Foto: Matthias Rüby

Sarah: „Aufgeben war nie eine Option, auch wenn meine Krankheit mein Leben komplett verändert hat“

Gerade als sie ihr Abi in der Tasche hatte und das Leben so richtig los gehen sollte, bekam Sarah Elise Bischof ihren ersten epileptischen Anfall. Von da an wurde ihr Leben ein anderes. In ihrem Buch „Panthertage“ erzählt sie davon.

„Menschen mit Epilepsie wollen nicht mit Samthandschuhen angefasst werden“

Die Schule hinter sich, das Abi in der Tasche und in heller Aufregung, weil man den Vertrag für die erste, eigene Wohnung unterschrieben hat. Endlich geht das Leben los! Genau in dieser Situation war Sarah Elise Bischof als sie ihren ersten Anfall bekam. Diagnose: Epilepsie. Was sie erst nicht wahrhaben wollte, krempelte ihr Leben vollständig um.  In ihrem Buch „Panthertage: Mein Leben mit Epilepsie“ erzählt sie von den Ängsten und Hindernissen, aber auch davon, wie sie sich ihr Leben zurückeroberte. Wir haben mit ihr gesprochen.

Sarah, gerade als du mit deinem Studium begonnen hast, wurde bei dir Epilepsie diagnostiziert.

„Mein erster Anfall überraschte mich – wie bis heute das Gros meiner Grand Mals – im Schlaf. Es war September 2004. Das Abi lag hinter mir, ebenso der Einzug in meine allererste Wohnung. Ich steckte inmitten der Vorfreude aufs erste Semester Literaturwissenschaften und ebenso der Unsicherheit, das Richtige gewählt zu haben. Der Traum als Polizistin der Welt ein kleines Stück Sicherheit und Frieden zu schenken, schlummerte in mir ebenso wie die Liebe zu den Wörtern. Ich wollte also mein Studium aufnehmen und bereitete mich parallel auf die Tests für den höheren Polizeidienst vor.“

Wie hat sich der erste Anfall angefühlt?

„Ich wachte auf und war doch nicht ganz bei mir und die Welt war in dichten Nebel eingetaucht. Die dicke Wand schien kaum zu durchbrechen. Meine klamme Schlafanzughose klebte an meinem Hintern, meine Zunge fühlte sich taub an, die Lippen rissig, der Geschmack von Blut und Speichel erfüllte die Mundhöhle. In meinem Kopf tanzten Buchstaben wild durcheinander, mal größer, mal kleiner, ich versuchte, sie einzeln zu fangen und aus ihnen einen halbverständlichen Wortbrei zu machen. Es gelang mir nicht. Mein Körper fühlte sich bleischwer an. Ich war irgendwo panisch und doch total ruhig, das erinnere ich noch. Ich schlief dann wieder ein. Ich habe den ganzen Tag verschlafen. Dann kamen die Muskelschmerzen. Doch ich hab das nur verdrängt. Es stand zwar ein riesiger Elefant in meinem Wohnzimmer, doch ich habe ihn einfach in der Farbe meiner Wände tapeziert und ignoriert. Das kennt man aus seiner Kindheit: ‚Wenn ich dich nicht sehe, siehst du mich auch nicht.’“

Bild: Moritz Thau

Gerade in dieser Zeit beginnt man ja, Wünsche für sein Leben zu entwickeln. Mit Epilepsie ist das Leben, das sowieso schon schwer zu planen ist, noch schwerer zu planen. Was hat die
Krankheit in deinem Leben umgeworfen, was zuvor fest auf der To-Do-Liste stand?

