Unsere Co-Gründerin Nora-Vanessa Wohlert hat für den She’s Mercedes Newsletter die Innovations- und Unternehmensberaterin Louisa Löwenstein getroffen. Sie lebt und arbeitet in zwei Welten: mitten in Berlin – und in einem 250-Seelen-Dorf im Ruppiner Seenland.
Etwa 60 Minuten Autofahrt von Berlin entfernt. Es ist ungemein ruhig. Ab und zu ein Kinderlachen, Vogelgezwitscher, in der Ferne ein Auto, das über die kopfsteingepflasterte Straße schleicht. Seit drei Jahren befindet sich hier das zweite Zuhause und auch der Arbeitsplatz von Louisa Löwenstein und ihrer Familie mit zwei Kindern im Kita-Alter. Den Wunsch, Arbeit und Leben sowie Stadt und Land zu vereinen, hatte Louisa schon lange.
„THE VIELD“ ist ein an neuesten Bürokonzepten und Lernumgebungen orientierter Offsite Innovation Space, der auf Teamarbeit ausgerichtet ist. Die ihm vorausgegangene Frage lautete: Was braucht ein Ort, an dem Innovation entsteht, wirklich? Das Konzept von „THE VIELD“ entstand mithilfe jahrelanger Bedürfnis-Recherche. Gemeinsam mit einem Team der School of Design Thinking am renommierten Hasso-Plattner-Institut, an dem Louisa lehrt, ist sie dieser Frage nachgegangen. „Seminarhäuser, die nach den gleichen Arbeitsvorstellungen wie klassische Büros konzipiert sind, gibt es genug. Wir wollten einen Ort schaffen, an dem Teams nicht in alte Muster verfallen sondern geradezu innovativ arbeiten müssen. Die Weite des ländlichen Raums verbindet sich bei uns mit einer besonderen Team-Experience. Der nicht vorhandene Konferenztisch ist nur ein Ansatz von vielen. Bei uns wird zum Beispiel auch kein Alkohol getrunken. Wir fordern es heraus, alte Arbeitsweisen zu hinterfragen“, sagt Louisa.
„Hier soll wirklich etwas entstehen. Etwas, das bleibt.“
Louisa Löwenstein
„Hier soll wirklich etwas entstehen. Etwas, das bleibt“, das ist die gemeinsame Mision von Louisa und ihrem Mann Caspar Schmick. Und damit das, was bleibt, am Ende nicht nur eine Sammlung bunter Post-its und ein paar gemeinsamer Tage auf dem Land ist, arbeitet Louisa, wenn es geht, am liebsten schon im Vorfeld mit den Unternehmen zusammen. Und je nach Fragestellung begleitet sie mit ihrem Netzwerk auch im Anschluss den Prozess des Wandels. „In einem Unternehmen etwas grundlegend zu ändern, bedeutet immer, bei der Kultur anzusetzen. Und das ist nicht mit dem Definieren von Missionen und Visionen erledigt. Kultureller Wandel braucht Struktur, Strategie und den Willen, wirklich etwas zu ändern. Für dieses Commitment muss die Führung verstehen, dass viele Dinge – wie zum Beispiel Diversität – kein ,Nice to have‘ sind oder ein Zugeständnis, sondern am Ende zu mehr Erfolg führen“, sagt sie.
Die Mischung aus Landleben und stilvoller Atmosphäre lässt mich direkt runterfahren. Zum See sind es von hier aus nur drei Minuten. Die ursprüngliche Kuhstallatmosphäre aus dem Ende des 19. Jahrhunderts ist noch immer spürbar: Heute tut sich hier ein zweistöckiger Innovation Space auf, Altes und Neues wird bewusst miteinander verbunden. Designer-Stühle paaren sich zu Sesseln, stehen neben Stehtischen und einer ganzen Menge Whiteboards.
„Im oberen Stockwerk können die Teams in Private Cubes schlafen. Hier ist alles aufs Wesentliche konzentriert: gute Betten, genug Stauraum und Privatsphäre“, sagt Louisa. Inspiration fand sie in den Schlafkammern eines französischen Klosters und auch in Japanischen Capsula Hotels. Das große Kaminzimmer im Obergeschoss verfügt über einen W-LAN-Störer und fordert so zur direkten Kommunikation auf. Es gibt noch ein paar Schlafzimmer, die eher klassisch sind.
Innerhalb der Mauern einer alten Ruine auf der Hinterseite des Stalls befindet sich ein Garten als Rückzugsort im Freien. Dort wächst wild, was wachsen möchte. Rote Klinkersteine, raue Wände, Stein, Sichtbeton und Glas dominieren die Architektur. Im Erdgeschoss befindet sich in einem großzügigen Raum die offene Küche, es gibt keine Konferenztische: „Die besten Ideen entstehen nicht beim Sitzen am Tisch. Deshalb gibt es nicht mal einen klassischen Esstisch. Gegessen wird auf Bänken in einem umgebauten Trinkkrug“, erklärt Louisa. „Manchmal muss man Menschen dazu zwingen, aus den gewohnten Pfaden auszubrechen. Und nicht beim Sitzen am Tisch in den alten Büroalltag zu verfallen.“
Louisas Ansätze und Methoden als Beraterin und Coach sind so vielfältig wie ihr eigener Lebenslauf: Geboren ist sie auf Haiti, wo ihre Eltern in der Entwicklungshilfe arbeiteten. Sie wuchs mit sechs Schwestern auf dem Land auf. Zum Studium der Islamwissenschaften und Judaistik landete sie an der Freien Universität in Berlin, wo sie die Großstadt lieben lernte. Vor einigen Jahren absolvierte Louisa außerdem eine Stipendien-Ausbildung zur Drehbuchautorin in der Drehbuchwerkstatt der Filmhochschule München. Nach dem Studium arbeitete sie zunächst als Journalistin, wechselte dann in den Agenturbereich und produzierte später mit ihrer eigenen Agentur Medienformate wie Magazine, Kommunikationskampagnen und Filme. All diese Stationen ihres Lebens fließen in Louisas heutige Arbeit mit ein. Der Bedarf für einen Team Space wie „THE VIELD“ hat sich in ihrer Arbeit mit Kund*innen immer wieder bestätigt. Nun ist der Ort, der hier entsteht, auch Zeugnis ihrer vielen Erfahrungen.
