Foto: Claudia Weingärtner

Die Mama-Milchbar ist geschlossen – Wie ich meine Zwillinge nach drei Jahren abgestillt habe

Dass sie mal Langzeitstillmama wird, hätte Claudia Weingärtner bei der Geburt ihrer Zwillinge nie gedacht. Jetzt ist die Zeit vorbei!

Nach drei Jahren! Wir haben AB-GE-STILLT!

Liebe Elli, lieber Theo,

neulich war #breastfeedingweek und das Internet voller stillender Frauen. Da sah man kleine Brüste und große, junge Kinder und alte, manche von ihnen sogar ziemlich alt, und wieder einmal brach die nervtötende Diskussion los, wie lange man denn so am Besten die Brust geben sollte/müsse/dürfe.

Dieses Mal diskutierte ich nicht mit, überhaupt habe ich mich spätestens seit diesem Brief an Euch eigentlich davon verabschiedet, mich im Familien- und Bekanntenkreis oder vor mir selbst dafür zu rechtfertigen, wieso ich – wider meines eigenen Erwartens – ebenfalls zu  so einer Langzeitstillmama wurde. Wir drei haben einfach unser Ding gemacht, wir stillten weiter und weiter, mal zwischen Bratwurst und Erdbeereis, manchmal einfach nur so, zwischendurch, als Kuscheleinheit oder Auszeit für Euch und/oder mich, und es fühlte sich zu keinem Zeitpunkt seltsam, sondern immer ziemlich richtig an, egal wie viele Langzeitstillkritiker mit erhobenem Zeigefinger sonst was für einen vorurteilsgeprägten Quatsch erzählten.

Gefühlte hundert Mal dachte ich zwar, DAS sei jetzt der Absprung: als Euer Papi und ich eine knappe Woche im Ausland waren zum Beispiel, oder nach mehrtägigen Dienstreisen, oder wenn ich auf irgendeiner Party einen über den Durst getrunken hatte und mich auch an Tag 2 noch so verkatert fühlte (so ist das offenbar im fortgeschrittenen Alter), dass ich Euch nicht meinem möglichen Rest-Alkohol aussetzen wollte. Aber: Immer wieder wurden wir „rückfällig“, immer wieder kam auch nach tagelanger Abstinenz doch noch Milch, und immer wieder dachte ich: Dann geht es eben weiter, solange bis der Moment eben da ist. Der Moment, in dem wir bereit sind, und zwar alle drei.

Ich komme mal zur Sache: Der Moment ist gekommen. Euer Vater hat wohl nicht mehr damit gerechnet, dass ich diesen Satz vor Eurer Einschulung noch sagen würde, aber es scheint tatsächlich so zu sein: WIR HABEN ABGESTILLT!

Der Abschied zum dritten Geburtstag

Und zwar pünktlich zum dritten Geburtstag. Dieser ist jetzt gut einen Monat her, deshalb behaupte ich mal, dass wir wirklich clean – oder vielmehr „trocken“ – sind, die Rückfallwahrscheinlichkeit ist inzwischen auf schätzungsweise zwei Prozent (1 Prozent für jeden von Euch) gesunken.

Das Tolle – und für viele nicht so stillaffine Menschen Absurde – ist ja: Ihr seid inzwischen so alt, dass man mit Euch ziemlich viel besprechen kann; auch diese Sache mit dem Abstillen. Also redeten wir, immer wieder, und entschieden zusammen, dass die mütterliche Milchbar am dritten Geburtstag ein letztes Mal geöffnet und danach für immer geschlossen wird.

Eigentlich wollte ich eine Stillfee erfinden, das erschien mir irgendwie gerecht, wo doch im Bekanntenkreis so ziemlich jedes Kind von der Schnullerfee reichlicher beschenkt wurde als an Geburtstag und Weihnachten zusammen und Ihr mangels Schnullersucht leer ausgingt. Aber dieses Märchen konnte ich mir schenken, denn erstens wären weitere Geschenke am Geburtstag völlig untergegangen, und zweitens fandet Ihr unseren Abstill-Plan offenbar ganz gut und irgendwie aufregend.


Das letzte Ma(h)l.

