Viele Frauen wünschen sich, ihr Baby stillen zu können. Mindestens sechs Monate empfehlen Hebammen. Was aber, wenn es einfach nicht klappen will?
Das Bild der Werbung
Zugegeben, die Stillthematik liegt in meinem Fall schon vier Jahre zurück. Sie hat sich allerdings so sehr in meinen Kopf eingebrannt, dass es sich anfühlt, als wäre es gestern gewesen. Außerdem gibt es aktuell in meinem Freundeskreis einige stillende Mamis. Und was soll ich sagen – bei den einen klappt’s besser, bei den anderen weniger und bei manchen sogar überhaupt nicht. Doch Werbung und sämtliche Babylektüre suggerieren uns Müttern: Stillen ist so einfach und durch und durch romantisch.
Im TV-Spot einer bekannten Babynahrungsmarke sitzt beispielsweise die stillende, ausgeschlafene, gut aussehende, superschlanke und überglückliche Mami auf dem blütenweißen Sofa, trägt ein ebenso weißes Hemd, die Sonne umspielt ihr glänzendes, frisch gewaschenes Haar und sie tauscht mit ihrem gut gelaunten Baby romantische Blicke aus – ich glaub, ich muss kotzen.
Meine Still-Realität
Die Realität und Praxis war zumindest in meinem Fall eine andere: Wenn meine Tochter Mila trinken wollte, machte sie mir das meistens durch lauthalses Schreien klar (logisch, wie soll sich ein Säugling auch sonst bemerkbar machen). Also bekam sie meine schmerzende und entzündete Brust. Ich machte es mir mit meiner ausgebeulten Jogginghose, fettigen Haaren und Augenringen, wie Horst Tappert zu seinen besten Zeiten, auf meinem mit Babysabber und -kotze gefleckten Sofa so gemütlich, wie es eben mit zerbrechlichem Baby im Arm und brennenden Brüsten geht.
Angstbeladen und völlig verkrampft sah ich dabei zu, wie meine Kleine hektisch und zappelig wie ein kleiner Maulwurf auf Speed, nach meiner Brust schnappte. Dann der wundervolle Schmerz in den Brustwarzen. Dass meine Tochter dabei ihr Köpfchen hin und her bewegte, ohne die Brustwarze loszulassen, machte das Ganze nicht besser. Sie wurde hektischer, ich verkrampfter. Sie schluckte viel Luft, ich hätte ein Schluck Schnaps vertragen können und nach nur wenigen Minuten lag sie jedes Mal in meinen Armen und schrie meine entzündete, schmerzende und prallgefüllte Brust an. Ziemlich frustrierend kann ich euch sagen.
Liegt es an mir?
Wochenlang habe ich mir damals Gedanken gemacht, wie ich das mit dem romantischen Stillen wohl hinbekommen könnte. Ich habe das komplette Stillkamasutra durchprobiert: Kind im Liegen gestillt, im Wiegegriff, über die Schulter gelegt – quasi auf dem Kopf – und, und, und. Nichts hat geholfen. Ich habe Tränen vergossen, Nerven verloren, graue Haare bekommen und mich wie eine schlechte Mutter mit Versagerbrüsten gefühlt. Die Frau aus der Werbung kann das doch schließlich auch so gut …
Irgendwann folgte die logische Konsequenz und Lösung für mein Stilldilemma: Ich stillte ab! So hatte es keinen Sinn mehr. Weder meiner Tochter noch mir tat dieser Stillwahnsinn gut. Nicht ganz vier Monate war Mila zu diesem Zeitpunkt und trotz allem ein kräftiges Baby. Nach dieser Entscheidung konnten sich meine Brüste endlich etwas erholen und statt Horrorszenarien stand „easy-going-Milchpulver-anrühren” auf der Tagesordnung. Und das musste nicht immer nur ich machen, sondern mein Partner konnte plötzlich auch das Füttern übernehmen. Herrlich.
Die Folge: Ich war entspannter, mein Kind zufriedener, mein Mann involvierter – ergo, alle waren glücklicher! Und das Allerbeste daran: endlich ein Stückchen mehr Unabhängigkeit!
Entspannt euch!
Also liebe Mütter da draußen: Lasst euch nicht einreden, es gäbe eine sechsmonatige Stillpflicht, sonst würde das Kind ganz viele Allergien und all so einen Quatsch bekommen. Fühlt euch nicht schlecht, wenn das mit dem Stillen bei euch und euren Kleinen nicht klappen will. Meine Tochter ist der beste Beweis: Sie werden auch mit dem Fläschchen groß und die Gefahr, dass sie dann anfälliger für Krankheiten und Allergien sind, ist, meiner Meinung nach, totaler Humbug! Meine Mila hat keine einzige Allergie und in viereinhalb Jahren war sie nur zwei Mal richtig krank. Ich kenne auch Kinder, die wurden ein Jahr lang gestillt und müssen mit einer ganzen Batterie an Unverträglichkeiten und Allergien leben. Das Wichtigste ist, dass ihr und euer Kind euch miteinander wohlfühlt. Und wenn das mit dem Stillen nicht klappt, ist das kein Weltuntergang.
Ach und übrigens: Die Frau aus der Werbung stillt ihr Kind gar nicht wirklich. Das ist nicht mal ihr Baby, sondern nur ausgeliehen. Sie ist ein 22-jähriges Model auf Diät. Das Baby wurde vor den Aufnahmen mit dem Fläschchen gefüttert. Die gestresste, leibliche Mutter hat immer noch einen kleinen Babybauch, Augenringe und schläft im Hintergrund der Aufnahmen fast im Stehen ein.
Dieser Beitrag ist bereits auf Anna-Lenas Blog killepupmitlala erschienen. Wir freuen uns, dass sie ihn auch hier veröffentlicht.
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