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Ständig On-Off-Beziehungen? Nur nicht zu eng werden? So kannst du Bindungsangst erkennen

Von der „Generation Beziehungsunfähig“ ist zurzeit gern die Rede – aber hat die Bindungsangst vieler Menschen wirklich mit den aktuellen Lebensverhältnissen zu tun? Die Psychotherapeutin Stefanie Stahl hat da so ihre Zweifel.

Unfähig zu dauerhaften Beziehungen?

Die Psychotherapeutin Stefanie Stahl beschäftigt sich schon seit Jahren mit dem Thema Bindungsangst, ihre Seminare zum Thema sind regelmäßig ausgebucht. Was vor einiger Zeit noch Neuland war, ist heute viel diskutiert, zum Beispiel auch in „Generation Beziehungsunfähig“ von Michael Nast. Über dieses Buch hat sich Stefanie Stahl ziemlich geärgert – sie glaubt nicht, dass die Bindungsunfähigkeit vieler junger Menschen heute ein Generationending ist. „Es heißt immer: Unsere Zeit oder ,die Gesellschaft’ produzieren ,Beziehungsunfähige’. Ich glaube das nicht! Die Forschung geht davon aus, dass 30 bis 40 Prozent der Menschen einen sogenannten ,unsicheren Bindungsstil’ haben. Und meiner Ansicht nach ist diese Zahl konstant. Das hat nichts mit dem Alter oder der Generation zu tun. Ganz früher hatte man nur ein engeres gesellschaftliches Korsett. Man hat die Konflikte weniger gesehen – und nie darüber gesprochen. Nur weil man zusammenblieb, in mitunter schlimmen Ehen, war man ja nicht fähiger. Heute können die Menschen ihre Neurosen viel freier ausleben“, sagt sie zum Beispiel in diesem Interview.

Wir veröffentlichen einen Auszug aus ihrem neuesten Buch zum Thema, „Vom Jein zum Ja!“:

Woran erkenne ich, ob ich bindungsängstlich bin?

Viele Bindungsängstliche verspüren eine starke Sehnsucht nach Liebe und Beziehung. Andere verspüren keinen so starken Bindungswunsch, sondern eher ein ausgeprägtes Freiheitsbedürfnis. Vor allem die Ersteren beschäftigt deswegen häufig die Frage, ob es an ihnen liegt, dass sie sich immer wieder in schwierige Beziehungen verrennen, oder eher daran, dass der Partner beziehungsweise die Partnerin doch nicht die oder der Richtige ist? Die Freiheitsbezogenen kauen hingegen häufig an der Frage, ob Liebe und Beziehung überhaupt so erstrebenswert und wichtig sind, dass man dafür so viele persönliche Kompromisse eingehen sollte. In beiden Fällen neigen Bindungsängstliche dazu, nach einer mehr oder minder kurzen Anfangsphase an der Beziehung, also an ihrem Partner oder ihrer Partnerin, zu (ver-)zweifeln. Sie sehen die realen oder auch vermeintlichen Schwächen ihres Partners und reiben sich an der Frage auf, ob nicht doch ein anderer Partner besser passen würde. Diese Zweifel werden gefüttert durch den Umstand, dass vielen Bindungsängstlichen immer wieder das liebende Gefühl für ihren Partner abhanden kommt. Nicht wenige können eigentlich nur in der Anfangsphase der Beziehung Liebe empfinden, oder wenn sie sich in jemanden verlieben, der ihnen keine Beziehungssicherheit vermittelt.

Häufig ist es auch so, dass die Liebesgefühle des Bindungsängstlichen mit der jeweiligen Nähe und Distanz in der Beziehung schwanken. Wenn der Bindungsängstliche also genügend Abstand zu seinem Partner verspürt, weil beispielsweise gerade mal wieder Schluss ist oder weil man sich länger nicht gesehen hat, dann können seine Gefühle recht intensiv werden. Ist die Beziehung hingegen in einer Phase der Nähe und Sicherheit, also eigentlich gerade am schönsten, dann erleben viele Bindungsängstliche den plötzlichen Gefühlstod. Warum das so ist, werde ich später noch erklären. Hier soll erst einmal nur die „symptomatische“ Ebene beschrieben werden. Das Jein!, das die Bindungsängstlichen verspüren, ist also sowohl gedanklicher (Zweifel) als auch emotionaler (Gefühlsschwund) Natur. Sind die Gedanken und die Gefühle jedoch zwiespältig, dann werden es die Handlungen zwangsläufig auch. Der Zickzackkurs von Nähe und Distanz, den die Bindungsängstlichen hinlegen, spiegelt also schlicht die innere Zerrissenheit der Betroffenen auf der Handlungsebene. Ein Hauptmerkmal bindungsängstlichen Erlebens ist eine starke Amplitude zwischen Nähe- und Distanzwünschen und eine nagende Unentschlossenheit, wenn sie darüber nachdenken, ob sie eine Beziehung fortführen oder überhaupt anfangen möchten. Ein Beispiel einer bindungsängstlichen Beziehung:

