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Unerfüllter Kinderwunsch: Wenn der Körper nicht mitspielt und der Druck unerträglich wird

Wie viele Paare googlen verschämt nach Kinderwunschkliniken in ihrer Nähe? Über ihren unerfüllten Kinderwunsch wollen auch heute noch viele Betroffene nicht gern sprechen. Dabei würde es helfen, den oft unerträglichen Druck zu lindern.

Let the fun begin

Alles hatte so gut begonnen. Ich eröffnete meiner Frauenärztin, dass ich mein vorerst letztes Pillenrezept benötigte. Ich fuhr in den Urlaub, in der vermeintlichen Gewissheit, in absehbarer Zeit nicht mehr einfach so nach Südostasien reisen zu können. Ich genoss meine letzten Monate richtige Freiheit. Und sehnte doch den Moment herbei, an dem endlich ein neues, aufregendes Kapitel in meinem Leben aufgeschlagen werden würde.
Mein Partner und ich wünschten uns ganz innig ein Kind.

„Das freut mich zu hören“, sagte meine Frauenärztin. „Ich kann Sie aber schon mal vorwarnen: Die meisten Frauen brauchen im Schnitt sechs Monate, bis sie schwanger werden.“
Im Taumel meiner Vorfreude registrierte ich diese Statistik kurz, glaubte aber felsenfest, dass mich dieses Detail nicht weiter zu kümmern hätte.
Wer könnte es mir auch verübeln? Allein der Gedanke an ein eigenes Kind hatte eine geradezu euphorisierende Wirkung auf mich. Mein ganzer Körper schrie „Baby!“. Ich schüttete so viel Oxytocin aus, dass ich glaubte, vor Freude daran sterben zu müssen.

Von A wie Ausrasten bis Z wie zwanghafte Heulanfälle

Fast forward. Ich sitze auf dem Klo und starre ungläubig auf meine Unterwäsche. Blut, Blut, nochmals Blut. Es kann nicht sein! Es kann einfach nicht sein! Schon wieder ist ein Monat vorbei und die Hoffnung auf ein Baby hat sich ein weiteres, gefühlt unzähliges Mal zerschlagen. Ich fange an zu weinen – es ist ein leises, trauriges Weinen.

Die letzten Monate waren eine emotionale Odyssee. Als ich das erste Mal nach dem Absetzen der Pille meine Tage bekam, war ich noch ganz guter Dinge. „Sei nicht immer so ungeduldig! Du bist kein kleines Kind mehr, das gleich losheult, wenn es nicht sofort bekommt, was es will!“, tadelte ich mich selbst. „Wenn du Verantwortung für ein Baby übernehmen möchtest, solltest du aufhören, selbst eines zu sein.“ Nachts träumte ich, wie ich meinem Chef und allen Kollegen ankündigte, demnächst in Elternzeit zu gehen.

Die nächsten Monate vergingen und zu meinem großen Bedauern bekam ich regelmäßig meine Tage. Jedes Mal starb ein kleines Stückchen Hoffnung, das nur vier Wochen brauchte, um sich vollständig zu regenerieren.

Langsam, aber sicher machte sich dann doch Enttäuschung breit. Wie konnte es so schwer sein, endlich schwanger zu werden? Suggerierten nicht zahllose Teen Moms in einschlägigen Fernsehsendungen, dass Fortpflanzung eines der einfachsten Dinge der Erde war? Spielte mein Körper mir einen geschmacklosen Streich?

Was tut mein Körper mir an?

Überhaupt, mein Körper: In meinem jugendlichen Diätwahn hatte ich jahrelang zu hören bekommen, dass Frauen nun mal etwas mehr Reserven auf den Hüften bräuchten, um besser für die Aufzucht ihrer Kleinen gewappnet zu sein. Und nun erlaubte mir Mutter Natur nicht zu werden, wozu ich geschaffen worden war? Ich empfand die Biologie als miese Verräterin an meinem Frausein.

