Gestern wurde in den Niederlanden gewählt. Der Wahlsieg des amtierenden Ministerpräsidenten Rutte wird als Gewinn gegen den Populismus in Europa gewertet. Aber ist das wirklich so? Mit dieser Frage beschäftigt sich Helen diese Woche in ihrer Kolumne „Ist das euer Ernst?”.
Berechtigte Erleichterung?
Gefühlt atmete das ganze demokratische Europa gestern Abend um 21 Uhr auf, als die ersten Wahlprognosen aus der Niederlande verkündeten, dass Geert Wilders mit seiner PVV mit 13,5 Prozent klar hinter der rechtsliberalen VVD um den amtierenden Ministerpräsidenten Rutte landete, die auf 21,2 Prozent kam und somit auch in den kommenden vier Jahren die Regierung bilden wird.
Viele Medien sehen in den Wahlergebnissen ein klares Ja für Europa und gegen den Rechtspopulismus. Zu den ersten, erleichterten Gratulanten gehörten Jean Claude Juncker und Angela Merkel. Rutte selber nannte den Wahlabend: „Ein Fest für die Demokratie”. Aber kann man davon wirklich sprechen, wenn eine Partei zweitstärkste Kraft wird, die eigentlich aus nur einem Mitglied, Geert Wilders, besteht? Wenn 13,5 Prozent der Niederländer einem Mann ihre Stimme gegeben haben, der die Grenzen schließen will und öffentlich gegen Muslime hetzt?
Und vor allem, auch das geht gerade oft in all dem Europa-Jubel unter, Geert Wilders hat im Vergleich zur letzten Wahl dazu gewonnen, die Rechtsliberalen haben verloren. Wilders PVV kam 2012 auf 10,1 Prozent (2006: 5,9 Prozent, 2010: 15,4 Prozent), die VVD auf 26,6 Prozent. Mehr Niederländer haben dieses Jahr also für ein Europa der Grenzen, der Nationalstaaten und der Muslim- und Ausländerfeindlichkeit gestimmt, weniger für das „Europa” für das der Ministerpräsident und seine Partei stehen. Ein klares Ja für die EU sieht anders aus, oder?
Alles links von rechtsaußen lässt uns jubeln
Dass die 20 Sitze, die einer rassistischen Partei im nächsten niederländischen Parlament zustehen werden, als Sieg gegen den Populismus gewertet werden, liegt vor allem daran, dass bis kurz vor der Wahl ein Sieg Geert Wilders mehr als wahrscheinlich schien. Erst am vergangenen Wochenenden wendeten sich die Umfragewerte zu Gunsten Ruttes. Und das, weil er im Konflikt mit dem türkischen Staatschef Erdogan eine klare und harte Linie fuhr. Man kann zu dem Streit um Auftritte türkischer Politiker, die bei Wahlberechtigten in europäischen Ländern Stimmung für das anstehende Referendum um ein Präsidialsystem, das Erdogan noch mehr Macht verleihen würde, stehen wie man will. Aber das klare Nein Ruttes zu diesen Auftritten, wird ihm wahrscheinlich auch Stimmen von antimuslimischen Wählern eingebracht haben, die vorher vielleicht dazu geneigt waren, Wilders zu wählen.
In den Niederlanden lässt sich deshalb etwas beobachten, dass auch für die Bundestagswahl und den Umgang mit der AfD interessant und besorgniserregend ist: Um dem rechtspopulistischen Wilders den Wind aus den Segeln zu nehmen, hat sich Rutte seinen Positionen deutlich angenähert. Er fischte rhetorisch am rechten Rand. So schrieb er zum Beispiel im Januar in einem offenen Brief an alle holländischen Tageszeitungen: „Wir fühlen ein wachsendes Unbehagen, wenn Menschen unsere Freiheit missbrauchen, während sie doch gerade für diese Freiheit in unser Land gekommen sind. Menschen, die sich nicht anpassen wollen, die über unsere Sitten herziehen und unsere Werte ablehnen. Die Homosexuelle belästigen, die Frauen in kurzen Röcken ausbuhen und ganz gewöhnliche Niederländer als Rassisten beschimpfen. Ich verstehe sehr gut, dass Menschen denken: Wenn du unser Land so sehr ablehnst, dann ist es mir lieber das du weggehst. Das Gefühl habe ich nämlich auch. Verhalte dich normal oder geh weg.“
Annäherung statt Abgrenzung
Eine Aussage, die so auch von Wilders, Petry, Le Pen oder Trump hätte kommen können. Und genau da liegt die Gefahr. Frei nach dem Motto jegliche Politik links der rechtsextremen Parteien sei weltoffen, progressiv und menschenwürdig, feiern wir reaktionäre Aussagen als Sieg der Demokratie gegen den Populismus – nur weil sie nicht ganz so reißerisch formuliert sind. Auch in Deutschland lässt sich das beobachten: Ein „Zentrum zur Unterstützung der Rückkehr” wie die neue Bundeszentrale für schnellere Abschiebungsprozesse heißt, klingt ja auch viel netter. Meint aber das Gleiche: Ungewollte Asylbewerber bloß noch schneller loswerden können. Ist das wirklich die Politik, die wir mit unserer Stimme unterstützen wollen?
Was wirklich Hoffnung macht
Aber die Wahl in den Niederlanden bringt auch gute Nachrichten: In dem Land, das zu Gründungsstaaten der Europäischen Union zählt, lag die Wahlbeteiligung mit 82 Prozent sehr hoch. Auch, wenn die Niederländer schon bei den letzten Wahlen immer wieder eine im europäischen Vergleich hohe Wahlbeteiligung von über 70 Prozent hatten, zeigen die 82 Prozent der 13 Millionen Stimmberechtigten, dass die Niederländer wohl begriffen haben, dass es in dieser Wahl um etwas Grundsätzliches ging. Einige Wahllokale mussten länger aufbleiben, weil der Andrang so groß war, zwischendurch gab es nicht genügend Stimmzettel in einigen Wahllokalen. So viel Enthusiasmus gab es lange nicht mehr bei einer Wahl in Europa.
Außerdem konnte die links-grüne Partei um ihren erst 30-jährigen Spitzenkandidaten Jesse Klever, der tatsächlich für ein tolerantes Europa der offenen Grenzen steht, ihre Sitzanzahl auf 14 fast vervierfachen. In Amsterdam wurde „Grünlinks” sogar stärkste Partei. Jesse Klever, der selbst indische und marrokanische Wurzeln hat, setzt sich für die Aufnahme von Geflüchteten ein und vertritt einen klaren Pro-EU-Kurs.
Auch in den Wochen vor der Wahl, gab es viele tolle Projekte, die für eine weltoffene Niederlande eingestanden sind. Das macht Hoffnung.
Unsere Verantwortung
Der Tweet des „Verlierers” Geert Wilders, der seine rassistische Hetze ähnlich wie Donald Trump am liebsten in 140 Zeichen in die Welt schreit, stimmt allerdings nachdenklich: „Rutte ist mich noch lange nicht los” – ähnlich wie Marine Le Pen kündigt Geert Wilders für den Sieg der Rechtspopulisten einen langen Atem an. Einmal zeigt die Wahl in den Niederlanden also auch, welche Verantwortung wir alle tragen. Wir müssen die freie und pluralistische Gesellschaft, in der wir leben wollen, jeden Tag aufs Neue mitgestalten und verteidigen, denn das kann den Rechtspopulisten vielleicht tatsächlich auf lange Sicht den Wind aus den Segeln nehmen.
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