„Ich kann schon einmal sagen, dass ich keine Kommissarin mehr werde. Wobei, ein Tatort stünde mir sicher ganz gut! (lacht) Im Ernst, nachdem ich mich irgendwann dem ‚Elefant im Zimmer’ stellen musste und die Diagnose am 24. Dezember 2004 unumstritten feststand, gerieten all meine Sorgen und Gedanken von zuvor immer weiter in den
Hintergrund. Was ich werden möchte und all diese ‚banalen’ Fragen, die sich jeder
zu dieser Zeit stellt, sind mir wie Luftballonschnüre entglitten und weg geflogen.
Von heute auf morgen konnte ich nicht einmal mehr beantworten, wer ich denn
eigentlich bin und was mein Leben ausmacht. Alle sagen ‚Du bist doch immer noch
du’, aber du spürst, dein Leben wird nie wieder so sein wie gestern. Und du, du
wirst nie wieder der Mensch sein, der einst dieses Krankenhaus betrat.“

Was geschah dann?

„Ich habe meinen Studienbeginn zunächst verschoben. Dann habe ich erst einmal ein Teilzeit-Praktikum als Journalistin angefangen, da mehr körperlich nicht möglich war.
Ich hatte jede Woche mehrere Anfälle. Ich habe es damals Freunden erzählt, alle
reagierten mehr oder weniger hilflos. Ein Gespräch mit zwei ehemaligen
Schulfreundinnen hat sich jedoch besonders eingebrannt und verfolgt mich bis
heute in Albträumen. Wir saßen Anfang Januar 2005 auf meinem weißen Ikea-Schlafsofa und haben Tee getrunken. Gequatscht. Irgendwann brach es aus mir heraus. Sie haben wenig dazu gesagt, sagten zum Abschied bis bald. Ich habe sie nie wieder gesehen. Und es mag albern klingen, doch sie haben mir sogar die Facebook-Freundschaft gekündigt. So etwas kann einen so jungen Menschen, dessen gesamtes Leben sich gerade total verändert, traumatisieren. Daraufhin habe ich es meist verschwiegen, mich in mein Schneckenhaus verzogen, nur wenige Menschen an mich herangelassen.“

„Sie sagten zum Abschied bis bald. Ich habe sie nie wieder gesehen.“

Schon zu Beginn deines Buches wird klar, welche Hilflosigkeit die Krankheit mit sich bringt. Plötzliche Anfälle, fehlende Erinnerungen und dann die Erholungsphase, bis du wieder loslegen kannst. Wie lernt man, damit umzugehen? Lernt man das überhaupt?

„Das ist eine der Fragen, die sehr schwer zu beantworten ist. Jeder findet seinen eigenen Weg. Bei vielen Dingen – und diese Fragestellung gehört dazu – hat man keine wirkliche Wahl. Die Alternative lautet: aufgeben. Aufgeben war für mich noch nie eine Option. In meiner Jugend spielte ich Fußball. Wir spielten einmal bei Eis und Schnee gegen den Tabellenführer. Unsere Mannschaft war nicht einmal vollzählig und es verletzten sich mehr und mehr Mitspielerinnen. Irgendwann stand es 8:0 und eine weitere Mitspielerin verletzte sich. Da wir nun nur noch zu sechst waren, bestand die Möglichkeit, das Spiel abzubrechen und gegen uns werten zu lassen. Aufzugeben. Keiner von uns wollte das, nein, wir wollten sportlich bis zum Ende kämpfen. Am Ende verloren wir 27:0. Und dennoch waren wir stolz. Das mögen viele nicht verstehen, doch für mich hat das etwas mit der Lebenseinstellung zu tun. Es gibt natürlich Tage, die sind die Hölle, und manchmal weine ich und schreie, ja ich hasse dann die Welt und will einfach nur, dass das alles vorbei ist. Aber am Ende stehe ich wieder auf, denn ich weiß, das ist mein Schicksal, aber eben auch meine Chance zum Glück, meine einzige.“

Was bedeutet die Krankheit für dich?

