Foto: Diana Ringelsiep

Wie mich die Pille auf dem Flug in die Flitterwochen beinahe umbrachte

Community-Autorin Diana brachte aus ihren Flitterwochen nicht nur tolle Erinnerungen mit ihrem frischgebackenen Ehemann mit, sondern auch eine beidseitige Lungenembolie.

Vielleicht nur eine Erkältung?

Die perfekte Hochzeit und zwei wunderbare Flitterwochen in Miami lagen hinter mir, als ich einen Monat später erste Erschöpfungssymptome wahrnahm. Ich fühlte mich schlapp, hatte erhöhte Temperatur und war schon nach der kleinsten Gassirunde außer Atem. Nachdem ich mich auch nach einem „Game of Thrones“-Wochenende mit viel Tee nicht besser fühlte, ging ich Montagmorgen zum Arzt. Er selbst war nicht da, so fand ich mich schließlich im Behandlungszimmer seines Kollegen wieder, der sich zwischen Tür und Angel meine Symptome anhörte und mir empfahl, mich drei Tage auszukurieren. An der Atemnot könne allerdings auch eine Wirbelblockade schuld sein. Er wies mich an, mich auf die Pritsche zu legen und drückte ein paar Mal mit aller Kraft auf meiner Wirbelsäule herum. „Atmung jetzt besser?“, fragte er anschließend. „Nicht wirklich“, antwortete ich.

Noch am selben Tag fingen die Rückenschmerzen an. Ein pulsierender Druckschmerz machte sich an der mittleren Wirbelsäule breit und auch der Nacken verspannte sich zunehmend. In der Nacht wurde ich schließlich von höllischen Schmerzen geweckt. Fast jeder ist schon mal von einem Wadenkrampf geweckt worden, den er machtlos ertragen musste, bis die Schmerzen nachließen. Genau das hatte ich im Rücken. In nicht enden wollenden Schüben krampfte sich in dieser Nacht meine Rückenmuskulatur zusammen. Ich konnte nicht liegen, nicht sitzen, nicht stehen. Also ließ ich es über mich ergehen, während ich leise nach Luft schnappte und die Tränen in mein Kissen sickerten.

Fehldiagnosen-Bingo

Am nächsten Morgen rief ich direkt bei einem Orthopäden an und machte mich auf den Weg. Der Arzt der mich dort in Empfang nahm war ein Doktor der alten Schule – ein Gott in Weiß. Zumindest schien er das selbst zu glauben. Nicht einen einzigen Satz ließ er mich beenden, ständig unterbrach er mich, um die anwesende Arzthelferin zu maßregeln und am Ende tastete er einmal meine Wirbel ab und ließ mich mit den Schultern kreisen. „Keine Bewegungseinschränkung“, diktierte er seiner Assistentin. „Und nun?“, fragte ich irritiert. „Ich kann leider nichts für Sie tun, Frau Ringelsiep. Ich weiß, Sie sind ein ganz armes Tucktuck, aber Sie sollten sich einfach ein bisschen ausruhen. Wenn es wieder wehtut, nehmen Sie eine Ibuprofen.“ Gedemütigt und auf 180 verließ ich das Gebäude.

Eine Stunde später stand ich wieder bei der Praxis meines Hausarztes auf der Matte und diesmal war er selbst da. Ich erzählte ihm, was sein Kollege am Vortag mit seiner Wirbelbehandlung angerichtet hatte und berichtete von den Krämpfen in der Nacht. Um auszuschließen, dass er mir eine Rippe angeknackst hatte, überwies er mich zum Radiologen. Doch er sei sich sicher, betonte er, dass es sich lediglich um Verspannungen handeln würde. Wieder zuhause, begannen die Schmerzen von vorn. Weinend lag ich im Bett, während sich meine Rückenmuskulatur zitternd zusammenkrampfte und mir die Luft wegblieb.

Von einem Arzt zum nächsten

Mein frischgebackener Ehemann sah mir eine Weile ratlos dabei zu und
verkündete schließlich: „Ich hole dir Schuhe, wir fahren ins Krankenhaus.“ Doch ich wollte nicht. Schließlich war ich den ganzen Tag von einem Arzt zum anderen gerannt und ich war mir sicher, dass auf dem Röntgenbild am nächsten Morgen eine angebrochene Rippe als Übeltäter identifiziert und alles gut werden würde. Die folgende Nacht war die Hölle. Ich stand mehrmals auf und stützte mich im Wohnzimmer auf dem Plattenschrank ab, um nicht unter den Schmerzen zusammenzubrechen. Als das Schlimmste überstanden war, legte ich mich noch einmal hin.

