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Meine ersten 100 Vorstellungsgespräche als Chefin und was Bewerber daraus lernen können

100 Vorstellungsgespräche und über 1.000 Bewerbungen habe ich mir mittlerweile aus der Chefin-Perspektive angesehen. Und dabei ziemlich viel gelernt, was Bewerbern helfen könnte.

Mein erstes Gespräch als Chefin

Noch ganz genau erinnere ich mich an mein aller erstes Vorstellungsgespräch von der anderen Seite. Ich war wahnsinnig gut vorbereitet, kannte den Lebenslauf des Bewerbers fast besser als er selbst und sicher war ich viel aufgeregter als der Bewerber, der mir erwartungsvoll gegenübersaß. Das war 2011 und ich war gerade Redaktionsleiterin bei Gründerszene geworden.

Ich hatte die Bewerbung und den Lebenslauf vorab mindestens eine Stunde studiert, hatte
den Bewerber gegoogelt und zwei gemeinsame Bekannte nach ihrer Einschätzung gefragt. Alle Fragen für den Gesprächsleitfaden hatte ich mir feinsäuberlich in stundenlanger Arbeit auf meinen schönsten Notizblock notiert, ich hatte mir sogar Gedanken gemacht was ich anziehen würde und mir vorab genau klar überlegt, anhand welcher Kriterien ich den Bewerber bewerten wollte.

Zwei Minuten pro Bewerbung

Der erste Bewerber hatte einen großen Vorteil allen anderen Bewerbern gegenüber die danach kamen: Ich habe mir ausführlich Zeit genommen. Soviel Zeit, wie ich mir nie wieder genommen habe.

Mit der Erfahrung, mit etwa 100 weiteren Vorstellungsgesprächen, ist mein Vorgehen wesentlich effizienter geworden, auch wenn ich das Wort Effizienz im Zusammenhang mit Bewerbungen ziemlich grausam finde. Aber es ist die Wahrheit: Denn den meisten Bewerbungen gebe ich kaum mehr als fünf Minuten, manchmal reicht schon eine Minute um zu entscheiden, dass ein Bewerber nicht passen kann. Blick auf den CV, wenn der gut ist auf das Anschreiben und die weiteren Unterlagen, dann kurz Google und wenn es um eine Schlüsselposition geht, kurze Recherche nach gemeinsamen Kontakten und Nachfrage.

An dieser Stelle muss ich kurz deutlich machen, dass hinter jeder Bewerbung ein Mensch steckt und das sollte man als Chefin natürlich niemals vergessen. Jeder sollte mit höchstem Respekt behandelt werden. Und, auch sehr wichtiger Punkt, den ich hier ergänzen will: Ich halte rein gar nichts von den grausamen Bewerbungsgesprächen oder Assessment Centern von denen manchmal Freunde berichten. In einem Vorstellungsgespräch bewerben sich beide füreinander. Der künftige Chef mindestens genauso wie der Bewerber. Deshalb sollte man bei aller Überzeugungskraft vor allem man selbst und offen und ehrlich bleiben und die gemeinsame Zeit nutzen um zu verstehen, ob beide Seiten gut zusammen passen.

Und weil euch als Bewerberinnen und Bewerbern so wenig Zeit bleibt, um zu überzeugen, habe ich für euch einige Notizen gemacht und aufgeschrieben, welche Fehler ich beobachtet habe im Bewerbungsprozess, die ganz leicht zu vermeiden sind. Die Liste könnte ewig weitergehen. Leider. Dabei ist es gar nicht so kompliziert, es etwas besser zu machen als die anderen.

Fehler in der Bewerbung

Keine persönliche Ansprache

Ich weiß, ihr alle wisst es. Aber ihr könnt euch nicht vorstellen, wie viele Bewerbungen wir bekommen, die sich an die „Sehr geehrten Damen und Herren” richten. Es macht nicht besonders viel Mühe, auf der Jobseite eines Unternehmen nachzusehen, wer der Ansprechpartner ist, kurz durchzurufen oder im Impressum nachzuschauen, wer die Geschäftsführerin ist.

Übertriebene Förmlichkeit oder viel zu saloppe Sprache

Es sollte große Unterschiede von Bewerbung zu Bewerbung geben, je nachdem wo ihr euch bewerbt. Das solltet ihr auch beim Ton eurer Bewerbung berücksichtigen. Wenn das Unternehmen euch bereits in der Stellenanzeige duzt, dürft auch ihr „Liebe/r xx“ schreiben. Wenn das Unternehmen eher traditionell wirkt, dann solltet ihr euch anpassen und euren
Ansprechpartner selbstverständlich siezen.

