Unsere Kolumnistin Camille Haldner schreibt über alles, was ihr so richtig auf den Keks geht. Dieses Mal: Ausfluss als konstruiertes Problem.
Wir müssen über Ausfluss reden. Ja, richtig. A U S F L U S S. Aus Vaginen. Hat dieses Wort bei dir Irritation oder gar Ekel ausgelöst? Gut. Also eigentlich ja nicht, aber gut, dass du jetzt hier bist und umso wichtiger, dass du weiterliest. Damit wir dieses Thema ein für alle Mal klären und die Irritation – die diese völlig normale, gesunde und wichtige Körperfunktion bei vielen Menschen auslöst – hoffentlich bald der Vergangenheit angehört.
Seit vergangener Woche kursiert in den sozialen Medien ein knapp einminütiges Video zum Thema Ausfluss. 46 Sekunden lang werden feuchte Vaginen, die Ausfluss absondern, gefeiert. 46 Sekunden lang habe ich mich über dieses Video, über die dadurch geschaffene Entstigmatisierung und Enttabuisierung gefreut. „Feier deine Nässe! Sie ist natürlich“, heißt es gegen Ende des Videos. Und ich denke mir: Ja! Genau!
Bis ich realisiere, dass das Video Teil einer Werbekampagne ist. In den letzten Sekunden des Videos folgt, was ich nicht gebraucht hätte: ein Kaufaufruf für extra saugfähige Unterhosen.
Egal wie toll die ersten 46 Sekunden des Videos sind, wie viele Leute es erreicht hat und damit in bestimmten Kreisen Stigmata abgebaut hat – das Ende hinterlässt bei mir einen üblen Beigeschmack. Denn der ganze Tabubruch-Tanz – so scheint es – wurde nur aufgeführt, um in folgender Message zu kulminieren: Wir haben eine Lösung für dich!
Kurz zurückgespult: Wann genau braucht es Lösungen? Genau: Dann, wenn ein Problem vorliegt. Und das ist der Knackpunkt: Ausfluss. Ist. Kein. Problem.
„Lauter Mist, den kein Mensch braucht“
„Ausfluss ist etwas völlig Normales“, sagt auch die Frauenärztin Sheila de Liz. „Unsere Vagina reinigt sich selbst, und da sie bekanntlich keinen Verschluss nach unten hat, läuft da was raus. Es gibt keine Frau – und das muss ich auch in meiner Praxis relativ oft sagen – deren Unterhose abends genauso aussieht wie morgens, als sie sie angezogen hat. Jeder Mensch mit Vagina hat Ausfluss.“
Sheila de Liz erzählt, dass sie immer wieder – insbesondere jüngere – Patient*innen habe, denen vermittelt wurde, dass Ausfluss etwas Schmutziges, Unnormales sei. „Wenn wir nicht sehr gut vertraut sind mit unserem Körper und uns durch seine Launen verunsichern lassen, sind wir angreifbar von außen. Das merkt man gerade beim Thema Ausfluss daran, wie viele Produkte man uns andrehen will; Intimhygiene-Gel, Sprays für frischen Intimgeruch – lauter Mist, den kein Mensch braucht.“
Ein vom Kommerz betriebener Teufelskreis
Damit das einmal gesagt ist: Ich will niemandem vorschreiben, ob sie*er ein bestimmtes Produkt braucht. Jeder Person, die sich so eine saugfähige Unterhose kaufen will, um sich mit ihrem Ausfluss wohler zu fühlen, sage ich: Go for it. Aber ich würde mir wünschen, dass wir hinterfragen, woher dieses Bedürfnis nach solchen Produkten kommt.
Dass wir uns fragen, ob ein realer Bedarf dahintersteckt und nicht ein durch kluge Marketing-Kampagnen vermitteltes Bedürfnis. Der Wunsch nach einem Produkt, das die gesellschaftlich konstruierte Scham lindert. Scham darüber, dass es zwischen unseren Beinen manchmal feucht, nass oder schleimig ist; Scham darüber, dass wir Spuren in unseren Unterhosen hinterlassen.