Am nächsten Morgen dann die Ernüchterung nach zweieinhalb Stunden Radiologie-Wartezimmer: „Der Rippenbogen ist intakt, Sie müssen sich keine Sorgen machen, wahrscheinlich haben Sie eine Prellung, auch das kann schmerzhaft sein.“ Auf dem Heimweg schaute ich noch mal beim Hausarzt vorbei und übergab ihm das Röntgenbild. Großzügiger Weise schrieb er mich die eineinhalb Tage bis zum Wochenende weiter krank, um meine „Prellung“ endgültig auszukurieren.

Schmerzen aus der Hölle

Die folgende Nacht schlief ich gar nicht mehr. Die Krämpfe, die sonst maximal eine Viertelstunde angedauert hatten, gingen nicht mehr weg. Im Gegenteil, trotz der vier IBU 600 Tabletten, die ich genommen hatte, wurden sie noch schlimmer. Bei jedem Ein- und Ausatmen fühlte es sich unter den krampfenden Muskeln an, als rammte Ned Stark mir einen Dolch unter die Rippen. Ich japste. Ich stöhnte. Ich wimmerte. Am nächsten Tag wartete ich auf meine Mutter, die sich zu Besuch angekündigt hatte und ging mit ihr in die ambulante Notaufnahme des benachbarten Krankenhauses. Der Arzt hörte sich alles geduldig an. Dann tastete er meinen Rücken ab und sagte sowas wie: „Kein Wunder, Sie haben mindestens vier ausgerenkte Wirbel, das haben wir gleich.“
Knack-Knack-Knack-Knack. Fertig. An diesem Nachmittag fühlte ich mich
etwas besser.

Die Verspannungen würden noch einige Tage anhalten, hatte der Arzt gesagt. Also glaubte ich, dass nun alles gut werden würde. Doch dann kam die Nacht. Es ging weiter. Jedoch war diesmal nach einer halben Stunde Schluss und ich schlief wieder ein. Am Tag darauf fühlte ich mich besser. Wir machten einen „Downton Abbey“-Marathon und meine Mama umsorgte mich, wie früher, wenn ich zu krank für die Schule war. Am Abend stieß noch ein guter Freund zum Filme schauen dazu. Wir aßen Pasta und zum ersten Mal schöpfte ich Hoffnung. Doch gegen 22 Uhr krümmte ich mich wieder. Irgendwann ging ich ins Bett und ich weiß noch, dass ich vor Verzweiflung schluchzte wie ein kleines Kind. Zu welchem Arzt sollte ich denn noch gehen?

„Zu welchem Arzt sollte ich denn noch gehen?“

Am nächsten Morgen begrüßte ich die anderen gerade ziemlich gerädert in der Küche, als die Krämpfe samt Messerstichen und Schnappatmung wieder einsetzten. Es war das erste Mal, dass es schon am Morgen passierte. Ich stützte
mich am japsend am Küchentisch ab und hyperventilierte mit dem Lungenvolumen einer Fruchtfliege, während meine Tränen in den Kaffee tropften. Nach einer halben Stunde zogen die anderen ihre Jacken an, um mich diesmal wirklich ins Krankenhaus zu bringen. Doch ich konnte mich keinen Millimeter von der Stelle bewegen und bat sie zu warten. Nach über einer Stunde erlaubte ich ihnen dann, einen Krankenwagen zu rufen. Ich war am Ende.

Fünf vor Zwölf

Als die Sanitäter zehn Minuten später eintrafen, ebbten die Krämpfe natürlich ab. Doch ich hatte noch immer einen “Ruhepuls” von 135 und sie beschlossen, mich mitzunehmen. Im Krankenhaus angekommen, ärgerte ich mich, dass ich mir nicht die Zeit für eine Katzenwäsche und ein neues T-Shirt genommen hatte, denn nach der Tortur der vergangenen Stunden fühlte ich mich in dem verschwitzten Oberteil, in dem ich auch geschlafen hatte, wie nach drei Tagen Festival ohne Wechselshirt. Etwas peinlich berührt, erzählte ich dem mittlerweile sechsten Arzt meine Leidensgeschichte und auch er klopfte meinen Rücken ab und alles schien normal zu sein.

