Foto: Nicole Mason I Unsplash

Unsichtbare Narben – Mein Leben mit einer bipolaren Störung

Unsere Community-Autorin hat eine bipolare Störung. Wie das Leben damit ist, hat sie für uns aufgeschrieben. Ein Text für andere Betroffene, Menschen, die sie verstehen möchten – und sie selbst.

Narben, die man nicht sieht

Dies ist für euch: Diejenigen, die ebenfalls davon betroffen sind und die Leser, die versuchen es zu verstehen. Und ehrlich gesagt auch für mich, weil mir das Schreiben hilft.

Wunden bzw. Narben, die nicht offensichtlich sind, werden oft mit einem Händewinken abgetan. Man soll sich doch nicht so anstellen, denn
schließlich hat man ja keinen Elternteil verloren und wurde auch nicht
vergewaltigt oder hat ähnlich Schlimmes erlebt. Bei Todesfällen bekommt man Unterstützung und Verständnis. Aber was ist denn das für eine Logik, dass alles mit dem Schlimmsten verglichen werden muss?! In der Schule, der Uni und der Karriere soll man sich mit dem Besten vergleichen, aber bloß nicht wenn es um die eigene Gesundheit und das eigene Wohlbefinden geht – „pffff Sensibelchen“.

Ich habe eine unsichtbare Narbe – irgendeine abgeschwächte Form einer bipolaren Störung. Es gibt so viele verschiedene Formen psychischer Krankheiten, sodass man dort kaum durchblickt und am besten gar nicht durchblicken sollte, je nachdem was man diagnostiziert bekommt.  Mit und ohne Psychose, manisch-depressiv, bipolar I/II, affektiv, schizophren, chronisch, …

Wie es mir geht

Es ist als würde ich in meinem Leben große Stolpersteine mit
mir rumschleppen müssen, die ich manchmal plötzlich vor meinen eigenen Füßen fallen lasse und die es dann wieder aufzuheben gilt.

Denn zu einigen Zeiten werde ich ohne einen bestimmten Grund
traurig. Zu anderen Zeiten bin ich extrem glücklich und voller Energie, wobei
ich manchmal das abgespannte Gefühl habe zerplatzen zu müssen. Ich sehe dann oft viele einfache Dinge in einer wunderbaren Schönheit, was für mich manchmal unerklärlich ist. Es scheint absurd, dass auch dies irgendwie ein Teil der Störung sein soll! Ich weiß dann allerdings auch, dass mich in vorhersehbarer Zeit ein kleineres oder größeres Tief einholen wird.

Unabhängig von meinen Tiefs oder Hochs kann ich mich im Studium extrem schlecht konzentrieren. Dumm bin ich nicht – ich schreibe sogar gute Noten, aber das häufige Grübeln, Hinterfragen und die extreme Unausgeglichenheit bremsen mich ziemlich ab. Mit meinem Schneckentempo scheinen dann meine Kommilitonen an mir vorbeizurasen, die ehrlich gesagt auch nicht gerade ein schnelles Tempo draufhaben. Daher würde ich mich sogar als kriechbehinderte Schnecke bezeichnen.

Es macht das Leben eben etwas schwieriger. Aber es gibt wiederum auch die Phasen, in denen ich einfach nur ausgeglichen und zufrieden bin – Phasen nach denen ich mich immer sehr sehne!

Das glitschige Seil und die frohen Momente

Mir wurde gesagt, dass ich ein lebensfroher Mensch bin. Das stimmt, wenn ich nicht gerade in meinem grauen Käfig oder Loch stecke, wo ich mit einem rostigen Schlüssel oder einem glitschigen Seil jedes Mal mühevoll wieder alleine rauskommen muss. Zum Glück passiert es mir nicht mehr so oft wie früher. Denn ich weiß heute besser, wie ich das glitschige Seil anpacken muss, um schneller wieder raufzuklettern. Dass ich mich manchmal dort befinde, wissen nur sehr wenige gute Freunde.

In einigen Momenten bin ich vermutlich sehr lebensfroh, weil ich die guten durch die schlechten Augenblicke schätzen gelernt habe. Oder ist es vielleicht nur ein Schutzmechanismus? Ein Schutzmechanismus wie meine Unabhängigkeit, um von nichts und niemandem verletzt werden zu können?

Und die Ursache?  – dedumm, natürlich zum großen Teil meine Familie und meine Kindheit. Aber ich möchte nicht über den Streit meiner Familie schreiben. Ich möchte nur deutlich machen, dass emotionaler und psychischer Missbrauch selten wahrgenommen wird. Es sind scheinbar einfache Dinge, die nicht-vorstellbare Narben hinterlassen können. Schon permanente Kritik an einem Kind und fehlender sozialer Halt kann starke negative Folgen haben. Aber an die Ursachen sollte man nach einiger Zeit lieber weniger denken.

Ich bin vor allem sehr froh zu wissen, dass immer wieder gute Momente kommen und dass ich mittlerweile einen relativ guten Griff für das glitschige Seil gefunden habe. Zudem habe ich wunderbar verständnisvolle Freunde.

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