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Unerfüllter Kinderwunsch: Bringen uns die medizinischen Möglichkeiten in Bedrängnis?

Frauen und Männer können ihre Körperzellen einfrieren lassen, um das Kinderkriegen so auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben. Einfacher wird das Leben deswegen aber trotzdem nicht unbedingt.

Die Pille: eine Revolution

Die Möglichkeit, die weibliche Fruchtbarkeit mit modernen medizinischen Methoden wie Hormongaben kontrollieren zu können, wurde als eine sexuelle Revolution wahrgenommen. Endlich konnten Frauen selbst entscheiden, ob und wann sie schwanger werden wollten.

Die künstliche Befruchtung hat eine weitere neue Dimension eröffnet. Die moderne Medizin hatmanchmal ungeahnte Nebenwirkungen. Fortgeschrittenes Alter oder unerwartete Folgen früherer Eingriffe können medizinische Hilfe in Form von Fruchtbarkeitsbehandlungen notwendig machen. Schon ist die Frau nicht mehr frei, sondern abhängig von der modernen Medizin. Dabei ist vor allem eins wichtig: den Überblick und eigene Entscheidungsfreiheit zu behalten. Ein Plädoyer für weibliches Selbstbewusstsein in Sachen Reproduktionsmedizin.

Der unerfüllte Kinderwunsch

Sie habe sich nie darüber Gedanken gemacht, schreibt Saskia07 in einem Forum, seit der Pubertät die Pille genommen und dann gedacht, die Schwangerschaft käme sofort. Statt sich auf das kommende Baby zu freuen, ging es nach dem Absetzen der Anti-Baby-Pille erst einmal gehörig bergab. Sie habe keine Hormone vertragen, antwortet Jule81 auf einer Forumsseite, und deswegen mit einer Kupferspirale verhütet.
Irgendwann habe sie sich diese entfernen lassen, und gehofft, die entstandene
Leerstelle in ihrer Gebärmutter mit einem heranwachsenden Embryo zu ersetzen. Die
Leere aber blieb. Erst im Kinderwunschzentrum wurde die Entzündung entdeckt, die als
Folge der Spirale auftrat und ihre beiden Eileiter zerstörte. Da stand sie mit ihrem
Partner vor einer Wand, schreibt Jule81. 

Der mit modernen Verhütungsmitteln erworbene Freifahrtschein für Sexualität, und die Möglichkeit, auch nach Ablauf der natürlichen fruchtbaren Phase noch Kinder bekommen zu können, haben für Frauen ungeahnte Konsequenzen. Die moderne Medizin suggeriert uns, dass wir unsere Fruchtbarkeit kontrollieren können. Anhand der Einnahme von Medikamenten (Hormone) und medizinischen Eingriffen (Einsetzen der Spirale, Verhütungsplättchen) lässt sie uns glauben, wir hätten unsere Fertilität im Griff. Tatsächlich sind es aber die modernen medizinischen Techniken, die unsere biologische
Reproduktion heute immer mehr kontrollieren. Wir sollten aufpassen, im Wirbel
dieser rasanten Entwicklungen und technischen Fortschritts nicht die Übersicht,
und vor allem nicht unsere Entscheidungsfreiheit zu verlieren. Dabei ist es
wichtig, informiert zu bleiben, einen klaren Kopf zu behalten und, vor allem,
auf seine Gefühle zu hören.

Zwischen Traum und Trauma

„Ich weiß nicht mehr weiter“, schreibt Micha13 in ihrem Statement auf einer Kinderwunschseite. Ihr Kinderwunsch besteht seit sechs Jahren, seitdem befindet sie sich inder Abwärtsspirale. Ein Traum, der im Alptraum endete. Fehlgeburten,
Krankenhausaufenthalte und Operationen folgten. Sie sei erfolglos durch drei
Kinderwunschzentren gegeistert, schreibt Micha13, das Glück anderer zu sehen sei ihr unerträglich. Jetzt überlegt sie, ins Ausland zu gehen, aber fragt sich vor allem, warum gerade sie nicht das Glück haben darf, Kinder zu bekommen.

Der Vorstellung medizinischer Allmacht steht immer wieder die harte Realität gegenüber. Nicht unter allen Umständen ist es möglich, ein Kind zu bekommen. In manchen Fällen bleibt es ein unerfüllter Traum und wird zu einem beständigen Trauma.
Doch der medizinische Fortschritt wird nicht stehen bleiben. In Großbritannien werden bereits heute Embryonen genetisch verändert, um Erbkrankheiten zu verhindern
.

