Seit mein Baby zwei Monate alt ist, arbeite ich halbtags. Genau wie mein Mann. Das Besondere: mittags wechseln wir.
Mit dem ersten Kind kam ein neues Arbeitsmodell
Ich bin Informatikerin und arbeite seit 2010 bei meinem derzeitigen Arbeitgeber, einem mittelständischen Bremer IT-Unternehmen. Als ich 2011 zum ersten Mal schwanger wurde, war mir recht schnell klar, dass ich nicht ein ganzes Jahr oder gar länger würde aussetzen wollen. Ich ahnte, dass ich mich auf Dauer zu Hause, über lange Stunden allein mit meinem Baby, langweilen würde. Dass ich die sozialen Kontakte, die Gespräche unter Erwachsenen auf der Arbeit und die geistige Anstrengung, die für mich einen wesentlichen Teil der Freude am Programmieren darstellt, vermissen würde. Und dass ich relativ schnell unzufrieden und damit unleidig werden würde, wenn ich nach Jahren einer gleichgestellten Beziehung auf Augenhöhe plötzlich das Gefühl hätte, auf ein Dasein als Hausfrau und Mutter beschränkt zu sein, während mein Mann weiter arbeiten gehen „dürfte”. Das ist natürlich mein persönliches Empfinden zu dem Thema – ich möchte niemanden verurteilen, der das anders sieht.
Ich habe das mehrfache Glück, sowohl einen Mann zu haben, der meine Elternzeit-Pläne gut fand und sie mitträgt, als auch einen Beruf und einen Arbeitgeber zu haben, mit dem dieses Abweichen vom Elternzeit-Standardmodell gut machbar ist. Gleiches gilt für Beruf und Arbeitsumfeld meines Mannes, ohne den das Ganze nicht funktionieren würde.
Das Modell: 50/50 und mittags wird gewechselt
Konkret sieht das bei uns so aus: Ich war bei jedem unserer Kinder im Mutterschutz (sechs Wochen vor dem errechneten Geburtstermin bis acht Wochen nach der Geburt). Mein Mann arbeitete in dieser Zeit normal weiter. Nach dem Mutterschutz begann für uns beide die Elternzeit, in der wir uns die Arbeitstage 50/50 teilen: eine*r von uns arbeitet vormittags, eine*r nachmittags, der*die jeweils andere ist für die Kinder da. Mittags wechseln wir. Wer welche Schicht übernimmt, ist im Vorhinein klar und hängt davon ab, welche festen Termine wir am jeweiligen Tag haben.
Wenn jemand im Team solche Arbeitszeiten hat, ist die Zusammenarbeit im Job an manchen Stellen um einiges schwieriger, z.B. wenn man zu zweit an einer Aufgabe arbeitet oder gemeinsame Termine geplant werden müssen. Ein paar Dinge helfen aber.
Früh planen, rechtzeitig informieren
Bevor die Elternzeit startet, muss man sich ausreichend Gedanken dazu gemacht haben, wer an welchem Tag welche Schicht übernehmen kann. Das sollte dem Team noch vor dem Start mitgeteilt werden, mit einem Hinweis, dass sich unter Umständen in der Anfangszeit nochmal etwas daran ändern kann. Manche Hindernisse erkennt man erst, wenn man bereits losgelaufen ist. Diese Schichten pro Tag sollten dann aber fest sein (sowas wie „in graden Wochen an Tag X vormittags, sonst nachmittags” sollte man möglichst vermeiden, weil das leicht Verwirrung stiftet).
Wenn doch mal Abweichungen nötig sind, weil z.B. ein wichtiger Termin ansteht, dann sollte man das so früh wie möglich planen und kommunizieren. Außerdem sollte man die eigene Abwesenheit im Kalender vermerken, damit Andere, die Termine mit einem planen wollen, nicht die Arbeitszeiten im Kopf haben müssen. Es hilft auch sehr, wenn die Teamleiter*innen sich in ihren Kalendern einen kleinen Vermerk machen, an welchen Tagen man wann arbeitet. In meiner zweiten Elternzeit, in der ich einen Tag in der Woche fest im Home Office war, habe ich zudem einen gemalten Zettel beim Team an eine Säule geklebt, wo man mit einem Blick erkennen konnte, an welchem Tag ich wann und wo arbeite.
Ich freue mich immer, wenn diese Infos dann auch genutzt werden, um mein Teilnehmen an wichtigen Terminen zu ermöglichen. In meinem aktuellen Team merke ich das oft. Drei kleine Beipiele: Ich werde gefragt, ob ich beim (fast ganztägigen) Kund*innen-Meeting lieber an den Aktivitäten vor- oder nachmittags teilnehmen möchte. Ein regelmäßiger teaminterner Termin wurde auf meine Anfrage hin nochmal verlegt, als es nach einer Weile zur Kollision mit einem anderen teamexternen Termin kam. Und auch beim gemeinsamen Mittagessen wurde auf mich gewartet, weil ich es nicht schaffte, früher da zu sein. Da fühlt man sich willkommen.