„Wir wollen im Prozess lernen und Dinge verändern.“
Louisa Löwenstein
Wir laufen vom Hof über die Kopfsteinpflasterstraße und schließlich über grüne Wiesen zum See. Louisa barfuß, ich noch ziemlich städtisch in Turnschuhen. Eigentlich sollte „THE VIELD“ schon im Frühling 2020 eröffnet werden. Doch die vergangenen Monate wirbelten auch Louisas Leben ganz schön durcheinander. Plötzlich stand die Baustelle still, die Eröffnung verzögerte sich. Wenn Corona eine Öffnung erlaubt, geht es erst einmal in die Testphase. „Ein paar Dinge wollen wir noch im Prozess lernen, ausprobieren und im Austausch mit unseren Gäst*innen entwickeln. Das ist schließlich auch der Geist, den dieser Ort den Teams hier einhauchen soll“, so Louisa.
Als auch die Kita schloss, waren Louisa und ihr Mann wie viele andere Eltern plötzlich Vollzeit-Gründer*in und Vollzeit-Elternteil in einem. Es zeigte sich, dass sich nicht nur in den Kulturen zahlreicher Unternehmen etwas wandeln muss. Vor allem Eltern brachte die Doppelbelastung von Arbeit und Vollzeit-Kinderbetreuung oder Home Schooling an die Grenzen des Möglichen.
So entschied Louisa im April 2020 – im Zuge des ersten Lockdowns – gemeinsam mit fünf Mitstreiter*innen, die Initiative #ElternInDerKrise zu starten. Sie machen auf die Vernachlässigung von Eltern und Kindern in der Coronakrise aufmerksam und fordern in einem offenen Brief, dass das Thema in einem Familiengipfel auch auf die Agenda anderer relevanter Ministerien kommt. So zum Beispiel Arbeit – und Gesundheit . „Seit Jahren war das System schon am Rande der Belastung. Jetzt ist es kollabiert“, sagt Louisa. Hunderte Eltern haben ihr verzweifelte Mails gesendet, vor allem Frauen sind betroffen, viele berichten davon, ihre Jobs verloren zu haben.
„Kinder und ihre Eltern sind ein essenzieller Teil des Systems. Das wird nach wie vor nicht ausreichend erkannt.“
Louisa Löwenstein
Ein Gespräch mit der Familienministerin Dr. Franziska Giffey gab es bereits. „Wir wollen, dass die Anliegen von Eltern und Kindern da behandelt werden, wo sie hingehören: Im Wirtschaftsministerium und im Gesundheitsministerium, beim Minister für Finanzen und im Bundeskanzleramt – und nicht weiter nur ins Familienministerium abgeschoben werden“, sagt Louisa. „Es wurde ein System gebaut, das nicht krisenfest ist. Das muss sich ändern. Kinder und ihre Eltern sind ein essenzieller Teil des Systems. Das wird nach wie vor nicht ausreichend erkannt.“
Wir sitzen eine Weile auf dem Steg und ich bekomme das erste Mal seit Monaten wieder das Gefühl von offenem Denken. Die Landluft wirkt also. Ziemlich viel Wandel brachte das Jahr 2020. Und ziemlich viel muss noch passieren. Louisa lebt diese Prozesse, das spüre ich mit jedem ihrer Sätze. Als ich mich wieder zurück auf den Weg in die Stadt mache, denke ich auf der Autofahrt darüber nach, dass wir alle damit anfangen müssen, zukunftsorientiert an den Herausforderungen eines im Wandel begriffenen (Arbeits-)alltags zu arbeiten. Von Louisa habe ich heute gelernt: „Wandel kommt nicht von selbst. Wandel ist Arbeit.“
Louisas fünf Impulse für anderes Arbeiten beim Team-Offsite:
- Die Arbeit lässt sich nicht auf das Team-Offsite beschränken. Sie muss davor beginnen und danach weitergeführt werden.
- Es hat zentrale Bedeutung, den Ort zu wechseln und einen Ort zu finden, der anderes Arbeiten auch wirklich möglich macht. Erst, wenn Teams den Konferenztisch verlassen, kann etwas Neues entstehen. Der Blick aufs Wasser und die Weite auf dem Land helfen zusätzlich.
- Die Arbeit sollte unbedingt von außen begleitet werden, nur durch den externen Blick lassen sich eingeschlichene Teamdynamiken neu sortieren.
- Interdisziplinäre Teamzusammensetzungen helfen, um umzudenken und auf neue Ideen zu kommen.
- Dinge unfertig auszuprobieren, ist eine große Chance. Sie lassen sich im Ausprobieren oft am besten zu Ende denken.
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