Ausuferndes Design ohne Können

Ich habe schon verrückte Mindmaps, eigensinnige Farbkombinationen und vollkommen überdesignte Lebensläufe gesehen. Solange man sich nicht gerade im Designbereich bewirbt, ist für die Bewerbungsunterlagen das Motto „weniger ist mehr” ganz sinnvoll. Die Farben sollten schlicht gehalten werden, die Schriften klar lesbar sein.

Individualität statt Massenware

Mich nervt im Anschreiben eigentlich nichts mehr, als wenn ich direkt sehe, dass das Anschreiben mit Sicherheit bereits hundert Mal vorher genau so verschickt wurde. Es ist absolut unverzichtbar, im Anschreiben auf die ausgeschriebene Stelle und das Unternehmen individuell einzugehen.

Mal hier, mal da

Unternehmen haben in der Regel ein Interesse an Mitarbeitern, die lange bleiben und nicht von Job zu Job hüpfen, wenn es einmal schlecht läuft. Natürlich solltet ihr im CV nicht lügen, aber unter Umständen könnt ihr mehrere Stationen innerhalb kurzer Zeit als Phase von freien Projekten in der Selbstständigkeit tarnen.

Dein CV ist eine Stundenlektüre

Manchmal dauert es ziemlich lange, einen CV zu lesen. Zu lange. Natürlich dürfen die letzten beiden Stellen auch um Stichworte ergänzt werden, aber ich möchte nicht genau wissen, wo sich die Grundschule von jemanden befand, der schon seit 15 Jahren arbeitet, oder was du in deinem Praktikum 1999 genau gemacht hast. Ein bis maximal zwei Seiten CV sollten ausreichen. Faustregeln: Eine Seite pro zehn Jahren Berufserfahrung.

Das Foto

Klar, man muss kein Foto mitsenden. Aber wenn man es macht – und ich freue mich immer, wenn ich eine Person vor Augen habe – dann sollte das Bild nicht zu überzogen bewerbungsbildmäßig aussehen, ein riesiger Kragen und ein steifer Hosenanzug wirken heute eher retro. Und es sollte nicht dein Lieblingsschnapschuss aus dem letzten Urlaub sein. Gerne ein etwas breiteres Format und ein nettes Lächeln in dezenter Kleidung.

Nachfragen, ob die Bewerbung angekommen ist

Ich verstehe gut, wenn man ungeduldig wird, weil man seit Wochen nichts gehört hat. Ich habe in der Tat selbst mal nach 14 Monaten eine Absage von einem Unternehmen bekommen. Aber ruft nicht nach zwei Tagen an und fragt ungeduldig. Mindestens zwei Wochen sollte man jedem Unternehmen geben.

Hohle Phrasen, seitenlang

Mir persönlich reicht eine halbe Seite als Anschreiben komplett aus. Jeder Satz sollte zur Stelle passen. Hier will man etwas zu deiner Motivation lesen – und keine Liebeserklärung oder gar einen Essay. Also nutze den Raum um deutlich zu machen, was dich ausmacht, wieso du richtig bist für die Stelle, welche Erfahrungen du einbringen kannst. Aber schreibe keine zwei Seiten ohne Bezug zu dem Job, den es zu besetzen gilt.

Rechtschreibfehler

Das Vier-­Augen­-Prinzip sollte für jede Bewerbung und jeden Lebenslauf gelten. Fast alle CVs enthalten Tipper und Grammatikfehler. Und das muss wirklich nicht sein.

Im Vorstellungsgespräch

Viel zu früh oder zu spät kommen

Natürlich solltest du, wenn du den Weg noch nicht kennst, lieber mehr Zeit einplanen. Es ist doch ungünstig zu spät zu kommen. Sollte es dir aus welchem Grund auch immer doch passieren, ruf das Unternehmen kurz an und sag Bescheid. Viel zu früh im Büro deiner zukünftigen Chefin aufzutauchen ist allerdings auch ungünstig. Mehr als fünf bis zehn Minuten zu früh solltest du nicht sein.

