Ob bei Freund*innen, Familie oder Partner*innen – wir sind immer auf der Suche nach Vertrauen, um uns fallenzulassen und einfach wir selbst zu sein. Aber wem vertrauen wir eigentlich und warum? Das haben wir fünf Personen gefragt.
Die unsichtbare Macht, die uns entweder zusammenschweißt oder auseinanderreißt: Vertrauen. Auch im Beruf wollen wir vertrauenswürdig sein. Genauso wollen Unternehmen seriös auftreten, um so das Vertrauen und das Geld ihrer Kund*innen zu gewinnen. Und doch tun sich viele Menschen mit dem Vertrauen schwer. Eine Studie der Forscher*innen Jutta Allmendinger und Jan Wetzel zeigt, dass nur gut ein Drittel der Befragten seinen*ihren Mitmenschen vertraut. Aber warum?
Wer vertraut, nimmt in Kauf, verletzt und betrogen zu werden. Viele zögern, zweifeln und schenken ihr Vertrauen nur denjenigen, die es ihrer Meinung nach verdient haben. Die Wissenschaft zeigt allerdings das Gegenteil: Durch geringes Vertrauen schützen wir uns nicht vor Enttäuschungen, wir ziehen sie potenziell sogar eher an.
Die Vikarin Maike Schöfer findet in ihrem Glauben Halt und Vertrauen. Die Politikerin und Ärztin Mireille Ngosso gibt ihren Mitmenschen grundsätzlich einen Vertrauensvorsprung, obwohl sie schon viele negative Erfahrungen gemacht hat. „In Vertrauenssachen verlasse ich mich auf mein Bauchgefühl“, sagt Madita Haustein, queere Podcasterin. Für Marie Trappen gehört als freiwillige Feuerwehrfrau Vertrauen zum Beruf. Und Eva Schulte-Austum hat dem Thema sogar ein Buch, „Vertrauen kann jeder“, gewidmet, in dem sie ihre Erfahrungen, Entwicklung und Vertrauens-Tipps teilt.
Maike Schöfer
Maike Schöfer ist 32 Jahre alt und lebt mit Mann und Kind in Potsdam. Sie ist Vikarin (Pfarrerin in Ausbildung) in einer Gemeinde in Berlin-Charlottenburg. Auf Instagram schreibt sie als @ja.und.amen über ihren Glauben und ihre Ausbildung. Dort setzt sie sich besonders für eine offene, bunte Kirche ein – feministisch, queer, antirassistisch. Im Podcast „3 3 1 – Drei Religionen, drei Frauen, ein Thema“ spricht Maike mit ihren beiden Co-Hosts Rebecca Rogowski und Kübra Dalkilic über unterschiedliche Themen rund um Religion.
Was brauchst du, um zu vertrauen?
„Mein Glaube und mein Vertrauen in Gott* bilden für mich die Basis, um Vertrauen ins Leben und in die Menschen haben zu können. Ganz nach dem Motto: Ich vertraue, also bin ich. Denn ohne Vertrauen geht nichts in unserem Leben, oder?“
„Ich vertraue, also bin ich. Denn ohne Vertrauen geht nichts in unserem Leben, oder?“
In welchen Bereichen deines Lebens ist dir Vertrauen besonders wichtig?
„Mir ist Vertrauen besonders im kirchlichen und religiösen Bereich wichtig. Orte des Glaubens sollten geschützte, sensible und vertrauensvolle Orte für alle Menschen sein! Es bestürzt mich, dass auch in jüngerer Vergangenheit das Vertrauen von Menschen im kirchlichen Umfeld missbraucht wurde. Hier kommen so unterschiedliche Menschen zusammen, in den unterschiedlichsten Lebenssituationen. Zudem verbringen hier viele Menschen wichtige Momente ihres Lebens – Taufen, Trauungen, Beerdigungen – aber auch bei den Angeboten für Kinder und Jugendliche mit Freizeit und Seelsorge-Gespräche. ,Faith Spaces must be Safe Spaces!‘ Dafür setze ich mich ein.“
Wie gehst du mit Vertrauensbrüchen um?
„Vertrauensbrüche sind schwierige und traurige Erfahrungen. Mir hilft es, offen und ehrlich darüber zu sprechen, vor allem mit der Person, die mein Vertrauen gebrochen hat. Und dann noch einmal anfangen – einen Neuanfang wagen – wenn auch nicht zwangsläufig auf die Art und Weise, wie es vorher war.”