„Epilepsie bedeutet für mich aus dem Leben, von den Beinen, aus dem Glück, aus einem Höhenflug gerissen werden zu können, willkürlich, in jeder Sekunde. Diesem Fakt bin hilflos ich ausgeliefert. Und werde es zum aktuellen Forschungsstand auch bleiben. Immer wieder aufzustehen, immer wieder den Staub abzuklopfen, die Füße auf den Boden zu setzen, das Krönchen zu richten, nach jedem Gegentor wieder erhobenen
Hauptes zum Mittelpunkt zu schreiten – das ist meine Entscheidung, das ist mein
Moment, diese Stärke und Würde kann mir keiner nehmen und da ist auch der
stärkste Panther hilflos. Er ist stark, aber ich habe mir geschworen, ich werde
immer ein kleines bisschen stärker sein.“

„Ich habe mir geschworen, immer etwas stärker als meine Krankheit zu sein.“

Bild: Matthias Rüby

Im Buch ist viel von Wut und Scham die Rede. Ist dass das Schlimmste? Dass man (absurderweise) Angst hat, andere zu verstören, wenn man einen Anfall hat?

„Ich habe die Krankheit akzeptiert, sie gehört zu mir, zu meinem Alltag. Sie ist wie ein kleiner plagender Kobold, der dir auf Schritt und Tritt folgt, den du nie loswirst,
seinetwegen du die Augen verdrehst und den du doch 95 Prozent deiner Zeit gar
nicht mehr wahrnimmst. Die ersten Jahre habe ich den Kobold verdrängt und
versucht, ihm die Tür vor der Nase zuzuschlagen. Die nächsten Jahre habe ich
ihn abgrundtief gehasst und für so ziemlich alles Elend auf der Welt verantwortlich gemacht, wie dass Ryan Gosling auf Eva Mendez steht (schmunzelt). Inzwischen
ist er halt da. Und geht so mit mir meines Weges. Mal trampelt er mir alle paar
Meter auf den Fuß und mal ist er etwas mehr mit sich selbst beschäftigt. Und
dann immer wieder werde ich von einem Panther angefallen und habe das Gefühl,
er lacht mich aus.“

„Meine Krankheit ist wie ein plagender Kobold.“

„Die Menschen um mich herum haben meinen Troll nicht. Sie kennen ihn nicht. Sie haben vielleicht von ihm gehört. Dennoch ist es nahezu unmöglich, sich ihn vorzustellen, wenn man nicht auch einen hat. Ich habe gelernt, dass ein Anfall am Ende nicht einmal
halb so wild ist, so lange ich nicht schwer stürze. Doch viele sehen ihn zum ersten Mal. Und sie sehen wahrhaftig grausiger aus, als sie es sind. Mit einem Anfall grätsche ich unbeabsichtigt in die Leben anderer Menschen, die daraufhin Abläufe oder Pläne ändern müssen, das tut mir jedes Mal aufs Neue weh. Und mein Partner. Der hat sich in eine Frau verliebt. Und die hat ihn nun in der gemeinsamen Wohnung nicht nur mit ihrem verrückten kleinen Hund, sondern auch noch dem Kobold mit den Panthertagen im Gepäck beglückt. Natürlich überkommen einen da häufig Schuldgefühle, da ich befürchte, die Menschen, die ich am meisten Liebe, mit in meine regelmäßige Panther-Misere zu ziehen. Die Menschen, die ich am allerliebsten vor allem Schlechten schützen würde.“

Was wäre gewesen, wenn deine im Buch beschriebene Freundin Lena nicht gewesen wäre, die deiner Krankheit keinen übermäßigen Raum gegeben hat, sondern einfach ganz normaler weiter machte? Für dich da war, ohne großes Drama. Wie wichtig ist das?