Als er eine Stunde später verkündete, dass auch die Röntgenbilder von Lunge und Halswirbelsäule unauffällig seien, überlegte ich kurzzeitig, wie ich mir auf die Schnelle ein Bein brechen oder den kleinen Finger abtrennen könnte, um bleiben zu dürfen. Aber das war nicht nötig, denn kurz darauf kamen die Blutergebnisse rein und plötzlich waren alle in heller Aufregung. Denn neben hohen Entzündungswerten wiesen auch meine D-Dimere, die auf den Abbau eines Blutgerinnsels hinweisen, das fünffache ihres maximalen Normwertes auf.

„Sie haben großes Glück, dass wir das entdeckt haben.”

Danach ging alles ganz schnell. Ich wurde zu einem Gefäßspezialisten gebracht, der mit einem „Ganzkörperultraschall“ eine Thrombose ausschließen konnte. Daraufhin wurde eine Computertomografie mit Kontrastmittel angeordnet. Der Radiologe war sehr nett und scherzte über ein Lautsprechersystem mit mir, während ich durchleuchtet wurde. Doch als wir fertig waren, wirkte er plötzlich sehr ernst. „Ich habe bereits einen ersten Blick auf die Bilder geworfen und konnte bereits erkennen, dass Sie eine beidseitige Lungenembolie haben. Das heißt, dass ihre Lunge durch einen Gefäßverschluss nicht mehr richtig durchblutet wird und es einen Rückstau zum Herzen gibt. Zudem scheinen Sie unter einer Lungenentzündung zu leiden, die sich bereits auf das Rippenfell ausgedehnt hat.“

Ich schluckte. Ein Bekannter meiner Mutter, der mich darin bestärkt hatte, Journalistin zu werden, war an einer unerkannten Lungenembolie gestorben. „Sie werden nun mit dem Rollstuhl abgeholt und alles Weitere wird man Ihnen oben erklären“, er nickte mir aufmunternd zu. „Sie haben großes Glück, dass wir das entdeckt haben.”

Pille + Flug = Lungenembolie

Als die Krämpfe in dieser Nacht wiederkehrten, wurden mir Morphine in meinen Zugang gespritzt. Binnen einer Minute breitete sich eine wohlige Wärme in meinem Körper aus und die Schmerzen, die mir das Leben eine Woche lang Nacht für Nacht zur Hölle gemacht hatten, lösten sich auf wie eine tanzende Brausetablette. Der röchelnde Opa neben mir rückte in weite Ferne und endlich fühlte ich mich gut aufgehoben. Nicht ich war verrückt gewesen, sondern die Ärzte, die mir das Gefühl gegeben hatten, wehleidig zu sein. In der folgenden Woche tropften noch literweise Blutverdünner, Antibiotika und Schmerzmittel in mich hinein. So viel, dass man mir am Ende einen Zugang auf dem Handrücken legen musste, weil meine Venen mittlerweile an die eines alten Junkies erinnerten.

Man klärte mich auf, dass die Pille bei unserem Rückflug aus Miami wahrscheinlich zu einer Thrombose geführt hatte, die Wochen später in die Lunge gewandert war. Die gottverdammte Pille, mit der ich ohnehin bloß noch mal angefangen hatte, um meine Kopfschmerzen in den Griff zu bekommen, hat mich beinahe umgebracht. Soviel zum Thema „Nichtraucherinnen gehören nicht zur Risikogruppe“. Dass die Schmerzen an dem Tag anfingen, als die Vertretung meines Hausarztes an meiner Wirbelsäule rumgedoktert hatte, war bloß ein dummer Zufall, der alle in die falsche Richtung hatte denken lassen.

„Ich lebe.“

Die ersten zwei Wochen nach dem Krankenhaus verbrachte ich in heimischer Bettruhe. Die Pille habe ich sofort abgesetzt, doch dafür darf ich jetzt ein halbes Jahr lang Blutverdünner und Blutdruckmittel nehmen, bis sich das Gerinnsel in
meiner Lunge vollständig aufgelöst hat. Wie lange ich brauchen werde, um körperlich wieder so belastbar zu sein wie vorher? Keine Ahnung, doch die kardiologische Reha, die ich seit kurzem mache, wird mir dabei helfen. Seither werde ich nachts manchmal wach und kann nur einen Gedanken fassen: „Ich lebe.“

Dieser Text ist zuerst auf Dianas Blog urbanlifestyletrash.com erschienen.

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