Wie kann zwischenmenschliches Vertrauen gestärkt werden?
„Vertrauen kann gestärkt werden, indem ich zeige, dass ich vertrauenswürdig bin und ich Menschen einen Vertrauensvorschuss gebe. Einfach so, weil sie Menschen sind. Ich denke aber auch, dass Vertrauen ausgesprochen werden sollte. Es ist unglaublich bestärkend zu hören, dass jemand Vertrauen in mich hat, mir etwas zutraut. Das gilt in allen Lebensbereichen: als Lehrkraft zu Schüler*innen, als Mutter zum Kind, unter Freund*innen, von Arbeitskolleg*in zu Arbeitskolleg*in und als Pfarrer*in im Gottesdienst. Das kann viel bewirken, für ein gutes Miteinander.“
*Maike Schöfer schreibt Gott* mit Sternchen, um ein Zeichen zu setzen und zu erinnern, dass Gott* nicht männlich ist, sondern alle Geschlechter beinhaltet oder übergeschlechtlich ist.
Mireille Ngosso
Mireille Ngosso wurde 1980 in der Demokratischen Republik Kongo geboren und ist im Alter von vier Jahren mit ihren Eltern nach Österreich geflohen. Dort hat sie nach ihrer schulischen Laufbahn den Doktor in Medizin von der Universität Wien erhalten. Mittlerweile arbeitet sie als Ärztin in der allgemeinmedizinischen Abteilung im Krankenhaus Hietzing, ist verheiratet und hat einen Sohn.
Seit 2010 ist sie in der Wiener SPÖ aktiv. Von 2015 bis 2020 war Mireille Ngosso Bezirksrätin Innere Stadt und Vorsitzende des Umweltausschusses. Im vergangenen Jahr hat sie sich maßgeblich an der Organisation der „Black Lives Matter“-Demonstration in Wien beteiligt und diesen Sommer kandidiert sie für den SPÖ-Frauenvorsitz.
Was brauchst du, um zu vertrauen?
„Grundsätzlich ist Vertrauen zu Mitmenschen für mich sehr wichtig. Einerseits für mein seelisches Wohlbefinden und andererseits, um tiefe Beziehungen eingehen zu können. Ich würde sonst in ständiger Angst leben, betrogen und hintergangen zu werden und das vergiftet eine Beziehung oder zerstört sie sogar. Das habe ich oft erlebt und ich versuche das zu meiden.
„Ich gebe meinen Mitmenschen prinzipiell einen Vertrauensvorsprung.“
Ich gebe meinen Mitmenschen prinzipiell einen Vertrauensvorsprung. Ich versuche relativ offen, ehrlich und auch direkt zu sein – und das von Anfang an. Erst wenn ich merke, dass mein Vertrauen missbraucht wird, ziehe ich mich zurück, um mich selbst zu schützen. Ich glaube, in jeder Beziehung braucht es anfangs Mut, um der anderen Person ohne große Basis zu vertrauen. Das ist manchmal schwierig, aber notwendig. Wenn die Beziehung das dann besteht, ist für mich Ehrlichkeit, Respekt und Toleranz am wichtigsten. Zu wissen, dass man einander den Rücken stärkt.“
In welchen Bereichen deines Lebens ist dir Vertrauen besonders wichtig?
„In meinem engsten Arbeitsumfeld. Als Ärztin ist Vertrauen unwahrscheinlich wichtig. Um Patient*innen behandeln zu können, ist es unabdingbar, dass ich mich auf meine Kolleg*innen verlassen kann und sie sich auf mich. Unser Beruf ist entscheidend für die Gesundheit anderer. Diese Verantwortung lässt sich nur tragen, wenn man sie mit Menschen teilt, die einander unterstützen.
In meiner politischen Arbeit ist es ähnlich. Die Frau, die ich in der Politik nach außen trage, bin zu 100 Prozent ich. Ich teile meine Lebenserfahrung, meine Meinungen und meine Gedanken. Deshalb arbeite ich sehr eng mit meinem Team und meinen Kolleg*innen zusammen. Man diskutiert nicht selten über schwierige Themen, über Diskriminierung und Missstände. Dort ist es wichtig, ehrlich und direkt zu sein und die Dinge beim Namen nennen zu können.
Und vor allem anderen kommen natürlich Freund*innen und Familie. Ich bin Mutter, Ärztin und Politikerin. Man kann also definitiv sagen, dass ich ausgelastet bin. Deshalb ist es für mich unentbehrlich, mich zu Hause fallenlassen zu können und zu wissen, wir unterstützen uns, egal was passiert.“
Wie gehst du mit Vertrauensbrüchen um?