Am Geburtstagsmorgen kamt Ihr verschlafen Hand in Hand aus Eurem Kinderzimmer gewackelt, klettertet zu Papi und mir ins Bett, und trankt so genüsslich an der Brust wie selten zuvor. Ich ließ Euch, schloss die Augen, und fragte meinen Hals, wo denn der Kloß bliebe: Da stillte ich gerade mit neunundneunzig-kommaneunprozentiger Wahrscheinlichkeit zum allerletzten Mal in meinem ganzen Leben – und ich war weder wehmütig noch sonst irgendwie traurig?! Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich genoss es einfach, Euch zu beobachten, machte ein „Abschiedsfoto“, woraufhin wir alle drei begannen, Selfie-Fratzen zu schneiden und uns ein bisschen kaputtlachten. Und dann war es das.

In den kommenden Stunden gab es Ablenkung genug. Ihr packtet Geschenke aus, wir feierten mit Familie und Paten in einer Sensationslocation Euren Ehrentag, und auch der Folgetag war mit Kindergeburtstag und Co. so vollgepackt, dass Ihr nicht besonders viel Zeit zum Nachdenken hattet. Umso mehr ratterten Eure Hirne in den Tagen danach. Tja, und dann folgte die bislang größte Konsequenz-Herausfordung überhaupt.

Nur noch einmal, bitte!

Ich übertreibe ja gerne mal, aber diese Zahl ist jetzt ziemlich realistisch: Im Schnitt fragtet Ihr beide in den kommenden Wochen etwa fünf Mal täglich, ob Ihr doch noch mal ran dürft. Nur ganz kurz, nur EINmal, Mamiiii, bitteeeeee. Nur ein minikleines Schlückchen. Mir war klar, dass ich Euch jetzt nicht mit Inkonsequenz verunsichern durfte, ich sagte nein, immer wieder.

Hochgerechnet kommen wir bei 30 Tagen auf rund 300 Anfragen Eurerseits, wobei Ihr die Antwort inzwischen genauso gut kennt wie ich, und offenbar ein bisschen damit zu kokettieren beginnt: Ihr grinst, wenn Ihr nach der Brust fragt, und spielt „Baby“ (was ziemlich süß ist), wohl wissend und stolz darauf, dass Ihr doch jetzt drei und schon ziemlich groß seid, so groß, dass Ihr die Brust längst nicht mehr braucht.

Kurzum: Euch geht’s gut, Eure Kuscheleinheiten holt Ihr Euch in anderen Situationen, beim gemeinsamen Bücher anschauen zum Beispiel – und mir geht’s auch gut, sehr sogar, ich genieße es, meinen Körper nach drei Jahren und neun Monaten Schwangerschaft mal wieder für mich zu haben (wobei sich die Einschränkungen ja sehr in Grenzen halten, wenn das Stillen nicht mehr die einzige Form der kindlichen Nahrungsaufnahme darstellt), und habe überraschenderweise weder Entzugserscheinungen noch sonstige hormonelle Abstilltiefs.

Ich konnte sogar die ganzen Fotos zur Breastfeedingweek anschauen, ohne auch nur den Hauch Wehmut zu verspüren, ganz im Gegenteil: Ich freue mich über diese Bilder, und liebe es, einer guten Freundin, die gerade Mama geworden ist, beim Stillen zuzusehen. Kein mieses Gefühl, weil wir das nicht mehr haben. Stattdessen Seelenfrieden. Stolz, dass wir das 36 Monate lang hatten; stolz, dass ich mit diesem Vitamincocktail vermutlich zumindest dazu beigetragen habe, dass Ihr so topfit seid und in drei Jahren nur eineinhalb Mal krank wart. Dankbar, dass die beste Hebamme der Welt mich damals nicht aufgeben ließ, mich bei jedem einzelnen Besuch wieder und wieder motivierte, während ich acht Mal am Tag 30 Minuten vor dieser fiesen Melkmaschine hockte und mit wunden Nippeln und verstopften Milchdrüsen halb wahnsinnig wurde.


Ein Bild aus den ersten Wochen zu viert. (Bild: Claudia Weingärtner)

Ich bin inzwischen sicher: Dieser zähe Start und die Tatsache, dass wir rund vier Monate brauchten, bis die Milch (mit Hilfe von Bockshornklee, Anis/Kümmel/Fenchel-Tee, Malzbier und was es nicht alles so gibt, um die Produktion anzuregen) endlich anständig floss, ist einer der vielen Gründe, wieso wir es umso mehr und länger genossen, als es endlich klappte. Ja-ja, ich wollte es sein lassen, mich zu verteidigen – aber leider macht man dies immer wieder automatisch, weil hierzulande verrückterweise alles, was die allgemeine WHO-Stillempfehlung (6 Monate voll stillen, beikostergänzend bis zum 2. Geburtstag) überschreitet, als zu öko, zu helikoptermuttermäßig oder gar pervers gilt. Weil ich diese genervten/erschrockenen/perplexen Blicke nicht mehr ertrug, ließ ich Euch im gesamten vergangenen Jahr ausschließlich nur noch zu Hause ran, und nicht mehr dort, wo irgendein Idiot mit den Augen rollen konnte.

