Die ganze Woche freuen wir uns auf deren Ende: endlich wieder mehr Freizeit. Warum aber, wird uns an einem Sonntag genau das zum Verhängnis? Über die wöchentliche Melancholie.
Sonntag, hallo wach!
13.00 Uhr. Sonntag. Mit halb verquollenen Augen lasse ich die ersten Sonnenstrahlen in mein Bewusstsein. Das Fenster steht sperrangelweit offen, die Klamotten von gestern Abend liegen irgendwo auf dem Boden verteilt, das Haar versprüht den Geruch von gestern Nacht: Zigaretten, Wein, Bier – und noch mal Zigaretten. Dass das unnötig war, steht außer Frage. Dass ich eigentlich schon längst mit dem Rauchen aufhören wollte, auch. Ändern lässt sich daran jetzt nichts mehr. Ich überlege, was mit dem Tag anzufangen ist.
Eine kurze Bestandsaufnahme: 13.00 Uhr – die Hälfte des Tages ist bereits passé, die Sonnenstrahlen verkriechen sich sowieso demnächst wieder hinter den Wolken und außerdem: Es ist Sonntag, draußen ist nichts los, also bleibe ich heute, wo ich bin: im Bett. Ich drehe mich auf den Rücken und beschließe, nachzudenken. Mein Blick die Ferne wird leider eingeschränkt durch die direkte Dachschräge über mir, den Film von gestern Nacht spule ich trotzdem ab. Ich sehe tanzende Menschen, ein glückliches Grinsen auf meinem Gesicht, belustige mich über den nächtlichen Besuch bei der Dönerbude. Untermalt wird das Ganze durch das Kindergeschrei von draußen. Ein nächster Blick auf die Uhr: 13.14 Uhr.
Wenn die Stille über uns hereinbricht
Erst 14 Minuten sind vergangen, dabei kommt es mir vor wie eine Ewigkeit. Unter der Woche, wenn wir voll gepackt sind mit Arbeit, vergeht die Zeit wie im Flug, wir wünschten uns Tage mit mehr Stunden und können unsere To-Do-Listen kaum abarbeiten. Und dann kommt das Ende der Woche, auf das wir uns alle freuen, und dann sind wir ratlos. Ratlos, was wir ohne diese Struktur von außen, mit einem Sonntag anfangen wollen. Ist es, weil wir wissen, dass die Woche bald zu Ende ist und wir morgen wieder durchstarten müssen? Weil uns langweilig ist und wir uns nicht noch halb verkatert mit unserem Lebens auseinandersetzen wollen? Oder, weil wir Angst haben, etwas zu verpassen?
Ich jedenfalls liege ohne Antwort darauf und ohne Plan für diesen Tag im Bett und warte. Auf den nächsten Gedanken oder die nächste Erleuchtung – nichts. Das Einzige, was ich höre, ist Stille. Stille, die wir nicht gewohnt sind, die unsere Gedanken im Kopf noch lauter macht und ganz neue Zweifel offenbart. Theoretisch könnte ich das eine Buch lesen, das schon ewig neben dem Bett liegt. Wenn da bloß mein brummender Kopf nicht wäre. Fernsehen? Habe ich auch lange nicht mehr gemacht. Aber da läuft sowieso nichts Gutes. Das Zimmer mal wieder aufräumen und für die kommende Woche klar Schiff machen? Meine Arme fühlen sich zu schwer an, meine Augen sind noch nicht wach genug und außerdem ist der Staubsauger an einem Sonntagnachmittag sowieso zu laut. Also nein.
Einfach mal nichts tun
Ich bleibe noch einige Zeit so liegen und schaffe es, meinen Laptop zu holen. Weil mir gerade nichts Besseres einfällt, google ich „Sunday mood“. Unter den Bildern lese ich Sprüche wie „Bra off, hair up, sweats on“ oder „Today I will absolutely do nothing“ oder „just do it later“. Alles klar, diese Menschen verstehen mich.
Meine Wahl fällt auf die zweite Option: Nichts tun. Anstatt uns mit Ausreden abzuspeisen – nur, um nicht das Gefühl zu haben, wir würden unsere Zeit verschwenden – können wir das Nichtstun doch einfach mal zulassen. Bemängeln wir in dem einen Job, dass wir zu wenig Freizeit haben, hängen wir auf dem Weg nach Hause in der U-Bahn direkt wieder an unserem Handy, anstatt all das mal für eine Weile ruhen zu lassen, den Tag zu verarbeiten und unseren eigenen Akku wieder mehr Energie zuzuführen. Denn: Es ist völlig okay, einfach mal nichts zu tun – auch und gerade an Sonntagen.
Es ist legitim und nur menschlich, den Begriff der Effizienz ab und an mal aus den Augen zu verlieren, einfach nur reglos dazuliegen und sich irgendwie leer zu fühlen. Es tut gut, den Alltag, die Menschen, die Aufgaben, die Dinge um uns herum auszublenden und ohne jegliche Ablenkung mal für ein paar Stunden alleine zu sein. Denn seien wir mal ehrlich: In solch einem trägen Zustand haben wir sowieso keine Energie, um Bäume zu pflanzen oder das Leben umzukrempeln. Im Interview mit der Welt unterstützt der französische Philosoph Frédéric Lenoir genau diese These:
„Wir haben ja schon Angst vor den Momenten völliger Entspannung, weil wir sie als verlorene Zeit empfinden. Stattdessen sollten wir lernen, sie als gewonnene Zeit wahrzunehmen.“
Mit dieser Erkenntnis bleibe ich noch einige Zeit so liegen, steigere mich in Kleinigkeiten hinein, fange an zu grübeln und mache aus einer Mücke einen Elefanten. Mir wird klar: Jede Sonntagsmelancholie verläuft gleich. Man bleibt liegen, ärgert sich über die eigene Ineffizienz, akzeptiert es, lässt es laufen, verrennt sich in die falschen Gedankenrichtungen. Und dann schaut man irgendwann auf die Uhr und merkt: Jetzt ist es zu spät, noch irgendetwas zu unternehmen. Zeit für eine neue Woche.
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