„Über die Jahre habe ich gelernt, mit Vertrauensbrüchen entspannter umzugehen und dabei nicht alles Schwarz und Weiß zu sehen. Ich tendiere dazu, die Dinge schnell in Gut und Böse einzuteilen und Menschen in eine dieser beiden Schubladen zu stecken. So funktioniert es aber in der Realität nicht. Heute gebe ich mir selbst mehr Zeit, um die Situation abzuwägen. Ich versuche dann immer, einen Mittelweg zu finden und die Situation von außen zu betrachten. Wenn es sich wirklich um einen gravierenden Vertrauensbruch handelt, dann ziehe ich mich zurück. Heute gebe ich mir mehr Zeit, um meine Seele von der Enttäuschung heilen zu lassen.“
Wie kann zwischenmenschliches Vertrauen gestärkt werden?
„Nichts schafft für mich mehr Vertrauen, als regelmäßig und offen miteinander zu kommunizieren. Vor allem, um Missverständnisse zu vermeiden oder auszuräumen. Ich versuche ich selbst zu sein, authentisch zu sein. Ich sage, was ich meine, glaube, fühle und ich versuche offen mit Fehlern umzugehen.“
Madita Haustein
Madita Haustein ist 39 Jahre alt, Mutter, Podcasterin und queer. Ihre Familie spielt für sie die Hauptrolle in ihrem Leben. Mit ihrem vierjährigen Sohn, ihrer siebenjährigen Tochter, ihrer Frau und den zwei Katzen bilden sie eine Regenbogenfamilie. Um queere Familien geht es auch in ihrem Podcast „Gay Mom Talking”, in dem sie über die Herausforderungen und Chancen des queeren Familienlebens aufklärt. Sie stellt verschiedene Familien vor und diskutiert mit ihnen über politische, gesellschaftliche und private Themen.
Was brauchst du, um zu vertrauen?
„In Vertrauenssachen verlasse ich mich auf mein Bauchgefühl. Ich denke, dass ich ein ganz gutes Gespür dafür habe, wem ich vertrauen kann und wem eher nicht. Menschen, die mir offen und warmherzig begegnen, gewinnen mein Vertrauen daher schnell. Bisher konnte ich mich auf meine Menschenkenntnis gut verlassen und wurde nur selten enttäuscht.“
„In Vertrauenssachen verlasse ich mich auf mein Bauchgefühl.“
In welchen Bereichen deines Lebens ist dir Vertrauen besonders wichtig?
„Natürlich in meiner Beziehung! Allerdings bedeutet Vertrauen für mich nicht, dass ich über meine Partnerin alles weiß. Im Gegenteil: Weil wir uns vertrauen, kann auch jede ihr eigenes Ding machen. Mit viel Vertrauen in einer Partner*innenschaft steigt meiner Ansicht nach auch die Freiheit der einzelnen Person.“
Wie gehst du mit Vertrauensbrüchen um?
„Nicht besonders erwachsen, schätze ich. Bei einem Vertrauensmissbrauch bin ich sehr nachtragend und verletzt. Natürlich kann ich auch eine Entschuldigung annehmen und der Person eine zweite Chance geben, aber die Vertrauensbasis hat einen Knacks. Forever!“
Wie kann zwischenmenschliches Vertrauen gestärkt werden?
„Durch Nähe. Es muss nicht immer physische Nähe sein. Ich habe auch schon auf digitaler Ebene leicht Vertrauen aufbauen können. Wenn ich das Gefühl habe, dass sich eine Person für mich und meine Bedürfnisse interessiert, möchte ich die Verbindung zu ihr gerne pflegen und stärken. Das geht notfalls auch über WhatsApp oder Instagram.“
Marie Trappen
Marie Trappen ist 39 Jahre alt, selbstständige Social-Media-Managerin und Mutter von zwei Kindern. Ihre große Leidenschaft: ihre Tätigkeit in der freiwilligen Feuerwehr.
Was brauchst du, um zu vertrauen?
„Menschen, denen ich vertraue, haben eine gewisse Ausstrahlung. Die Energie zwischen uns muss stimmen, sonst vertraue ich nicht.“
In welchen Bereichen deines Lebens ist dir Vertrauen besonders wichtig?
„Vertrauen ist mir in der Familie und in der Partner*innenschaft am allerwichtigsten. Aber auch bei meinen Kund*innen muss das Vertrauen stimmen, nur so funktionieren meine Projekte.“
Wie gehst du mit Vertrauensbrüchen um?