„Ohne meine ‚Lena’ und meine Schwester hätte ich die ersten Jahre nicht durchgestanden. Oder besser gesagt, ich hätte sie durchgestanden, aber wäre immer noch an diesem Punkt geblieben, an dem ich mich stets der Epilepsie ausgeliefert und unterlegen fühlte, mich für sie schämte. Ich hätte nie meine Flügel gespannt und wäre so nie zu der selbstbewussten und autarken jungen Frau gewachsen, die ich heute bin.
Und sicherlich hätte ich mich nie getraut, mit einem Buch vor die Welt zu treten und zu rufen: ,Hej, ich bin Sarah und ich habe Epilepsie.‘ Und ja, von mir aus darf das jeder wissen.“

Was kannst du denn jemandem raten, der mit dem Thema in der Familie oder dem Freundeskreis zu tun hat und noch nicht so richtig weiß, wie er am besten damit umgehen soll?

„Ich kann nicht für alle Menschen mit Epilepsie sprechen. Ich bin mir sicher, dass viele bei meinen ‚Tipps’ den Kopf schütteln. Wichtig ist Offenheit. Wie erwähnt, stand bei mir
viele Jahre dieser Elefant im Zimmer. Den sieht nicht nur der Betroffene sondern auch jeder andere, gute Freunde und die enge Familie. Offenheit ist immer das Hilfreichste. Auch Angehörige haben beispielsweise das Recht auf ihren Wunsch, darüber zu reden. Betroffene müssen anerkennen, dass diese Erkrankung nicht nur sie betrifft. Fragt, was euch bedrückt, erzählt eure Gefühle. Diskutiert, weint, streitet. Die Ängste, die Bedrückung, die Scham, sie lassen sich nicht wegzaubern, aber die Offenheit schafft den Platz, in dem reinigende Gespräche dazu führen können, all diese negativen Gefühle abzubauen. Wir Menschen mit Epilepsie wollen nicht mit Samthandschuhen angefasst werden. Wenn ihr etwas wissen wollt, fragt uns. Wir können immer noch die Frage von uns weisen. Und wenn wir uns unmöglich verhalten, dürft ihr uns das ebenso sagen.
Ich höre oft: ‚Die Cousine meines Freundes hat ebenfalls Epilepsie. Die ist auch supernett.’ Hm. Macht euch keine Hoffnung, die Arschloch-Quote unter Epileptikern ist bestimmt nicht geringer. Epilepsie schützt nicht vor einem miesen Charakter.“

„Macht euch keine Hoffnung, die Arschloch-Quote unter Epileptikern ist bestimmt nicht geringer. Epilepsie schützt nicht vor einem miesen Charakter.“

Auch erzählst du von deiner Arbeitssuche, wie schwer es war, weil die Epilepsie gesellschaftlich stigmatisiert ist– vor allem wegen der Unwissenheit. Mal konkret: Welche Einschränkungen hat denn ein Epileptiker im Berufsleben?

„Es gibt selbstredend Berufe, die für Menschen mit Epilepsie nicht in Frage kommen. Dies gilt besonders für Berufe, bei denen die Leben anderer Menschen gefährdet werden
können wie Pilot oder Herzchirurg. Dann kommt es auf die unterschiedlichen
Epilepsieformen an. Bei vielen ist es – liegt nicht eine mehrjährige Anfallsfreiheit vor – unmöglich, Kraftfahrzeuge oder ähnliche Maschinen zu steuern. Doch darüber hinaus sind uns in der Berufswahl kaum Grenzen gesetzte. Lehrer, Journalist, Anwalt, Schweinehändler, Koch, Professor, Kanzlerin, Mechaniker oder Superstar – warum nicht? Individuell gibt es natürlich Epilepsien, die etwa auf Stress oder bestimmte Lichtreflexe reagieren, was in die Berufswahl mit eingezogen werden muss.“

Kannst du denn sagen, in welchen Situationen oder durch welche Faktoren deine Anfälle ausgelöst werden?