Schlimm wurde es, als ich anfing, mich von fremden Menschen provoziert zu fühlen. Eine Schwangere in meinem Yogakurs: Musste sie denn ihre runde Murmel so stolz zur Schau stellen? Babykleidung bei H&M: War es wirklich nötig, dass selbst eine schwedische Bekleidungskette mich auf meine Misere aufmerksam machte? Eine schwangere Frau steht rauchend vor der Tür: ihr Ernst?

Die sechs Monate, vor denen mich meine Ärztin gewarnt hat, sind längst verstrichen. Peu à peu realisierte ich, dass die Ohnmacht und Unwissenheit das Schmerzhafte an der ganzen Sache sind. Nicht zu wissen, was man sonst noch tun soll als Basaltemperatur messen, reichlich Sex haben, achtsam sein, Stress vermeiden, gesund essen und sich regelmäßig bewegen. (Okay, eigentlich herausfordernd genug).

Nicht zu wissen, ob die Zeit für oder gegen einen spielt. Sind wir mit jedem Scheitern dichter am Erfolg? Werde ich bald einen positiven Schwangerschaftstest in der Hand halten und wissen, dass alles nur eine harte Geduldsprobe war? Oder sinkt einfach nur zunehmend die Chance, irgendwann wirklich ein Kind zu bekommen?

Lernen statt leiden

Wir werden alle nicht jünger. Ich nehme mir vor, das Beste aus der ganzen Situation zu machen. Was also kann ich tun? Ich kann anderen Menschen gegenüber ehrlicher sein. Auf indiskrete Fragen nach unserer Familienplanung antworten: „Sorry, das ist privat.“ Und nicht mehr alles mit einem unsicheren Lachen abtun, wir wären ja noch jung, der richtige Zeitpunkte würde sich noch finden, wir genießen unsere Freiheit, et cetera.

Oder aber – und das erfordert Mut – tatsächlich drüber reden. Zugegeben: An dem Punkt bin ich noch nicht. Und ich weiß auch nicht, ob ich da noch hinkomme. Bisher haben wir nur wenigen engen Freunden von unserer Lage erzählt. Zu groß ist die Angst, dadurch nur noch mehr Druck zu erzeugen.

An mir selbst merke ich, wie groß das gesellschaftliche Tabu um das Thema unerfülltem Kinderwunsch ist. Ich und ein Makel? Darüber redet nun wirklich keiner gern! Vielleicht ist aber genau das, was uns fehlt. Mehr Ehrlichkeit, mehr Offenheit, mehr Austausch.

Wie vielen Menschen mag es ähnlich gehen wie uns? Wie viele Frauen und Männer finden die Wartezeit bis zu den nächsten fruchtbaren Tagen genau so unerträglich wie wir? Wer muss noch bei dem Wort „Planbarkeit“ mittlerweile nur noch müde lächeln? Wie viele Paare würden gerne gelassener an die ganze Sache rangehen und scheitern immer wieder an sich selbst? Wie viele Frauen haben bei ihrer Frauenärztin um einen Termin gebeten und die Worte ausgesprochen: „Es geht um einen unerfüllten Kinderwunsch“? Wie viele Frauen und Männer warten wohl jeden Tag auf Befunde von Hormonspiegeln, Blutuntersuchungen und Spermiogrammen? Und wie viele Paare googlen verschämt nach Kinderwunschkliniken in ihrer Nähe?

Mit diesem Text wage ich mich einen kleinen ersten Schritt aus meinem Schneckenhäuschen heraus. An alle mutigen Schnecken da draußen, ob mit Kind, ob ohne, ob mit Kinderwunsch oder nicht: Die scheuen Schnecken danken es euch, wenn ihr eure Geschichte mit ihnen teilt.

Titelbild: Bridget Colla I flickr I CC BY-SA 2.0

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