In ihrer Twentysomething-Kolumne schreibt Silvia über alles, was ihr gerade durch den Kopf geht. Und diese Woche darüber, warum wir oft nicht merken, wie viel in unserem Leben passiert.
Wenn die kleinen Dinge alles ändern
Da saßen wir nun, zwischen den gepackten Kisten, herumfliegenden Schuhen und lauter Bildern, die vielleicht auch die neuen Wände zieren werden, und schauten uns an: „Komisch ist das“, sagt meine Freundin und ich nicke. „Sehr komisch.“ Sie schweigt.
„Obwohl, eigentlich passiert ja gar nicht viel. Wir tragen deinen Kram einfach nur von einer Wohnung in die nächste.“ Sie nickt. „Aber das alleine verändert doch am Ende alles.“ „Stimmt“, sage ich.
Und, was ist bei dir so los?
Fragt man mich: „Und, was ist bei dir gerade so los?“ Dann sage ich meistens: Nicht viel, erzähle von der Arbeit, von Freunden und von Gefühlsverirrungen und zucke dann mit den Schultern: Das Übliche eben. Und während das in dieser Momentaufnahme richtig ist, ist es eben zeitgleich auch ganz falsch. Denn, das was da gerade passiert, ist mein Leben – und nicht irgendein Leerlauf. Keine Pause, kurz vor dem Urknall. Genau das, das ist es! Und während wir mal mit den Rahmenbedingungen beschäftigt sind und mal mit den Zwischentönen, da merken wir gar nicht, wie viel das zusammen so ergibt. Und staunen, klassischerweise an Silvester, manchmal aber auch, wenn man gemeinsam Kisten in eine neue Wohnung schleppt, was da alles so passiert ist. Und wie wir das gar nicht wirklich gemerkt haben. Dass wir gar nicht gemerkt haben, was wir so geschafft, angeschoben, überwunden und bewältigt haben.
Was das Leben mit uns macht – und was wir damit machen
Das erste große Lebensabschnitt, in dem ich anfing zu gestalten – vor allem mich selbst– das war die Zeit auf dem Gymnasium: das erste Geld selbst verdient, Verantwortung im Team getragen, ein Leben neben der Schule kennengelernt. Ausgehen, sich entscheiden, welche Dinge man mitnimmt und welche lieber nicht, wenn gerade keiner mehr die Hand darüber hat. Sich selbst erfinden und merken, welche Freunde die guten sind und welche die richtig guten und welche man lieber aussortiert. Sich in der Schule ins Zeug legen oder dann doch wieder nicht, (vermeintliche) Talente entdecken, ausbauen, verwerfen. Scheitern, auch das gehört zur Pubertät und der Zeit danach. An sich selbst scheitern oder an den Erwartungen der anderen, die zu erfüllen so wichtig scheint.
Es ist eine Zeit der großen Abenteuer und eine, in der man merkt, was einem wichtig ist im Leben – und dass man sich dafür einsetzen muss. Und eine, in der es erstmals zu großen Abschieden kommt – und zwar jene, für die man sich selbst entscheidet. Der Abschied von der Stadt, von den Freunden, einer Liebe und/oder von der Familie. Und auch das macht viel mit einem, von dem man erst nur ahnt und dann hinterher mehr weiß. Etwa, dass Abschiede etwas Gutes sein können, auch wenn sie zuerst wehtun.
Von den Chancen, die im Scheitern stecken
Dann das Studium, neue Stadt, neue Menschen, neues Leben. Die Chance, noch einmal jemand ganz anderes zu werden, weil dich niemand kennt, oder sich entschließen, so zu bleiben, wie man ist. Eine Zeit, in der man auf einmal Verantwortung über Miet- und Stromverträge hat. Herausfindet, was die beste Reaktion auf einen Wasserrohrbruch ist (aus Erfahrung: Heulen hilft nur bedingt), sich entscheidet, das Studium wirklich mitzunehmen, oder doch lieber nur das, was nebenher passiert. Eine Zeit, in der man sich verliebt, befreundet, Zukunft gestaltet. Und auch: Angst vor der Zukunft hat. Und sich dann überlegen muss, welche Reaktion nun die beste ist (auch hier wieder aus eigener Erfahrung: Heulen hilft nur bedingt – tut aber ganz gut).
Und abermals viel Scheitern. Aber während man in der Pubertät noch anders scheiterte, ganz verzweifelt scheiterte, sich ein endlos tiefes Loch auftat, bis es irgendwann vorbei war, da scheitert man ab Mitte oder Ende 20 noch einmal anders: Man merkt, dass im Scheitern eine Chance liegt. Eigentlich sogar die viel größere als jene, die der Sieg auftut: Es ist die Chance zu wachsen, sich zu erkennen und Dinge zu verändern.
Was 9-to-5 mit unserem Leben macht
Und dann das Arbeitsleben, vielleicht eine neue Stadt, vielleicht nur ein neuer Stadtteil, den man sich nun zu Eigen macht. Ein Leben, das nun von einem ganz neuen Rhythmus bestimmt wird: der, der nach der 9-to-5-Regel erklingt. Zumindest für die meisten Angestellten. Aber auch für die Selbstständigen und die Schichtarbeiter und jeden dazwischen wird auf einmal das Setzen von Prioritäten essentiell, um alles, was einem so wichtig ist, unter einen Hut zu bringen.
Auf einmal wird Zeit ein Gut, das eine ganz neue Wertigkeit erreicht, um sich weiterhin zu verlieben, zu befreunden oder Freundschaften zu pflegen und seine Talente zu fördern – oder einfach nichts zu tun. Und es ist ein Abschnitt, in dem man im täglichen Run immer wieder neu lernen muss, bei sich selbst zu bleiben und sich immer wieder zu fragen: Was mache ich hier und will ich das, was ich mache? Und es ist auch eine Zeit, in der man trotz aller (vermeintlichen) Verpflichtungen die Lust am Abenteuer nicht nehmen lassen darf. Die Lust am Ausprobieren, und die Lust zu hinterfragen, was einen wirklich glücklich macht.
Puh. So viel passiert da und muss gelernt werden – und es passiert bei jedem noch einmal anders. Und all das geschieht, während man dachte, man würde ja gar nicht so viel erleben, gar nicht so viel tun. Und na klar, manchmal ist es ja auch wichtig, einfach nach dem Motto „Go with the Flow“ zu leben, mitzuschwimmen, sich treiben lassen, gar nicht groß nachzudenken. Aber ganz oft ist es eben auch verdammt wichtig, sich mal wieder vor Augen zu führen – und zwar nicht nur rückblickend – was denn da alles so los ist, warum es passiert, wie es passiert und dass das Leben geschieht, während wir es eben leben. Und dass es meist die ganz kleinen Dinge sind, die es und uns am stärksten verändern.
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