Ich frage mich, ob wir überhaupt noch abstrahieren können zwischen realem und vermitteltem, also vermeintlichem Bedarf. Ich denke dabei insbesondere an jüngere Menschen, die sich mit ihrem sich verändernden Körper und neuen „Funktionen“ vertraut machen – und werde ziemlich wütend beim Gedanken, dass sich Teenager*innen wie meine kleine Schwester für etwas schämen, das total natürlich ist.
Ich wünsche mir, dass jede Person ihre Vagina, ihren Ausfluss annehmen und dem Ganzen vielleicht sogar mit Neugierde begegnen kann. Ganz ohne Scham oder Ekel. Dazu rät auch die Frauenärztin Sheila de Liz: „Unser Ausfluss liefert tägliche Statusmeldungen darüber, wo wir uns in unserem hormonellen Zyklus gerade befinden, die Konsistenz und Farbe darf sich im Laufe des Monats ruhig verändern.“
Auffällige, unübliche Veränderungen in der Menge, der Farbe, dem Geruch hingegen könnten ein Anzeichen für eine Infektion* sein. Aber wie sollen wir zwischen üblichen und auffälligen Veränderungen unterscheiden, wenn wir gesunden Ausfluss per se schon wie ein Problem behandeln, das einer Lösung bedarf?
In die gleiche Kerbe schlagen seit Jahrzehnten auch all die Unternehmen, die so absurde Dinge wie parfümierte Slipeinlagen verkaufen. Das ist nicht nur total unnötig – je nachdem, wie empfindlich mensch ist, führt das dann tatsächlich dazu, dass die Flora da unten gestört wird, im schlimmsten Fall eine Infektion entsteht und dann, ja dann kann es sein, dass man plötzlich „übermäßigen“, unangenehmen, schlecht riechenden Ausfluss hat, der behandelt werden muss. Das ist aber nichts weiter als ein vom Kommerz betriebener Teufelskreis.
Ekel und Scham
Die Künstlerin Christine Yahya, besser bekannt als Pink Bits, illustriert all die Dinge, von denen uns vermittelt wird, dass wir sie verstecken sollten: Von Körperbehaarung, über Selbstbefriedigung bis hin zu Fetischen oder Hautkrankheiten. Bei Instagram mit Abstand am häufigsten kommentiert werden ihre Posts zum Thema Ausfluss.
Yahya malt Unterhosen, die weiße Spuren enthalten, schreibt in ihren Posttexten über die Konsistenz von Ausfluss und erklärt, dass dieser je nach PH-Wert bei manchen Menschen sogar zu ausgebleichter Unterwäsche führen kann. „Für meine Kunst schöpfe ich viel aus eigenen Erfahrungen. Habe ich an manchen Tagen mehr Ausfluss in meiner Unterhose, nehme ich das achselzuckend zur Kenntnis und mache mir keine weiteren Gedanken darüber. Das war nicht immer so.“
Als Teenagerin habe sie beim Anblick und Gefühl von Ausfluss Ekel verspürt. Zum Ekel sei noch die Angst dazu gekommen, dass jemand die Spuren in ihrer Unterhose sehen könnte.
Für patriarchale und kapitalistische Zwecke
„Die Angst, jemand anderes könne etwas von so einer doch eigentlich natürlichen Körperfunktion mitbekommen, ist absurd. Deshalb hatte ich das Bedürfnis, das darzustellen, zu normalisieren und einen Diskurs anzuregen“, sagt Christine Yahya. Dass das bitter nötig ist, zeigt sich auch im Kommentarfeld ihrer Posts.
User*innen erklären sich dort gegenseitig, das dieses und jenes normal ist, andere erzählen von den Momenten, in denen sie erstmals realisiert hätten, dass Ausfluss nichts Krankhaftes sei – meist erst viele Jahre, nachdem sie ihn das erste Mal in ihrer Unterwäsche entdeckt haben.
„Auch ich war total erleichtert, als ich realisiert habe, dass ich nicht allein damit bin. Es ist frustrierend, dass uns solche Themen nicht in der Schule und häufig auch nicht von den Menschen um uns herum mitgegeben werden. Es ist an der Zeit, dass sich dieses schädliche Tabu und diese seltsame Scham auflösen“, sagt Christine Yahya.
