen sehne ich mich nach mehr künstlerischer Freiheit in meinem Studium und stelle mir die Frage: Will ich meine Karriere überhaupt von meiner Kreativität abhängig machen?
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Ein Privileg, keine Selbstverständlichkeit
Mich kreativ in Wort, Bild und Ton auszuleben, bedeutete für mich immer, etwas zu schaffen, das frei von der Vorstellung anderer Menschen ist und keinen Ansprüchen gerecht werden muss. Ich kann meinen Interessen nachgehen und selbst festlegen, was ich als wichtig empfinde. Natürlich weiß ich, dass nur die wenigsten Menschen damit ihren Lebensunterhalt finanzieren können und es auch immer Vorgaben im Job gibt. Doch noch scheint es mir, als könnten die Arbeitswelt und das Leben als Student*in nicht gegensätzlicher sein. Auf das Verlangen nach der großen Freiheit antwortet die Arbeitswelt mit Sicherheit.
Auch meiner Freundin Rita geht es ähnlich. Sie kam mit dem Traum, Modedesign zu studieren, nach Berlin. Mittlerweile hat sie ihre Bachelorarbeit – eine eigene Kollektion – abgegeben und steht nun vor der Frage, die sich viele Mittzwanziger*innen stellen: Wie soll es weitergehen? Einen Master machen oder direkt ins Arbeitsleben einsteigen? Und wenn ja, wo will ich arbeiten? „Ich habe erkannt, dass ich das Glück habe, eine Leidenschaft zu haben”, sagt Rita. „Etwas, das in unserer Gesellschaft angesehen ist und gebraucht wird. Und dieses Glück wollte ich nutzen und schauen, wie weit ich es damit schaffe.“
Leidenschaft als Glück?
Das Glück, eine Leidenschaft zu haben. Wir leben in einer Gesellschaft, die uns die Möglichkeit bietet, das zu tun, wofür wir brennen. Dies ist keine Selbstverständlichkeit, sondern ein Privileg. Es muss möglich sein, sich frei von kreativem Druck in seinem Beruf entfalten zu können. „Für einen zufriedenstellenden Arbeitsalltag ist wichtig, dass die eigenen Wünsche, Bedürfnisse und Erwartungen und die der Arbeitsrealität zusammenpassen“, sagt Diplom-Psychologe Hans-Georg Willmann. Vielleicht muss ich noch lernen, dieses Privileg richtig zu nutzen.
Mittlerweile ist mir bewusst, dass es nicht jedem Menschen leicht fällt, auf Knopfduck kreativ zu sein. Zeitlicher Druck ist in einem bestimmten Maß immer nötig, denn „unsere Leistungsfähigkeit wächst mit steigendem Erregungsniveau“, betont Willmann. Allerdings warnt er davor, dass zu viel Druck für eine starke Erregung sorgt. Diese führt dann wiederum zu Stress, welcher für die Produktivität nicht fördernd ist. Vor allem Berufseinsteiger*innen fällt es oft schwer, mit Anforderungen und Erwartungen richtig umzugehen.
Ich selbst ertappe mich hin und wieder dabei, mir einzureden, Feedback nicht persönlich zu nehmen und daraus noch mehr Motivation für meine Arbeit zu ziehen. Gerade beim Schreiben von Beiträgen über ein Thema, das mir am Herzen liegt, ist das oft leichter gesagt als getan. Ich teile meine persönlichen Gedanken, was mich leichter angreifbar und verletzlich macht. Und immer muss man erst beweisen, was man kann, seine eigenen Ideen gut verkaufen, bis man die Chance bekommt, diese zu verwirklichen.
Ich teile meine persönlichen Gedanken, was mich leichter angreifbar und verletzlich macht.
Türen öffnen
Die nächsten Monate sind sowohl für Rita als auch für mich mit Ungewissheit verbunden. Die aktuelle Situation in der Corona-Krise bringt unsere Pläne durcheinander, bringt uns aber auch auf neue Gedanken: Wie soll es weitergehen? Welche Rolle soll die Arbeit später in unserem Leben spielen? Master – ja oder nein?
Für mich war immer klar, dass mein späterer Job mir die Möglichkeit bieten soll, mich entfalten zu können. Keinesfalls sollte er nur den Zweck erfüllen, mir mein Leben zu finanzieren. Dennoch weiß ich, dass viele meiner Erwartungen zu hoch sind: mit dem „perfekten“ Job geht nicht automatisch ein glückliches Leben einher. Abstriche im Beruf ermöglichen private Freiräume – und die sind genau so wichtig für meine Zufriedenheit. Mir stehen alle Türen offen. Ich geben mein Bestes, dass mich diese nicht in einen Zustand der Ohnmacht versetzen, diese vielen Türen. Sondern, dass ich sie einfach mal öffne. Deshalb gehe ich durch die nächste Tür, von der ich jetzt gerade noch nicht weiß, welche sie sein wird.