Foto: Gerard Moonen

Älterwerden ist nichts für schwache Nerven

In ihrer Twentysomething-Kolumne schreibt Silvia über alles, was ihr gerade durch den Kopf geht. Und diese Woche über das Alter.

Ich bin eine alternde Heulsuse!

Reden wir nicht um den heißen Brei herum. Ich habe heute Geburtstag – und ich habe für Geburtstage nicht viel übrig. Zumindest, wenn es sich um meinen eigenen handelt.  Zumindest, wenn es darum geht, dass sich die Zahl, die mein Alter angibt, wieder einmal nach oben korrigiert. Und an dieser Stelle könnte ich auch schon aufhören, denn damit stehe ich nun wirklich nicht alleine da. Gähn.

Aber, stopp, es geht ja weiter! Denn: Aktuell hat sich da bei mir einiges getan. Ich kann in diesem Jahr sogar ziemlich gut damit leben, dass sich meine Altersangabe ändert. Und das, obwohl nun das „Gnadenjahr“ anbricht. Ich werde 29 Jahre und stehe damit nicht nur vor meinem letzten Jahr mit einer Twentysomething-Kolumne, sondern vor allem vor dem Ende meines Twentysomething-Lebens. Kümmern sollte mich das eigentlich nicht, schließlich erzähle ich schon seit Jahren jedem sich bietenden Publikum mit leidender Miene, dass ich steinalt bin.

Dabei ging es mir allerdings nie wirklich um den schlaffer werdenden Körper
(auch wenn ich diese Enwicklung seit meinem 25. Lebensjahr mit Skepsis beobachte), die Investition in Faltencreme, die nicht mehr Koketterie ist oder dass ich wohl nie, nie wieder ungestraft ein bauchfreies Top mit Strassstein-Verzierung tragen darf. Nein, insbesondere letzteres fühlt sich ziemlich OK an. Vielmehr ging mir dabei eher um ein in mir nagendes Gefühl, dass schon mehr vorbei ist, als noch ansteht. Warum ich diesen absurden Gedanken nun auch endlich als absurd empfinde, ist schnell erklärt: Ich habe gerade eine
der wenigen Phasen, in denen ich mich auch genauso alt fühle, wie ich es laut
Pass bin.

Was sich komisch anfühlt: Ein Leben mit dem falschen Alter

Als Kind fühlte ich mich immer älter, als ich war. Ich war das, was man im Englischen wohl mit „Old Soul“ beschreiben würde. Vielleicht war ich aber auch nur das nervige, altkluge Kind, das niemand leiden kann – wer kann das schon überprüfen. Das hielt ziemlich genau bis zum Eintritt in mein Studentenleben, als ich mich auf einmal sehr im Einklang mit mir und meinen Daten fühlte. Zumindest bis ich etwa 27 Jahre alt war und begann, bei der Frage nach meinem Alter stotternd falsche Zahlen herauszugeben. 26! Äh nein, warte, ich bin… ja, wie alt eigentlich? Nicht, weil ich mein biblisches Alter vertuschen wollte, sondern weil ich der Zahl fern war. Das bin doch nicht ich! Die, die ich bin, ist doch nicht schon 27 Jahre!

Tja und nun, nun bin ich 29 und das fühlt sich verdammt richtig an. Außer natürlich, wenn mich mein kleiner Bruder wie neulich anschaut und mit halbgelangweilter Stimme nachfragt, wie alt ich denn eigentlich sei? So 30 oder so, oder? Dann muss ich natürlich kurz entrüstet keifen. Sein „Sorry, so siehst du halt aus“ bringt mich dann auch nicht weiter weg vom Herzinfarkt. Teenager, soll sie doch alle der Teufel holen.

Das Bohei um das Lebensalter

Aber warum wird darum von mir und so vielen so ein unglaublicher Bohei gemacht? Das schlimme am Altern in der ersten Lebenshälfte ist ja dieses sich-komisch-finden. Ich kann doch nicht so und so alt sein, wenn ich noch in einer WG lebe, kann doch nicht dieses Alter und noch keinen Job haben! Kann doch nicht 29 Jahre alt sein und noch keine Kreditkarte
besitzen – und Ketchup-Brot ernsthaft als vollwertige Mahlzeit wahrnehmen! Und
Kinder oder Partner hab ich auch nicht. Mit mir stimmt doch etwas nicht!

Doch doch, da stimmt schon alles. Wenn man es nur kurz aufdröselt, dann ist das Problem
also kaum die Zahl, sondern das, was an gesellschaftlicher Erwartung mit dieser verknüpft ist. Es kommt einem Befreiungsschlag gleich, wenn eine wundersame Wandlung eintritt und diese Erwartungen einfach an Wichtigkeit verlieren. Wenn einem klar wird, dass es absolut kein Beinbruch ist, diesen Erwartungen nicht gerecht zu werden und es auf einmal nicht mehr kümmert, wer dich blöd, albern, kindlich, steinalt oder wie auch immer findet. Ehrlich gesagt bin ich da noch lange nicht, aber es beginnt. Und das ist ja so großartig!

Was immer hilft: sich Vorbilder suchen

Und wenn ich mal wieder mit allem hadere, schwach werde und denke: „Och nee, das kann ich nicht mehr, das soll ich nicht mehr und das ist ja sowieso vorbei“, dann erinnere ich einfach an die Mutter einer Freundin, die man in dieser Sache getrost als Vorbild feiern kann. Kennengelernt habe ich sie, da war sie etwa Mitte 60. Bei unserem Treffen trug sie statt des typischen Seniorenbeiges ein hautenges Mickymaus-Shirt in Kombination mit einer Gucci Brille. Komplett ironiefrei, und ganz fabelhaft aussehend. Ein anderes Mal fand ich mich mit ihr zu später Stunde auf einer Tanzfläche wieder – und ich sag mal so: Sie hat nicht zuerst schlappgemacht. Naja, und dann ist da noch die Sache, dass sie sich mit 69 Jahren noch einmal Hals über Kopf verliebte. Und damit beweist, dass auch in dieser Sache noch laaange kein Zug abgefahren ist. Kann man ja nicht oft genug erzählen.

So, Altern ist sicherlich nichts für Heulsusen. Aber eigentlich ist es auch ziemlich schön. Und ich schwöre, dass ich nun weniger oft verkünde, wie unfassbar alt ich bin. Denn wie lange soll man dieses Gejammer denn überhaupt durchziehen, bitte schön? Ja wohl keine weiteren 60 Jahre.

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