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Kind oder Karriere? Für mich bitte keins von beiden!

Ich bin über 30 und habe noch kein Kind, nicht einmal in Planung. Und nein, ich bin auch gerade nicht dabei, eine Karriereleiter steil hinaufzuklettern.

Die biologische Uhr tickt? So ein Bullshit!

Neulich am Schalter beim Gynäkologen: „Wollen Sie die Pille nicht langsam mal absetzen? Sie wissen schon, die biologische Uhr wartet auf niemanden!” Ich war sprachlos. Biologische Uhr? Ich? „Nein danke”, sagte ich, perplex, das braucht noch Zeit.” Die Sprechstundenhilfe nickte wissend. „Ah, der Job! Karriere ist auch nicht immer so wichtig wie alle denken!”

Da hat alles angefangen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich mir noch nicht überlegt, ob ich schon oder überhaupt Kinder haben möchte. Oder ob ich eine Karriere im klassischen Sinne verfolge. Aber plötzlich stolperte ich täglich über Artikel mit den Themen: „Regretting Motherhood”, „Kind oder Karriere” und „Arbeitende Mütter”. Schwangere auf der Straße. Überzeugte Karrierefrauen auf Netflix. Die Denkmaschine in meinem Kopf war angesprungen und nicht mehr zu stoppen.

Um mich rum ändert sich vieles

Meine Freundinnen bekommen gerade alle Babys. Jedes Mal freue ich mich wirklich. Ich höre zu, es interessiert mich, was sie in ihrer Welt Neues erleben. Doch nie bin ich auf die Idee gekommen, über ein Baby in meiner eigenen Welt nachzudenken.

Ich habe ein erfülltes Leben. Einen Job der mir Spaß macht – ohne Leiter, weil ich es so will. Einen Mann, den ich liebe – ohne Heirat, weil wir das so wollen. Einen Kater, den ich schätze – ohne dass er als Babyersatz herhalten muss. Freunde, die zu sich selbst stehen und die ich kenne seit ich denken kann. Teilzeitprojekte, Schreiben, Malen, Musik machen. Das alles fordert meine ganze Energie, meine ganze Aufmerksamkeit und füllt mich aus.

Aber manchmal will ich einfach mal „leer” sein. Mich komplett fühlen und wieder zerbrechen, um mich neu zusammenzusetzen. Wo hat da eine Karriere Platz, wo ein Kind?

Egoistisch? Nein!

Das alles hat nichts damit zu tun, dass ich mich noch nicht festlegen
möchte, dass ich mich noch ausprobieren muss. Nein, ich bin bei mir. Viele
sagen, es sei egoistisch, keine Kinder zu bekommen. Im öffentlichen Diskurs
scheint es aber mittlerweile Ok zu sein, wenn der Kinderwunsch aufgrund der
Karriere zurückgestellt wird. Ist es dann noch egoistischer der Gesellschaft
gegenüber, auch keine Karriereleiter hinaufzuklettern? Mittlerweile frage ich
mich, was es mit Egoismus zu tun hat, wenn man seine Energie, seine
Aufmerksamkeit und seine Liebe in andere Bereiche seines Lebens investiert.

Ich bin emotionale Stütze für viele Menschen, die ihre Freude und den Sinn verloren haben. Ich bin Nanny für meinen Neffen, Inspiration für meinen Mann, wertvoll für meine ArbeitskollegInnen. Jetzt gerade habe ich den perfekten Platz in meinem Leben gefunden, ohne dass dieser Platz statisch wäre. Alles geht, alles fließt, meine Kreativität entfaltet sich. Ich mache, was mir gut tut und bei dem ich am stärksten das Gefühl habe, bei mir zu sein. Ist das Egoismus?

Ich bin genügsam. Die wichtigen Dinge des Lebens manifestieren sich für mich nicht in Form eines Babybauchs oder einer Karriereleiter. Das Leben ist ein spannendes Abenteuer, in dem jeder macht, was er am besten kann. Ich kann aus den Menschen herauskitzeln, was ihnen Freude macht. Ich kann meinem Gefühl folgen, was andere als Luxus bezeichnen würden. Und sonst? Auch wenn es etwas esoterisch klingt: Ich spüre es nicht. Ich sehe es nicht: weder Kind noch Karriere. Menschen sind, was sie sind und tun, was sie tun. Dieser Satz klingt leicht. Aber diese Tatsache zu akzeptieren ist es nicht.

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  1. Genau da liegt nämlich die Krux für Frauen ( vielleicht aber sogar auch für Männer): wenn man weder Kind noch Karriere verfolgt ( ohne dies jetzt zu einem kämpferischen Credo zu machen) dann passiert dies: nichts! Jedenfalls nichts Schlimmes. Hausfrau und Mutter und/oder Karrierefrau , diese Optionen beschränken Frauen nämlich auf eine Sache: es soll gedient werden, der Familie, dem Staat, der Firma- und zwar möglichst aufopferungsvoll.
    Was wenn man das nicht möchte und einfach einen Job mit durchschnittlichem Auskommen anstrebt und statt einer klassischen Familiensituation lieber reist, seinen Hobbies nachgeht,ein bisschen faul ist und einfach auch mal gar nichts macht? Müßiggang sogar! Und das als Frau? Wie kann sie nur, die Egoistin?… Was daran sinnentleert oder egoistisch sein soll, kann eigentlich niemand schlüssig erklären, denn zu viele Elemente der Gesellschaft haben immer noch ein großes , eigennütziges Interesse daran, dass man sich als Frau möglichst für andere stetig verausgabt.

  2. Vielen Dank für den Artikel, und auch dir, Tanja, vielen Dank für diesen Kommentar. Wir Frauen dürfen uns von solchen Kommentaren, das sei doch egoistisch, nicht gefügig machen lassen. 1. Viele, derjenigen die einen Kinderwunsch haben, verfolgen diesen aus ebenso egoistischen Gründen, weil das Kind ganz viele Funktionen und Erwartungen haben und erfüllen soll: die Beziehung retten, dem Leben Sinn geben (wehe das Kind macht später sein eigenes Ding!), Kontakt zu Mitmenschen schaffen, die eigene Leere füllen, Kuschelobjekt und Seelenmülleimer bis hin zum Blitzableiter(wenn Partner oder sonstige Ventile nicht verfügbar sind), das eigene Ego weitertransportieren (“Mein eigen Fleisch und Blut!”, es soll fortsetzen, was man angefangen hat (das Geschäft, die eigenen Ideen…..wehe (s.o.). Das nur mal so als Beispiel, wofür Kinder durchaus leider öfter herhalten müssen, als man denkt. Als Beraterin für Kinder und Jugendliche bekommt man da so eine Ahnung….

    Zum anderen: werden Männer vor die gleiche Wahl gestellt?
    Es gibt mehrere Lebensentwürfe auch für uns Frauen. Man kann mit durchaus mehr Optionen, als Kind oder Karriere glücklich werden im Leben.

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