„Dadurch, dass ich am linken Schläfenlappen eine Fehlbildung habe, die fortwährend stört und trotz der Medikamente nie ganz verschwindet, besteht in meinem Fall eine stete Anfallsgefahr. Einer meiner Hauptgefährder ist der Schlafentzug. Ich muss jede
Nacht mindestens acht, am besten neun oder zehn Stunden schlafen, sonst gerät mein Körper schnell aus der Balance. Zudem können bei mir bestimmte Lichter wie zum Beispiel Strobolicht und Unterzuckerung sowie ein allgemein schwaches Immunsystem die Anfallswahrscheinlichkeit erhöhen. Wenn diese Faktoren eintreten, muss ich besonders auf mich achten und sollte beispielsweise nicht auch noch lange ausgehen oder viel Alkohol konsumieren.“

Welche Ängste haben sich nun, zehn Jahre später, als vollkommen unbegründet erwiesen?

„Ich hatte Angst, dass mein Leben nur noch daraus bestehen wird, im ‚Rahmen meiner Möglichkeit’ etwas Tolles zu leisten. Sämtliche Ansprüche und Träume herunterzuschrauben, um etwas als Erfolg bezeichnen zu können. Dies habe ich Gott sei Dank nie zugelassen. Ich bin ein sehr ehrgeiziger Mensch, vielleicht sogar etwas zu sehr. Ich bin eine absolute Perfektionistin, das kann man auf meiner persönlichen Plus- und
Minusseite einordnen. Das sieht man an all den Abschlüssen und Auszeichnungen,
die ich in den letzten elf Jahren erlangt habe. Ich mache es mir selbst auf diese Weise nicht leichter, doch ich bin stolz auf mich, zumal ich weiß, dass viele Menschen nicht mehr mit mir gerechnet haben, mich abgeschrieben haben. Ich habe gelernt, dass du nie dein Ziel ändern solltest, höchstens die Strecke, die dich dorthin führt.

Und welche Ängste sind dazugekommen?

„Bis heute ist meine größte Furcht, anderen zur Last zu werden. Mein Freund nennt mich liebevoll ‚starke, unabhängige Kaktusfrau’. Ich pflege stets zu sagen, dass ich alles alleine kann und schaffe. Er hat mich gelehrt, dass ich das nicht muss. Dass das jedoch –
entgegen meiner Furcht – nicht heißt, dass ich es nun weniger könnte. Ich möchte niemanden ‚brauchen müssen’, das sind meine Sorgen. Zumal ich weiß, dass es auf mich leider nicht zutrifft. Ich brauche meine Notfallkontakte. Nach Anfällen bin ich hilflos und vollkommen auf andere angewiesen. Doch ich arbeite daran, dies mehr zu akzeptieren, mehr zuzulassen und es nicht als Schwäche anzusehen.

Wie hat sich deine Krankheit auf deine Beziehung zu deinem Partner,
Freunden und Familie ausgewirkt?

„Meine Epilepsie hat in vielen Beziehungen Probleme verursacht. Ich kann häufig nicht so, wie ich will, oder wie jemand anderes möchte, dass ich kann. Es gab in jeder Beziehung viel Streit über meine Belastungsgrenzen. Das ist ein großes Problem einer jeden nichtsichtbaren Behinderung. So habe ich ein hohes Ruhebedürfnis. Und nach anstrengenden Phasen kann es sein, dass ich es  eines Tages einfach nicht schaffe, am Morgen aufzustehen. Das ist okay. Doch das habe ich erst lernen müssen, mit einer Psychologin, aber auch mit meinem Partner. Ich fühle mich zum ersten Mal in einer Beziehung genau so richtig, wie ich bin. Ich fühle mich geliebt, mit all meinen Fehlern und Wahnsinnigkeiten. Und mit der Epilepsie. Sie ist da. Und wenn sie einmal
unseren gemeinsamen Alltag verändert und durcheinanderwirbelt, dann ist es eben
so. Ich habe endlich gelernt, dass das auch nicht meine Schuld ist und ich
durch sie nicht weniger liebenswert bin.“

Wie geht es dir denn heute? Hast du einen neuen Weg für dein Leben gefunden, einen Job und all das, was dich glücklich macht – auch wenn eine neue Weiche den Streckenverlauf deines Leben damals so verändert hat?

