In ihrer Kolumne „Familie und Gedöns“ schreibt Lisa über alles, womit sich Eltern so beschäftigen (müssen), diesmal: Zerstört ein zweites (oder drittes, oder viertes…) Kind die Beziehung?
Zweites Kind? Macht alles endgültig kaputt
Eine Kollegin berichtete neulich von einer interessanten Beobachtung in ihrem Freund*innenkreis: viele Paare, die bereits ein Kind haben, denken theoretisch über das zweite nach, aber mehrere würden zögern und sogar vor diesem Schritt zurückschrecken – aus Angst, oder vielmehr wegen der Überzeugung, der eigenen Beziehung damit endgültig den Todesstoß zu versetzen.
Interessant fand ich das, weil ich das tatsächlich überhaupt nicht nachvollziehen kann. Ich würde ja sagen: Wenn das erste Kind es nicht geschafft hat, eine Beziehung zu schrotten, dann haben alle weiteren auf keinen Fall bessere Chancen, das zu schaffen – eher schlechtere!
Denn auch wenn das ein beliebtes Fragespiel unter Eltern ist: „Was fandest du schlimmer, den Übergang von keinem zu einem Kind oder einem zu zwei (oder von zweien zu dreien etc. pp…) – Ich kann mir eigentlich gar nicht vorstellen, dass es irgendjemanden gibt, der*die nicht „von Null auf eins“ antwortet. Alles, was danach kommt, ist doch Pippikram!
Gerade in der Rückschau nach einigen Jahren ist es für mich immer wieder erstaunlich, was für ein Meteorit da eigentlich ins eigene Leben kracht, wenn da plötzlich ein Baby mitmacht; und Oma-erzählt-vom-Krieg-mäßig kann ich auch sagen, dass ich mich nie wieder so einsam und gestresst gefühlt habe wie im ersten Jahr mit (erstem) Baby. Schon beim zweiten war alles, wirklich alles, so viel angenehmer, all die Ängste, die Panik, etwas falsch zu machen, diese ständigen Fragen, Unsicherheiten, Sorgen, quälenden und völlig sinnlosen Vergleiche – ist das herrlich, wenn man sich das alles sparen kann! Die Entspannung ist ab dem zweiten Kind so unendlich größer. Allein dafür lohnt es sich doch schon!
Die Erwartungen erstmal in Bodennähe runterschrauben
In meinem Umfeld, wie auch überall sonst, trennen sich gerade viele Eltern, manche mit einem, einige mit zwei Kindern… Ich hab jetzt nicht so direkt gefragt, würde aber darauf schwören, dass niemand von ihnen auf die Idee käme, zu sagen: „Ja klar, das zweite Kind hat uns beziehungsmäßig das Genick gebrochen“. Andersherum bin ich überzeugt, dass ein Kind natürlich auf gar keinen Fall dazu beiträgt, eine Beziehung zu stabilisieren; die Phrase, dass ein Kind eine „Belastungsprobe für jede Beziehung“ ist, die stimmt schon; aber eine Beziehung scheitert in der Regel immer trotz der Kinder und nicht wegen der Kinder, egal wie viele davon im Spiel sind.
Mein heißester Tipp ist ja (ohne behaupten zu wollen, dass ich in dieser Disziplin irgendwelche Erfolge vorzuweisen hätte): Die Erwartungen erstmal verdammt weit herunterschrauben, bis in Erdbodennähe, würde ich sagen. Denn was sich nicht ändert, egal ob erstes, zweites oder drittes Kind, ist der unglaublich fruchtbare Boden im Alltag für Genervtheiten und Mikroaggressionen jeglicher Art; das gilt besonders in Partnerschaften, in denen der weibliche Part zumindest theoretisch eigentlich nichts gegen einen gleichberechtigten Lebensentwurf einzuwenden gehabt hätte, der sich mit Ankunft des ersten Kindes pulverisiert hat.
Ich spreche aus Erfahrung – selbst wenn man natürlich abgenickt hat, ein Jahr zu Hause Babybespaßung zu machen, ist das Streitpotential enorm, wenn der Partner abgekämpft und dennoch fröhlich, weil er schon wieder jede Menge Geiles im Job geleistet hat, nach Hause kommt, und man selbst schon seit geraumer Zeit die Sekunden zählt, bis man endlich den Schlüssel im Türschloss hört und das Kind bereits in Position hält, um es dem Partner in die Arme zu schleudern. Und dann auch noch nix Spannendes zu erzählen hat.
Großzügige Gnadenfristen setzen
Das wird beim zweiten oder dritten Kind aber besser – nicht etwa, weil man plötzlich Spannendes zu erzählen hätte, sondern weil man weiß, worauf man sich einlässt, was einen erwartet, man ist generell einfach besser eingerichtet in einem Leben mit Kindern, ist besser vernetzt.
Ich glaube, es ist einfach wahnsinnig wichtig, sich gegenseitig sehr großzügige Gnadenfristen zu geben: Wir haben Freunde mit etwas älteren Kindern, die jetzt gemeinsam Tango- und Töpferkurse besuchen und davon schwärmen, dass langsam wieder so etwas wie ein bisschen Freiheit zu spüren ist. Wie so oft: Ich will nicht meckern; ich vergöttere den feisten, eineinhalbjährigen Diktator und werde ganz oft traurig bei dem Gedanken, dass er bald schon keine Bodys mehr tragen kann, weil die nur bis Größe 104 gehen, und er dann kein richtiges Baby mehr ist; aber: Ich kriege es immer noch und immer wieder eher schlecht hin, nett zu meinem Partner zu sein; drei Kinder innerhalb von fünf Jahren, das bedeutet, es gab so gut wie keinen einzigen Tag, an dem ich nicht entweder schwanger und deshalb übellaunig, oder von einem Säugling oder einem Kleinkind im Trotzalter umgeben war; zu Stoßzeiten alles drei gleichzeitig.