Nicht overdressed, aber angemessen

Je nach Branche gelten hier natürlich unterschiedliche Regeln. Im Zweifel gilt auch: lieber etwas zu schick, als zu wenig. Schau dir vorher im Internet an wie sich Menschen im Unternehmen kleiden, das wird dir eine Hilfe sein.

Vorbereitet, aber nicht auswendig gelernt

Am meisten liebe ich die Vorstellungsgespräche, die sich nach einem ganz normalen Gespräch anfühlen. Die auch spannend sind für mich. In denen Bewerber kluge Fragen stellen, richtig Lust auf den Job haben und reflektiert antworten. Wenn es ein klassisches Fragen-Antworten-Spiel gibt und alles recht einstudiert klingt, läuft irgendwas schief. Informiere dich über das Unternehmen, deine künftige Position, lies dir die Selbstdarstellung des Unternehmens durch, schau, was du zu deinem Arbeitsbereich finden kannst, sehe
dir auch die Social-Media-Präsenz an. Mache dir Gedanken, was du an dem Job spannend findest. Und sei du selbst.

Haltung

Lächeln hilft ungemein. Und aufrecht zu sitzen und eine offene Haltung einzunehmen.

Sei nett zu allen

Es hilft ganz sicher, freundlich zu jedem zu sein, den du im Fahrstuhl, am Empfang oder wo auch immer triffst. Nicht selten fragen wir die Mitarbeiter nach einem Gespräch nach ihrem Eindruck.

Informiere dich, mit wem du sprichst

Es hilft vorher zu wissen, wer im Gespräch vor dir sitzen wird. Also google die Personen, lese dir Interviews und Artikel durch, die du findest. Schau dir das Xing-Profil an. Gemeinsamkeiten festzustellen, kann im Gespräch die Chance vergrößern, ein gelungenes Gespräch aufzubauen.

Stelle Fragen

Die Frage, ob du Fragen hast kommt in jedem Gespräch. Also denke vorab nach, was dich interessiert.

Die Frage nach dem Gehalt

Denke darüber nach, was du verdienen willst. Sprich vorher mit Freunden und Bekannten aus der Branche, schaue ob du Infos im Internet findest. Und nenne ein Gehalt ohne groß zu zögern oder gar eine Preisspanne zu nennen. Deine künftige Chefin wird sich nicht für das Maximum entscheiden. Es ist aber ok, zu signalisieren, dass man verhandlungsbereit ist.

Lästern über den alten Arbeitgeber

Man mag es kaum glauben, aber wirklich viele Bewerber reden schlecht über ihren aktuellen oder frühere Arbeitgeber. Und das geht wirklich gar nicht. Natürlich darf man im Vorstellungsgespräch sagen, dass man sich nicht mehr weiterentwickeln kann in seiner aktuellen Rolle. Aber über den alten Arbeitgeber zu lästern, weil der alles falsch macht, einen auf unmögliche Art und Weise gekündigt hat oder ein ganz größer Betrüger ist, kommt nicht gut an.

Bleib voller Leidenschaft, auch bei der 100. Bewerbung und beim zehnten Gespräch

Es mag manchmal nicht leicht sein, aber es ist wichtig. Jedes Unternehmen, bei dem du dich bewirbst, ist deine neue Chance. Also behandle jede Bewerbung und jedes Vorstellungsgespräch mit der gleichen Sorgfalt wie deine erste. Es fällt auf, wenn du alles nur schnell raussendest und dich nicht über das Unternehmen informierst.

Bleib dir treu

Sich auf Stellen zu bewerben, nur um sich irgendwo zu bewerben, lohnt sich meistens nicht. Beantworte dir selbst die Frage, was du kannst und wirklich willst – und gehe mit dieser Haltung auch an deine Bewerbungen, auch wenn du im Gespräch bereits merkst, dass es nicht passt. Sage das ruhig offen und diplomatisch. Der Arbeitgeber bewirbt sich genauso bei dir, wie du bei ihm. Such im Zweifel weiter nach anderen Stellen, die dich stärker
reizen.

Sauer werden, wenn man den Job nicht bekommt

Nimm eine Absage nicht persönlich. Oft bewerben sich hunderte Menschen auf eine Stelle. Und eine Absage heute bedeutet womöglich nicht für alle Zeiten eine Absage. Nach einem Vorstellungsgespräch, auf das eine Absage folgt, darf gerne nach Feedback gefragt werden. Außer die Absage hat einen klaren Grund für dich.

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