Julius (38 Jahre) hat schon einige Beziehungen hinter sich. Er erklärt öfter, er sei verliebt in die Liebe. Er mag die Aufregung und das Abenteuer, wenn sich noch alles so frisch anfühlt. Sobald eine Beziehung jedoch in ein sicheres Fahrwasser kommt, wird es ihm schnell langweilig. Seine bislang größte Liebe war Swetlana (34 Jahre). Swetlana war kompliziert und schwierig: Zuckerbrot und Peitsche. Sie konnte leidenschaftlich und hingebungsvoll sein, aber auch zickig und fordernd.

Die Beziehung mit ihr war eine einzige Achterbahnfahrt von gegenseitigen Verletzungen und leidenschaftlichem Sex. Ein ruhiges Gefühl der Sicherheit hat sich für Julius bei Swetlana nie eingestellt. Schließlich hat sie ihn auch wegen ihres Tanzlehrers verlassen. Julius war damals total verzweifelt. Und auch noch heute, drei Jahre später, fühlt er sich nicht ganz gelöst von ihr. Er vergleicht sie auch immer wieder mit seiner aktuellen Freundin Manu. Sie ist das Gegenteil von Swetlana: ausgeglichen und lieb. Julius weiß, dass Manu ihm viel besser tut als Swetlana, aber seine Gefühle für Manu sind im Vergleich zu jenen für Swetlana lauwarm. Ihre Anhänglichkeit törnt ihn eher ab. Deswegen überlegt er auch, die Beziehung mit Manu zu beenden.

Zugrunde liegt ein Selbstwertproblem

Julius ist ein typisches Beispiel für einen bindungsängstlichen Beziehungsstil: Die größte Leidenschaft empfindet er, wenn die Beziehung eher unsicher ist. Gerät der Bindungsängstliche hingegen an einen Menschen, der sich auf ihn einlässt und mit dem eine verbindliche Beziehung möglich wäre, dann wird es ihm entweder zu eng oder zu langweilig. Deshalb sucht Julius regelrecht, wenn auch unbewusst, nach Partnerinnen, die sich eher abweisend oder wankelmütig verhalten. Was ihm dabei überhaupt nicht bewusst ist: Seinem „Beuteschema“ liegt ein Selbstwertproblem zugrunde: Julius sucht Bestätigung in der Eroberung. Swetlana hat er nie richtig an die Angel bekommen, und genau deshalb konnte er nicht von ihr lassen. Dass sie ihn schließlich sogar wegen eines anderen verließ, hat seinen Selbstwert maximal angekratzt. Deswegen kommt er auch nicht richtig über sie hinweg. Manu hingegen hat er sicher – sie „hängt fest an der Angel“. Er kann sich ihrer Zuneigung sicher sein. Doch genau deswegen langweilt ihn die Beziehung mit Manu schon wieder. Er braucht eine neue Eroberung, um seinen Selbstwert erneut zu bestätigen. „Ich liebe die, die ich nicht kriegen kann“ ist das Motto vieler Betroffener.

In diesem Beispiel hat allerdings nicht nur Julius Schwierigkeiten damit, sich zu binden, auch Swetlana leidet unter Bindungsangst. Sobald sie sich wohlig und geborgen mit ihrem Partner fühlt, fängt sie Streit an. Sie traut dem Frieden nämlich nicht – das wäre ja zu schön, um wahr zu sein! Auch Swetlana leidet unter einem geringen Selbstwertgefühl und dies führt bei ihr zu erheblichen Verlustängsten. Sobald sich ein Gefühl der Sicherheit in der Beziehung einstellt, kommt Angst in ihr auf, ihren Partner zu verlieren. Um diesem Gefühl zu entkommen, wird sie aggressiv. Hierdurch behält sie die Kontrolle über das Geschehen. Falls ihr Partner sie wegen der Streitereien verlassen sollte, ist ihr das immer noch
lieber, als wenn sie sich vertrauensvoll hingäbe und er verließe sie dann. Diese ganzen inneren Vorgänge sind Swetlana selbst jedoch nicht komplett bewusst – sie weiß lediglich, dass sie häufig übertreibt. Warum sie jedoch immer wieder so ausflippt, kann sie sich nicht erklären.

