Wenn man eine Firma gründet, denkt man als erstes über die Freiheit nach, sich nichts mehr sagen zu lassen, keine Vorgesetzten mehr haben zu müssen. Steht man dann auf der anderen Seite, muss man plötzlich feststellen, dass da andere Probleme warten – Nora ist Chefin ihrer eigenen Agentur und weiß, wovon sie spricht.
Echte Freundschaften gibt es eigentlich nicht
Der Arbeitsplatz ist der Ort, an dem wir mehr Zeit mit Menschen verbringen als mit unseren Freunden und der Familie. Logisch, dass sich dort auch Freundschaften bilden. Meine immer noch allerbeste Freundin Elisa habe ich kurz nach dem Abi bei meinem ersten Studentenjob kennengelernt, meine Weltreise habe ich mit meiner Freundin Janine gemacht, mit der ich zuvor gemeinsam meine Ausbildung in der gleichen Agentur absolviert hatte und mit Miriam habe ich nach unserem ersten gemeinsamen Job später unsere Agentur hochgezogen.
Und das Privileg, das ich habe, ist, dass ich mir meist die Menschen aussuche, mit denen ich mich während der Arbeitszeit umgebe. Auch wenn natürlich bestimmte Skills vorhanden sein müssen, entscheidet letztendlich mein Herz, ob ich diesen Menschen mögen und länger mit ihm zusammenarbeiten könnte. Nun ist es nicht so, dass ich nach meiner Arbeitszeit unbedingt noch mit jedem Kollegen etwas unternehmen muss, aber echte Freundschaften bilden sich deshalb kaum, eben weil ich die Chefin bin.
Schon als wir noch zu viert in unserem Kellerbüro im gleichen Raum saßen, verabredeten sich meist still über Skype der Trainee und der Praktikant zum Mittagessen und ließen Miriam und mich quasi zurück. Wenn wir doch mal zusammen auf einer Party sind, werde ich als „Chefin“ vorgestellt, was für beide Seiten awkward ist und das Gespräch sofort auf die Arbeit lenkt. Oder die Leute werden erstaunt angeschaut, wenn sie sich überhaupt privat mit ihrer Chefin treffen. Du kannst den gleichen doofen IKEA-Tisch haben, ebenfalls zum Putzdienst eingeteilt sein und auch mal einen trinken gehen, am Ende wirst du doch als Chefin angesehen.
Der Chef taugt immer zum guten alten Feindbild
Meine alte Agentur war durch bestimmte Rahmenbedingungen kein Traumarbeitsplatz, aber ich konnte dort eigentlich relativ selbstbestimmt – wenn auch unter den strengen Augen meines Chefs – arbeiten. Die Fluktuation in der Agentur war ziemlich hoch, andererseits bestand ein sehr guter Zusammenhalt unter den Kollegen, denn wir alle hatten ein gemeinsames Feindbild: den Chef. Egal, wohin ich komme, jeder beschwert sich quasi über seinen unfähigen Vorgesetzten, ohne den das Leben viel besser wäre. Miriam und ich wollten es immer anders machen, gerade auch, weil wir aus unserem alten Job gelernt hatten. Wir wollten jedem seine Freiheit lassen, eigenverantwortlich entscheiden lassen, eher ein Miteinander leben als ein Top-Down-Management.
Wir wurden aber schnell von unseren Mitarbeitern zu Regeln gezwungen. Sie wollten und brauchten diese Struktur, um besser arbeiten zu können. Andererseits machten sie aber auch konstruktive Vorschläge, an die wie gar nicht gedacht hatten, wie etwa die Möglichkeit zum regelmäßigen Homeoffice. Heute probieren wir immer noch viel im gemeinsamen Konsens zu entscheiden, aber es gibt natürlich auch Themen, die wir dann einfach mal bestimmen oder bei denen wir ein Machtwort sprechen. Auf der anderen Seite kann das Gefälle Chefin-Angestellte nicht so extrem sein, dass es vor der eigenen Selbständigkeit abschreckt. Denn die meisten unserer ehemaligen Mitarbeiter haben sich übrigens selbständig gemacht! Wie froh sie sind, jetzt ihr eigener Chef zu sein, lassen sie ihre Leser regelmäßig auf ihren Blogs oder in Interviews wissen.
Ich kann nicht immer Vorbild sein
Ja, ich bin die mit der größten Klappe. Ich trage mein Herz auf der Zunge. Ich meine viele Dinge ironisch und mit einem Augenzwinkern, ich verstelle mich nicht, man weiß eigentlich immer, woran man bei mir ist. Andererseits bin ich ja die Chefin und dazu noch HR-Beauftragte, ich darf also eigentlich nicht pöbeln, sondern müsste immer politisch korrekt Feedback geben, immer gute Laune haben, nie gestresst sein, immer ein offenes Ohr für andere haben… aber ich kann das einfach nicht immer. An manchen Tagen habe ich kaum Zeit für meine eigenen Aufgaben, ich kann nicht immer konstruktives Feedback geben, ich möchte auch mal nölen, wenn ich eine mir zugewiesene Aufgabe doof finde. Und werde dann oft an meine Pflicht als Chefin erinnert, die ja Vorbild sein soll und Leute motivieren soll, und plötzlich merke ich, dass ich gar nicht mehr authentisch bin. Manchmal muss ich kurz durchatmen, bevor ich morgens ins Büro komme, weil ich weiß, jetzt bin ich nicht mehr privat, jetzt bin ich ja wieder die Chefin, die mit der Vorbildfunktion. Ich lese wirklich viel über Führung und versuche mich dann daran zu erinnern, um wirklich eine tolle Chefin zu sein, aber oft scheitere ich doch an meinen eigenen Charakter.
Um jetzt nicht zu negativ zu klingen: Ich liebe meinen Job, meine Firma, mein Team, ohne die das alles nicht möglich wäre. Und ich bereue keinen Tag, in die Selbstständigkeit gegangen zu sein. Aber manchmal kämpfe ich eben mit meiner Rolle, in die ich nicht geboren bin und eben auch erst erlernen musste. Teilweise wachse ich noch immer in diese Verantwortung hinein.
Bild: JD Hancock I flickr I CC BY 2.0
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