„Ich gehe einen wunderbaren Lebensweg, ja ich bin glücklich, aber ich habe gelernt, mich
weniger zu fragen, was hinter der nächsten Kurve kommt. Ich habe meinen Partner
und sage als Mädchen, das nie heiraten wollte, dass ich ganz kitschig alt werden möchte. Mit Schaukelstühlen, Enkelkindern und einem Gemüsegarten. Ich habe einen fantastischen Teilzeit-Job bei einer Münchner Agentur für digitales Marketing mit dem Schwerpunkt auf der Kulturbranche und wurde bei der AVA  international, Autoren- und Verlagsagentur, unter Vertrag genommen. Derzeit schreibe ich an zwei belletristischen
Projekten, die gar nichts mit den Panthertagen zu tun haben.“

Hast du vielleicht einen Rat, oder einen Tipp, für alle, bei denen das auch diagnostiziert wurde?

„Alles wird gut, versprochen. Alles wird anders, ja. Und das kann verdammt viel Angst machen und das darf es auch. Verkriech dich nicht mit deinen Ängsten. Schreie sie alle
hinaus und suche Gleichgesinnte. Im Internet, bei Selbsthilfegruppen etc. Und wenn dir jemals jemand sagt, du seist weniger wert, dann hau ihm von mir auf die Nase. Und wenn dir jemand sagt, du sollst etwas ‚im Rahmen deiner Möglichkeiten’ machen, dann hau ihm gleich noch einmal auf die Nase. Denn das ist alles falsch. Mir sagte einmal jemand: ‚Du kannst eben nicht so träumen wie andere.’ Viel zu lange habe ich das geglaubt. Und ich verspreche dir: das stimmt nicht. Hör niemals auf so etwas. Hör mir zu: Du bist fabelhaft! Lass dir nie etwas anderes sagen. Und nach all dem Chaos und nach all der Veränderung und nach all dem Schmerz all dem Fremden, Neuen, Beängstigenden kommt auch immer ein neuer Frühling.“

„Verkriech dich nicht mit deinen Ängsten. Schreie sie alle hinaus und suche Gleichgesinnte.“

Und zu guter Letzt: Was sollte dringend mal zum Thema Epilepsie gesagt werden?

„Es ist 2016. Wacht auf. Ich habe mein Buch ‚Panthertage. Mein Leben mit Epilepsie’ mit einer Scheißangst vor Ausgrenzung und Ablehnung geschrieben. Ich habe wegen der
Epilepsie 158 Job-Absagen bekommen, ich wurde gemobbt, benachteiligt, beschimpft, verlassen und gehänselt. Und doch stehe ich hier und stehe auf. Für mich, aber auch für jeden anderen, der eine Stimme braucht, weil seine (noch) zu schwach ist. Und jetzt sind wir ALLE dran. Helft der Welt, ein besserer Ort zu werden. Bildet euch über Krankheiten und Behinderungen und gebt euer Wissen weiter. Es ist schon lange überfällig. Wir sind nicht die Anderen, wir sind ein Teil von euch. Weg mit all den Vorurteilen, weg mit all den Stigmata. Wir sind acht Prozent der Bevölkerung. Wir sind mitten unter euch. Wir sind viele. Doch die meisten schweigen und fürchten sich, weil sie vor euch Angst haben. Um ihre Sicherheit, ihren Arbeitsplatz, ihr soziales Netzwerk, ihren Stand in der Gesellschaft. Das bezwängt ihr Leben und ihren Alltag. Die Welt ist bunt. Seht nicht weg, wenn auf der Straße jemand Hilfe braucht, lest euch ein und verbreitet es, wendet es an. Und vergesst nicht, es sind acht Prozent – auch du kennst jemanden. Zeig ihm, dass er auf dich zählen kann.“

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