Es gibt aber auch bindungsscheue Naturen, deren emotionale Temperatur konstant niedrig bleibt, die sich also nicht in Dramen von großer Liebe und Leidenschaft wie Julius und Swetlana verfangen. Diese „Gattung“ der Bindungsängstlichen bezeichne ich gerne als die „Maurer“: Der Maurer oder die Maurerin halten, außer in der verliebten Anfangsphase, mehr oder minder konstant einen gewissen Abstand zum Partner ein. Sie sind nicht selten in Ehen oder Dauerbeziehungen anzutreffen, die sie ertragen, indem sie sowohl emotional als auch real häufig abwesend sind.

Björn (45 Jahre) ist mit seiner Freundin Claudia (40 Jahre) schon seit 15 Jahren zusammen. Heiraten findet er spießig – er braucht für eine Beziehung keinen Schein, sagt er seiner Freundin immer wieder. Claudia fände eine Hochzeit zwar sehr romantisch, aber was soll sie machen, wenn Björn nicht will? Björn ist selbstständiger Tischler und Zimmermann. Die Geschäfte laufen sehr gut. Er arbeitet viel, auch am Wochenende. Nach Feierabend trinkt er gern sein Bier und ist häufig leicht betrunken, wenn er schlafen geht. Auf Sex hat er selten Lust, er ist zu müde, zu abgespannt. Claudia fühlt sich einsam in der Beziehung mit Björn. Wenn sie ihn darauf anspricht, gelobt er, seine Arbeit zu reduzieren und sich mehr Zeit für sie zu nehmen, aber dem folgen keine Taten. Claudia kommt weder nah an ihn heran, noch kommt sie von ihm weg.

Björn schützt sich vor seiner Bindungsangst, indem er häufig abwesend ist. Durch die Arbeit, das Trinken und die sexuelle Lustlosigkeit installiert er eine fast undurchdringliche Mauer zwischen sich und Claudia. Björn hat schnell das Gefühl, sich in einer Beziehung „selbst zu verlieren“, wenn es zu nah wird. Am sichersten fühlt er sich deswegen, wenn er einen gewissen Abstand zu seiner Partnerin hält. Björn kann sich schlecht abgrenzen. Er ist in Liebesangelegenheiten wenig konfliktfähig. Deswegen muss er sich umso rigider äußerlich abgrenzen. Und dies führt dazu, dass er der Alleinherrscher über Nähe und Distanz in der Beziehung ist. Claudia hat keine Chance, näher an ihn heranzukommen. Er verspricht ihr zwar mehr Nähe per Lippenbekenntnis, aber letztlich löst er dieses Versprechen nicht ein. Claudia kann sich die Zähne an ihm ausbeißen – Björn kommt ihr nur näher, wenn er das will. Björn, der wie alle Bindungsängstlichen ein Selbstwertproblem hat, fühlt sich mit Claudia nicht wirklich auf Augenhöhe und ist ständig besorgt, dass er in eine unterlegene Position kommen könnte. Er will die Oberhand behalten und stemmt sich trotzig gegen Claudias Erwartungen.

Aber auch Claudia leidet unter einem geringen Selbstwertgefühl. Björn schürt dieses Problem noch, weil er sie so häufig zurückweist und ihr so selten das Gefühl vermittelt, dass sie wichtig für ihn ist. Im tiefsten Inneren glaubt sie nämlich, es läge an ihr. Wäre sie hübscher und interessanter, dann würde Björn bestimmt mehr von ihr wollen, so denkt sie fälschlicherweise. Und dies ist der Grund, warum sie schlecht von ihm loskommt, sie will unbedingt von Björn Selbstbestätigung erfahren. Auch wenn Claudia ein völlig anderer Typ als Julius im vorigen Beispiel ist, haben beide ein ähnliches Problem: Sie beißen sich an Partnern fest, von denen sie wenig Wertschätzung erhalten und die sich nicht wirklich für die Beziehung mit ihnen entscheiden.

Stefanie Stahl: Vom Jein zum Ja! Bindungsangst verstehen und lösen. Hilfe für Betroffene und ihre Partner. Ellert & Richter Verlag, November 2015, 176 Seiten, 14,95 Euro.

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