Warum das Thema ihrer Meinung nach noch immer so tabuisiert und stigmatisiert wird? „Ein Körper, der mit Scham und Verachtung oder als mangelhaft betrachtet wird, nützt patriarchalen und kapitalistischen Zwecken.“ Womit wir wieder beim Ausgangspunkt wären: Um Menschen bestimmte Lösungen verkaufen zu können, müssen wir ihnen erstmal vermitteln, dass es ein Problem gibt.
Wechseln wir Unterhosen etwa nur zum Spaß?
Ich bin davon überzeugt, dass es gar keine coolen Video-Kampagnen braucht, um neue Produkte für Ausfluss zu verkaufen. Das Traurige ist doch: Der Markt ist bereits vorhanden. Schön präpariert durch die jahrzehntelange Arbeit anderer Marketing-Strateg*innen, die uns erfolgreich eingeredet haben, dass unser Körper dreckiges Zeugs absondert, das möglichst von einem Extraprodukt aufgefangen werden sollte, damit der Ausfluss ja nicht in der Unterhose landet.
Aber warum tragen wir denn bitte Unterwäsche? Warum wechseln wir unsere Unterhosen täglich? Etwa zum Spaß? Nein, sondern weil Unterwäsche Flüssigkeiten auffängt, die unser Körper absondert. Und warum sondert er diese Flüssigkeiten ab? Um sich zu reinigen! Und das ist der Punkt, an dem ich mich am liebsten mit einem Megafon auf die Straße stellen und schreien will: Können wir bitte aufhören, einen körpereigenen, ziemlich klugen Reinigungsmechanismus zu problematisieren?!
Klar, wir können von kommerziell arbeitenden Unternehmen nicht erwarten, dass sie etwas aus ehrenamtlichem Goodwill enttabuisieren oder nur für gute PR aufwändige Videos produzieren, die Ausfluss entstigmatisieren. Aber wir können unseren Freund*innen, Angehörigen – und eigentlich der ganzen Welt erklären, dass Ausfluss kein Tabu, sondern eine von vielen Körperfunktionen ist, die einen Zweck erfüllt. Und nichts, das irgendwie behoben, versteckt oder mit Hilfe eines Produkts gelöst werden muss.
In ihrer Kolumne „Wann hören wir endlich auf …?“ schreibt unsere Redakteurin Camille Haldner über all die Dinge, die ihr so richtig auf den Keks gehen. Aussagen und Handlungen, die einer gleichberechtigten, feministischen, aufgeschlossenen Gesellschaft nicht würdig sind – und mit denen wir endlich aufhören sollten.
*Infobox | Frauenärztin Sheila de Liz erklärt, wie gesunder Ausfluss aussieht – und wann man sich medizinischen Rat suchen sollte:
„Ausfluss verändert sich im Laufe des Zyklus. Betrachten können wir unseren Ausfluss als kleine Statusmeldung unserer Vagina. So, dass man einfach die Unterhose morgens prüft und feststellt, wo im Zyklus man sich gerade befindet. Rund um den Eisprung wird der Ausfluss eher durchsichtig, sieht fast wie ungekochtes Eiweiß aus; später im Zyklus kann er weiß-gelb und fester sein, ein bisschen wie angetrockneter Schnodder. Jede Farbe von weiß bis gelblich ist ok. Größere Mengen, also so, dass man das Gefühl hat, die Unterhose ist dauernd nass, kann ein Hinweis auf eine Infektion sein. Diese Infektionen kann der Körper manchmal auch selbst heilen. Also wenn man merkt, der Körper scheidet gerade mehr aus, kann das ein Zeichen dafür sein, dass das eigene System gerade etwas korrigiert. Die Hauptsache ist, dass es nicht übel riecht, nicht juckt und/oder brennt oder grün-gelb oder braun aussieht. Das wiederum können Anzeichen für eine Infektion sein. Braun kann der Ausfluss natürlich auch rund um die Periode sein, aber gelb-grün ist meist ein Indikator, dass man ärztlichen Rat suchen sollte, insbesondere in Kombination mit ungewöhnlichem, übel riechendem Geruch und Juckreiz oder Brennen.“