Drei Jahre, das mag für andere übertrieben sein, eine viel zu lange Zeit. Für uns war es die Zeit, die wir brauchten, um dieses Lebenskapitel zu beenden (und tatsächlich bleiben wir damit noch unter dem weltweiten Durchschnittsabstillalter von vier Jahren, kein Scherz). Auch wenn wir uns jetzt längst im nächsten Kapitel befinden: Ich werde vermutlich gedanklich noch ein paar Mal zurückblättern und mich ewig daran erinnern, was für ein inniges Gefühl es war, Euch beide so nah bei mir zu haben, wie eine Mama ihre Kinder nur bei sich haben kann.

DANKE für die grob überschlagen rund 5210* Stillmomente (abzüglich derer, bei denen Eure spitzen, kleinen Zähnchen zum Einsatz kamen, autsch) – der Großteil war wunder-wunder-wunderschön.

Ich liebe Euch!

Eure Zwillimuddi

P.S.: Wie Ihr wisst, gebe ich mir große Mühe, jeden Brief an Euch positiv enden zu lassen, und wenn meine Programmierkenntnisse ausreichen würden, würde ich diese letzten Zeilen auf den Kopf stellen, um die Lesbarkeit zu erschweren, aber einen winzigen Wermutstropfen gibt es doch: Das Stillen hatte den ziemlich tollen Nebeneffekt, dass es unfassbar viele Kalorien verzieh (in der Anfangsphase verbrennen stillende Mamas 500 kcal pro Tag – pro Kind!). Jetzt macht sich jedes Eis, jedes Stück Kuchen wieder auf der Waage und den Hüften bemerkbar, ihhhh! Und obenrum: Naja. Bleistifttest geht noch, aber auch nur, weil da nicht mehr so großartig viel ist, was Stifte oder sonst irgendwas einklemmen könnte. Schätzungsweise eine Körbchengröße habt Ihr mir pro Jahr weggenuckelt, und daran gibt es – das betonte vor allem Euer Papa jetzt schon drei, vier Mal zu oft – nun wirklich nichts schön zu reden. Punkt.

P.P.S.: Wenn ich schon mal dabei bin, ein weiteres Mini-Minus gibt noch: Seitdem der Zapfhahn dicht ist, wandern statt der süßen Zuckerschnuten Eure Patschhändchen wie Magnete zu meinen Brüsten, und zwar nicht nur morgens als reflexartige Bewegung, wenn Ihr unter meine Decke kriecht, sondern auch in den unmöglichsten Situationen in aller Öffentlichkeit, schwups, rein ins Shirt, mal von unten, mal von oben oder auch gern seitwärts. Ich habe Euch schon 1000 Mal gesagt, dass das (wirklich!) unangenehm ist (und mich nervt und zwickt und überhaupt), aber Ihr guckt mich dann meist leicht schief (und sehr niedlich) an, zuckt unschuldig mit den Schultern, und würdet Ihr das Wort Ersatzbefriedigung kennen, würdet Ihr mir das vermutlich an den Kopf knallen. Schon gut: Kriegen wir auch noch hin vor der Einschulung. Wäre doch gelacht.

*So habe ich gerechnet: 365 (Tage) x 8 Stilleinheiten pro Tag im ersten Jahr, 365 x 5 Einheiten pro Tag im zweiten Jahr, 100 x 2 Einheiten pro Tag im ersten Teil des dritten Jahres und 265 x 1 Einheit Pro Tag im zweiten Teil des dritten Jahres. Theoretisch jedenfalls. Dunkelziffer vermutlich deutlich höher, weil Ihr zwar oft, aber natürlich nicht immer zeitgleich trankt, und diese Werte streng genommen für jeden von Euch gelten.

Claudia Weingärtner schreibt auf ihrem Blog Zwillimuddi Briefe an ihre Tochter und ihren Sohn. Wir freuen uns, dass sie den Text auch bei uns veröffentlicht.

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