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Wie thematisiert man religiöses Mobbing unter Kindern? Ein Neuköllner Erzieher erzählt

Cem Erkisi ist Kita-Erzieher, männlich, mit Migrationshintergrund. Solche wie er fehlen, meint Katharina Schmitz, Redakteurin von „der Freitag“. Ein Interview über religiöses Mobbing und was man dagegen tun kann.

 

„Sollten wir im Zeitalter der Inklusion nicht sagen, wir packen jetzt einfach alle zusammen?“

Fängt religiöses Mobbing schon in Kitas an? Ja, aber man könne schneller intervenieren, meint Cem Erkisi. Sollte man sexuelle Vielfalt mit Kleinkindern besprechen? Unbedingt, findet der Erzieher, nur bitte nicht krampfhaft.

Herr Erkisi, Sie sind ein Mann, haben Migrationshintergrund, sind Erzieher in Berlin-Neukölln: eine gesuchte Spezies. Wie kam es dazu?

„Ich habe länger rumstudiert, Jura in Leipzig, auf Lehramt in Kassel. Bei einem Praktikum in Istanbul war mir klar: das ist es auch nicht. Über das Studium kam ich zum Jugendamt, da gings los mit Honorarkraft-Jobs.“

Für welche Zielgruppe?

„Für sozial auffällige Jugendliche. Ich habe Schulverweigerer*innen im Nachmittagsbereich betreut. In die Kita wollte ich eigentlich nicht von Anfang an und bin dann doch geblieben, seit dreieinhalb Jahren hier in Neukölln.“

Was halten Sie von Franziska Giffey als Familienministerin?

„Frau Giffey will Erzieher*innen genauso entlohnen wie Sozialarbeiter*innen an Schulen. Das ist gut. Ich finde aber auch, man müsste mehr Fachleute in die Kitas holen: Psycholog*innen, Ergotherapeut*innen, Logopäd*innen. Das wäre eine echte Qualitätssteigerung.“

Ist die Akademisierung des Erzieherberufs ein Problem?

„Sie nimmt viele Leute raus. Schauen Sie mich an, ich habe das Studium geschmissen. Viel wichtiger sind Fortbildungen, bei denen man zum Beispiel lernt, wie man mit verhaltensauffälligen Kindern spielen kann.“

Sie kritisieren die Konzepte der Sprachförderung in Kitas …

„Ja, in manchen Kitas wird auf eine paritätische Personalbesetzung geachtet. Die Hoffnung ist, dass Kinder leichter Deutsch lernen, wenn ihre Muttersprache auch gesprochen wird. Aber: Wenn Sie jetzt Französin wären und ich Türke, in welche Kita ginge dann unser Kind?“

Klingt elitär, in Prenzlauer Berg würden wir aber was finden.

„Ja, vielleicht. Ich meine, es fördert die Segregation. Sollten wir im Zeitalter der Inklusion nicht sagen, wir packen jetzt einfach alle zusammen? Schwierig wird es, wenn Kinder selbst betonen: Ich bin arabisch, ich bin russisch, ich bin brasilianisch.“

In der Fußballmannschaft meines Sohns spielt ein begabter Dribbler, man sagt: Klar, der Vater ist Argentinier. Nicht korrekt, oder?

„Ja, wenn man bedenkt, dass Deutschland Weltmeister ist.“

Aber sein Ballgefühl…

„Wenn Jérôme Boateng und Antonio Rüdiger, zwei Berliner, die Innenverteidigung in der Nationalmannschaft stellen und man dann sagt, dass sie keine Deutschen sind, ist das ein Problem. Und wenn ich mit Leuten diskutiere, sagen sie: Leugne nicht deine Kultur. Warum sollte ich dann meine deutsche Sozialisation leugnen? Wäre ich in England, würde ich mich mit den Briten identifizieren.“

Alle Welt spricht über religiöses Mobbing an Grundschulen. Aber fangen die Konflikte nicht schon in der Kita an?

„In der Kita können die Erzieher*innen schnell intervenieren. Ehrlich gesagt, passiert das in der Schule dann doch nicht die ganze Zeit. Aber traurig ist, dass es das schon lange gibt. Die Deutschtürkin Hatun Sürücü wurde 2005 in Tempelhof umgebracht. Von ihrem Bruder.“

Schaut man jetzt genauer hin, weil das Motiv mutmaßlich antisemitisch war?

„Antisemitismus ist nicht neu. Es ist gut, dass ausgerechnet die Neuköllner Bezirksbürgermeisterin jetzt Familienministerin geworden ist.“

Eine aus der „Buschkowsky-Schule“.

„Genau. Neukölln ist Neukölln und nicht Dahlem oder Prenzlauer Berg oder Bad Hersfeld. Das ist schon was anderes hier.“

Jetzt sollen ja Imam*innen in die Grundschule: eine gute Idee?

„Wieso beschäftigt man sich damit nicht in den Moscheen? Es gibt viele Kinder, die an Wochenenden ihre Zeit dort verbringen. Aiman Mazyek, der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, sagt, er hoffe, die Jüdische Gemeinde mache mit, das Angebot stehe…“

Als hätte die Jüdische Gemeinde eine Bringschuld?