Erst vor kurzer Zeit ist es britischen Wissenschaftlern gelungen, einen Embryo für 14 Tage außerhalb einer Gebärmutter am Leben zu erhalten. In Deutschland sind solche Experimente (noch) verboten. Überhaupt, die Gebärmutter, essentielles Organ zum Kinderbekommen, kann nun auch transplantiert werden. Im Jahre 2014 hat die erste Frau ein Kind mithilfe einer gespendeten Gebärmutter in Schweden ausgetragen. Irgendwann wird es eine künstliche Gebärmutter geben. Der Traum von Fruchtbarkeit für Frauen in jedem Alter und in jeder Situation rückt mit jedem medizinischen Erfolg näher.

Trotzdem sollten wir aufpassen, dass er nicht unser persönliches Trauma wird. Die Schwangerschaft jedenfalls wird heute schon immer mehr aus dem weiblichen Körper ausgelagert und dem eigentlichen Vorgang der Befruchtung, dem Geschlechtsakt von Mann und Frau, immer mehr entfremdet. Es geht hier nicht darum, über moderne Reproduktionstechniken zu urteilen, sondern dies ist ein Appel an weibliche Autonomie. Wir sollten den Überblick und die Entscheidungsfreiheit über unsere Reproduktionsorgane und Körperteile (seien es auch nur Zellen) selbst behalten. Genauso sollten keine Frauen von den Vorteilen der modernen Techniken ausgeschlossen sein, egal ob der Grund für ihren unerfüllten Kinderwunsch zerstörte Eileiter oder gleichgeschlechtliche Liebe sind.

Leben oder Tod?

„Restliche Embryonen verwerfen? Ich kann es nicht!“ schreibt CatY im Abschiedsforum für den Kinderwunsch. Mithilfe künstlicher Befruchtung ist sie Mutter von Zwillingen geworden. Nach einigen Jahren stellt sich für CatY und ihren Mann nun die Frage, was sie mit den aus der künstlichen Befruchtung verbleibenden zwei Embryonen machen. Vernichten? Oder spenden?

In Deutschland ist es verboten, eine Eizelle mit der Absicht zu befruchten, sie an eine andere Frau zurückzugeben als an die Spenderin selbst . Nicht aber ist es verboten, die bereits zu diesem Zweck befruchteten und schließlich überflüssig gewordenen Embryonen von Paaren weiterzugeben.

Wieder haben wir ein Nebenprodukt moderner medizinischer Techniken, für die heute Handlungsbedarf besteht. In Deutschland stellt sich aktuell die Frage der Embryonenspende, in den USA gehört diese schon länger zum Reproduktionsalltag.

In Frankreich, wo eine Embryonenspende nur anonym möglich ist, kam die Anzahl der auf Eis gelagerten potenziellen Kinder bereits im Jahre 2011 auf die Einwohnerzahl
der Stadt Aix-en-Provence
.

Oft melden sich die Eltern nach einigen Jahren nicht mehr, weil die Medizin sie vor eine sehr schwierige, für einige sicher unmögliche, Entscheidung stellt: Leben oder nicht?

Frauen und Männer in Kinderwunschbehandlung möchten sich vielleicht nicht mit der Frage beschäftigen, was mit ihren eventuell übrigbleibenden Embryonen werden könnte, denn erstmal hoffen sie, dass während der Behandlung überhaupt vielversprechende Embryonen entstehen. Hier sollte es eigentlich die Rolle der Mediziner sein, Menschen Ängste und Unsicherheiten zu nehmen, damit sie bewusste und verantwortliche Entscheidungen treffen können. Doch wie bereits bei der Verhütungsfrage bestimmt der Markt die Nachfrage. Indem menschliche Zellen eingefroren und auf Vorrat angelegt werden, wird mit Hoffnung gehandelt.

Vielleicht wird die Entscheidung dafür oder dagegen, sowie die Möglichkeit, überhaupt ein Kind zu bekommen, in der Zukunft von ganz anderen Kriterien abhängen als heute. Bis dahin sollten wir Frauen vor allem zwei Dinge bewahren: Autonomie und den Überblick im Durcheinander der Vielfalt und angesichts der Rasanz des medizinischen Fortschritts.

 

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