In meinem Alltag zu Hause und mit den Kindern unterwegs spielen sich dauernd Szenen ab, in denen ich regelrecht körperlich spüre, wie sich mein Cortisolspiegel in unerfreuliche Höhen schraubt; das ständige Gerede davon, dass Kinder „Phasen“ haben, die irgendwann wieder aufhören, ist völlig korrekt, bloß, hilfreich ist es auch nicht, denn kaum ist irgendein Kind aus einer Phase raus, hat ein anderes wiederum seinem persönlichen Lebens-Zeitplan gemäß die nächste Phase eingeläutet. Dieses Risiko treibt man natürlich mit steigender Kinderzahl in die Höhe.
Cortisolspiegel im Alarmzustand
Mein Alltag sieht zurzeit so aus, dass das eineinhalbjährige Kind verzweifelt zu weinen anfängt, wenn ich ihm den Rücken zudrehe; wenn ich den Raum verlasse; wenn ich duschen will; wenn ich in den See springe und es mit dem Vater am Steg zurücklasse; der See mündet schließlich in die Spree, könnte ja sein, dass ich mich auf und davon mache. Das Kind läuft seit einiger Zeit nicht selbstständig, sondern umschlingt mit seinen dicken Ärmchen meinen Unterschenkel. Ich bewege mich also vorwärts wie bei diesem Kindergeburtstagsspiel, bei dem die Beine von zwei Kindern zusammengebunden werden und sie so einen Parcours bewältigen müssen; ich schleife den Baby-Klotz an meinem Bein, der im Zweifelsfall verzweifelt weint, durch die Gegend, während ich mich nicht dusche (darf ich ja nicht), anziehe, schminke, Frühstück mache, Brotboxen mit bedenkenlosem Inhalt fülle… es ist diese Mischung, die Stress verursacht: einerseits das Mitleid mit dem armen Baby, das offensichtlich gerade schlimme Trennungsängste hat und gleich von mir gegen seinen Willen in die Kita verfrachtet wird; gepaart mit dem unglaublichen Stress, keinen Schritt allein tun zu können, abends viel zu lange Händchen halten zu müssen, bei Abendterminen Angst haben zu müssen, nach Hause zu müssen, weil der Partner es nicht hinkriegt, für Ruhe zu sorgen…
Vielleicht gibt es ja heilige Menschen auf diesem Planeten, die das besser als ich hinkriegen, aber nein, ich kann dann nicht auch noch nett zu anwesenden Erwachsenen, sprich meinem Partner, sein. Ich bin ja schon froh, wenn der zu hohe Cortisolspiegel nicht dazu führt, dass ich mich den Kindern gegenüber suboptimal verhalte, dann soll es doch lieber der Partner ausbaden. Das ist natürlich für eine Beziehung kein wünschenswerter Dauerzustand. Und, das ist ja eh klar, jeden Tag gibt es wundervolle Momente, wir erleben als Familie unglaublich viel Schönes, und trotzdem gibt es in den meisten Familien, je nach „Phase“, Abschnitte, in denen vor allem Babys und kleine Kinder dafür sorgen, dass die Erwachsenen keine Kraft für liebevollen Austausch untereinander haben. Da kann man noch so oft den Rat bekommen habe, gemeinsam den Alltag „mit Humor“ zu nehmen.
Also, Fazit: Keine*r muss Angst vor dem zweiten, dritten, vierten Kind haben. Aber was ich dringend empfehle, ist, für das erste Jahr und womöglich darüber hinaus keine allzu großen Erwartungen an die Qualität der Paarbeziehung zu haben. Das klingt jetzt womöglich ernüchternd, aber ich meine das positiv: Das Leben von Erwachsenen besteht eben auch aus Phasen. Und diese eine Phase, Lieblingsbezeichnung von Sozialwissenschaftlern: „Rushhour des Lebens“, in der Paare möglicherweise zwei Jobs und Kinder unter einen Hut bringen müssen, die lässt einfach wenig Raum dafür, die Paarbeziehung in der Art zu pflegen, wie man das tun konnte, bevor es Kinder gab (oder, im besten Fall, wieder tun kann, wenn sie irgendwann ausgezogen sind). Das ist ja auch nicht schlimm, aber man sollte sich mit dem Gedanken anfreunden, dass es streckenweise ganz einfach ums Durchhalten geht. Das ist völlig normal, der Rushhour angemessen und: lohnt sich.
Wir haben jetzt unsere eigene Facebook-Gruppe rund um das Thema Familie. Wir wollen uns mit allen austauschen und vernetzen, die sich für das Leben mit Kindern interessieren – egal ob ihr selbst Eltern seid oder (noch) nicht. Schaut doch mal vorbei!
Mehr bei EDITION F
Quality Time in der Paarbeziehung: Wie zur Hölle soll das klappen, wenn dauernd Kinder stören? Weiterlesen
Drittes Kind: Und der ganze Mist fängt schon wieder von vorne an. Weiterlesen
Malte Weldings Plädoyer für Kinder, trotz allem. Weiterlesen