„Ein altes Phänomen, die Schuldfrage den Jüd*innen zuzuschieben…“

Dann ist auch der ominöse Kita-Koffer in der Debatte. Drin sind Handreichungen für Erzieher*innen, um sexuelle Vielfalt in Kitas zu behandeln. Was ist daran neu?

„Nicht viel. Höchstens Murat. Er trägt ein Kleid und möchte eine Prinzessin sein. Was jetzt wiederum als stigmatisierend empfunden wird. Warum muss jetzt Murat das Kleid tragen? Als seien Muslime per se intolerant.“

Ist Homophobie ein Thema?

„Ja, es ist aber egal, ob das Kind David, Serge oder Murat heißt. Entscheidend ist, dass man den Kindern sagt: Egal, wer wen lieb hat. Man würde den Erziehern Böses unterstellen, wenn man behauptet, dass sie diese Themen wenig angegangen hätten.“

Aber man sollte es eben nicht zwanghaft tun.

„Genau. Man kann nicht wie in der Schule sagen: Heute reden wir über das transsexuelle Kind Jil.“

Ist das denn die Vorgabe?

„Die Kitas können geprüft werden. Im Kitaförderungsgesetz steht im Übrigen immer noch nicht drin, wie viel Vor- und Nachbereitungszeit wir dafür haben.“

Der Migrationsanteil in Ihrer Kita ist hoch, sind die Elternhäuser eher konservativ?

„Ich habe mal in der Küche ein paar Kartoffeln gebrutzelt, da kamen die Jungs und haben gesagt, Männer kochen doch nicht. Das haben wir dann aufgegriffen. Wir haben an Karneval Frauenkleidung angezogen. Jetzt könnten Leute von der Uni kritisieren, dass wir wieder nur mit binären Geschlechterrollen arbeiten. Ehrlich, man muss auch mal sagen können: Bevor es verschult wird, muss ich schauen, wie kriege ich das Interesse der Kinder. Das sollte der Maßstab sein.“

Wie kriegt man mehr männliche Erzieher in die Kitas?

„Die GEW sagt, man soll Erzieher besser bezahlen. Die Frauen sagen: Wir Frauen wollen doch auch mehr Geld, was ist das denn für ein Ansatz? Man tut ja was, es gibt den Boys’ Day. Man müsste mehr in die Oberschulen gehen, hier in Neukölln zum Beispiel.“

Blöde Frage. Sind Sie gläubig?

„Ich bin Atheist. Meine Eltern sind Aleviten. Ich fahre ab und an zur alevitischen Gemeinde. Ich besuche weltliche Veranstaltungen in Gotteshäusern. Das ist ein wunderbarer Weg.“

Die Alevit*innen machen nicht mit beim Lehrstuhl für Islamische Theologie in Berlin.

„Ich denke, die Alevit*innen in Berlin wollen nicht unbedingt mit schiitischen und sunnitischen Anhänger*innen des Islam in einen Topf geworfen werden. Es gibt Verbände, die das anders sehen. Aber es gibt schon eine Tendenz, zu sagen, die fünf Säulen des Islams befolgen wir gar nicht.“

Macht ein Islamunterricht da Sinn?

„Es soll circa 72 Ausrichtungen geben, habe ich neulich in Seyran Ateş’ liberaler Moschee gehört. Demnach müsste es mindestens 50 Gebetsräume in einer Schule geben. Meine Eltern haben mich aus dem türkischsprachigen Ergänzungsunterricht rausgenommen, weil dort sunnitische Gebete gelehrt wurden. Meine Eltern sind vor türkischen Faschist*innen, Kleriker*innen, Sunnit*innen geflohen. Ich kann mir auch vorstellen, dass der Burgfrieden, der hier in Berlin herrscht, nicht bleiben wird.“

Sind Sie eigentlich in der SPD? Nein, halt, CDU, oder?

„Ja…“

Okay, Schluss mit lustig.

„Ach, wenn man zu den Grünen geht und sagt, man ist Deutscher, wird man gleich dem Baden-Württemberg-Flügel zugeordnet. Ich find’s gut bei den CDUlern im Wedding. Da bin ich für den interreligösen Dialog zuständig.“

Wir kennen uns ja nur über Facebook. Interessant!

„Der Ortsvorsitzende Sven Rissmann hat meinen Namen sofort richtig ausgesprochen. Da kommt also so ein Keinen-Bock-auf-die-Ausländer-CDUler, denkt man, und Pustekuchen: Der ist im Wedding aufgewachsen.“

Zur Person

Cem Erkisi, Jahrgang 1981, wuchs in Duisburg auf. Seit 2011 lebt Erkisi in Berlin. Sein Jura- und Lehramtsstudium hat er abgebrochen. Seit über fünf Jahren arbeitet er als Erzieher. Erkisi ist CDU-Mitglied in Berlin-Mitte und hier Beauftragter für Interreligiöse Kommunikation.

Der Originaltext von Katharina Schmitz ist ist bei unserem Kooperationspartner der Freitag erschienen. Texte von EDITION F werden künftig auch in der gedruckten Ausgabe der Wochenzeitung erscheinen.  Hier könnt ihr der Freitag auf Facebook und Twitter folgen.

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