„Je nach Art des Vertrauensbruchs kann ich auch wieder lernen zu vertrauen. Das liegt im Empfinden der jeweiligen Situation und der Person. Wenn man ständig an sich und seiner Persönlichkeit arbeitet, kommt es kaum zu Vertrauensbrüchen, da man immer in der Kommunikation miteinander ist. Beispielsweise ist ein Vertrauensbruch für mich, wenn ich meinen Kindern sage, sie sollen um 23 Uhr zu Hause sein und um ein Uhr ist immer noch niemand in Sicht. Dann ist das Vertrauen, das ich ihnen entgegengebracht habe, kaputt. Dann setzen wir uns hin und reden darüber, warum das nicht geht und sie mir nicht Bescheid sagen. Ich möchte ja wissen, ob alles ok ist. Wenn wir über alles geredet haben und sie es verstanden haben, kann ich neu vertrauen.“
Wie kann zwischenmenschliches Vertrauen gestärkt werden?
„Genauso stärkt man auch das zwischenmenschliche Vertrauen: Immer offen über Dinge sprechen, egal ob positiv oder negativ. Auch bei meinem Job als freiwillige Feuerwehrfrau ist es wichtig, sich mit dem*r Partner*in und den Kamerad*innen ehrlich auszutauschen. Sobald etwas nicht passt, muss man darüber sprechen. Es ist auch wichtig, offen zuzugeben, wenn etwas zu schwer ist, man nicht mehr kann oder Angst vor etwas hat.“
Eva Schulte-Austum
Eva Schulte-Austum ist Wirtschaftspsychologin, Business-Coachin und Vertrauensexpertin. Sie berät Unternehmen zu Führung, Change und New Work. Als Organisationsberaterin hilft sie Unternehmen, eine Vertrauenskultur zu etablieren, in der Mitarbeiter*innen gerne arbeiten, freiwillig Verantwortung übernehmen und Veränderungen aktiv gestalten. Mit inspirierenden Seminaren und Vorträgen begeistert sie regelmäßig ihre Zuschauer*innen. In ihrem Buch „Vertrauen kann jeder“ gibt sie Tipps, wie man Vertrauen auf- und ausbauen kann.
Was brauchst du, um zu vertrauen?
„Das Wichtigste, um anderen Menschen zu vertrauen, ist Selbstvertrauen. Das Vertrauen in mich, dass auch, wenn ich enttäuscht oder verletzt werde, ich mit der Situation umgehen kann. Das macht die Entscheidung zu vertrauen deutlich leichter. Zudem hilft mir das Wissen, dass Misstrauen uns nicht vor Enttäuschungen schützt, sondern diese besonders wahrscheinlich macht. Die berühmte selbsterfüllende Prophezeiung. Menschen einen Vertrauensvorschuss zu geben, ist also in den meisten Fällen eine kluge Entscheidung, wenn ich positive Erfahrungen machen möchte.“
In welchen Bereichen deines Lebens ist dir Vertrauen besonders wichtig?
„Vertrauen ist mir besonders wichtig in Freund*innenschaften, in der Familie und in der Partner*innenschaft. Denn nur wo wir wirklich vertrauen, können wir uns verletzlich zeigen und wir selbst sein. Erst dadurch kann ein Gefühl von Verbundenheit, Gemeinschaft und Nähe entstehen.“
Wie gehst du mit Vertrauensbrüchen um?
„Es kommt ganz darauf an, welche Ursache der Vertrauensbruch hat. Passiert es vorsätzlich, etwa weil jemand lügt, um sich zu schützen oder Vertrauliches weitererzählt, um sich selbst interessanter zu machen, zerstört das Vertrauen. Anders ist es, wenn ein Vertrauensbruch unbeabsichtigt entsteht. Etwa, wenn jemand es nicht besser wusste. Letzteres kann ich schnell verzeihen.“
Wie kann zwischenmenschliches Vertrauen gestärkt werden?
„Drei Tipps, wie du vertrauenswürdiger wirst und Menschen schnell für dich gewinnst. Erstens: Transparenz – mach dein Handeln für andere nachvollziehbar. Zweitens: Zuverlässigkeit – halte Versprechen und sei berechenbar. Drittens: Unterstützung – hilf anderen, ohne eine Gegenleistung zu erwarten.“
Dieser Beitrag erschien erstmals am 2. September 2021 bei EDITION F.