Die richtigen Arbeitspakete wählen
Die Aufgaben, die man übernimmt, müssen zu den Arbeitszeiten passen. Nach ein paar Wochen wusste ich ungefähr, wieviele Aufgabenpakete ich pro zwei-Wochen-Zyklus etwa schaffen kann (wir planen und veröffentlichen den jeweils nächsten Teil der Software immer im Rhythmus von zwei Wochen). Von allem, was größer ist, lasse ich die Finger. Ausnahmen können Aufgaben sein, die nicht zwingend im aktuellen Zyklus fertig werden müssen. Dann kann es egal sein, ob ich in zwei Zyklen zwei mittelgroße oder ein großes und ein kleines Aufgabenpaket schaffe.
Dagegen sind Aufgaben, von denen andere Aufgaben im gleichen Zyklus abhängen, nicht geeignet, weil ich durch die Stückelung der Arbeitszeit mehr Tage daran sitzen werde als jemand, der den ganzen Tag da ist. Wenn ich mit einer zweiten Person gemeinsam an einer Aufgabe arbeite, versuchen wir sicherzustellen, dass die zweite Person in der eigenen Abwesenheit gut noch andere Dinge bearbeiten kann. So vermeidet man Situationen, wo eine Person „schon mal weitergemacht” hat und man diesem Fortschritt immer hinterherhecheln muss oder im Nachhinein in ungute Diskussionen über die Art der Umsetzung gerät.
Das gilt auch für andere Teammitglieder, ich erwähne es aber trotzdem: nicht nur, aber vor allem in Projekten, wo die Änderungen an der Software automatisiert direkt livegestellt werden, sollte man sich gut überlegen, wann man seine Änderungen hinzufügt. Auch, wenn ich etwas bis zum Ende des Tages noch fertig bekommen habe, warte ich mit dem Hinzufügen von größeren Dingen bis zum nächsten Arbeitstag, weil mir sonst die Zeit fehlt, um eventuelle Probleme noch selbst beheben zu können. Die Eltern unter meinen Kolleg*innen kennen das Problem: „Oh verdammt, ich habe live was kaputt gemacht, aber ich muss jetzt los, das Kind von der Kita abholen” – den Stress braucht man einfach nicht.
Die Ausnahmen von der Regel
Der Autor Lars Vollmer schrieb sinngemäß, manche Dinge seien nicht vorhersehbar, deshalb könne man sie nicht planen, aber man könne sich gut vorbereiten. Ich bereite mich auf Unvorhersehbares vor, indem ich immer meinen Arbeitsrechner mit nach Hause nehme. Das erlaubt mir, jederzeit auch von zu Hause aus zu arbeiten, wenn z.B. das Baby krank wird und mal etwas mehr und öfter Mama braucht als sonst (denn Stillen ist so viel mehr als nur Nahrungsaufnahme), oder wenn eine kinderärztliche Untersuchung ansteht, zu der ich kurz mitkomme und davor und danach arbeite, oder wenn mal wieder irgendein Unfall uns in die Notaufnahme der Kinderklinik zwingt.
Von zu Hause aus am täglichen kurzen Team-Meeting teilnehmen, mit jemand anderem zusammen oder einfach alleine an einer Aufgabe arbeiten, all das ist kein Problem, weil ich meinen Rechner entsprechend ausgesucht habe und bei uns eh die meisten Leute aus den verschiedensten Gründen entweder nur dann und wann oder auch geplant die Hälfte der Zeit Home Office machen.
Stillen
Als stillende Mutter hat man laut §7 Mutterschutzgesetz (seit 01.01.2018 nur noch während des ersten Lebensjahrs des Kindes) Anspruch auf bezahlte Stillzeiten. Es muss auch einen geeigneten Ort zum Stillen am Arbeitsplatz geben (nein, Toiletten sind nicht geeignet).
Ich hatte in Bezug aufs Stillen bei drei Kindern drei verschiedene Situationen: Beim ersten Kind habe ich komplett von zu Hause aus gearbeitet und konnte daher tatsächlich nach Bedarf stillen. Das zweite Kind akzeptierte von Papa die Flasche mit abgepumpter Milch. Das dritte Kind tut das nicht, so dass ich direkt vor und nach dem Arbeiten zu Hause stille. Auf der Arbeit ist das nur nötig, wenn ich an einer ganztägigen Veranstaltung teilnehme. Dann belagere ich üblicherweise mit Sack und Pack unseren Massageraum, in dem es sich auch wunderbar stillen lässt.
Die Nachteile unseres Konzepts
Klar, es gibt auch negative Aspekte. Zum Beispiel musste ich auch diesmal darüber hinwegkommen, dass ich manche Teile des Projekts momentan einfach nicht bearbeiten kann, weil ich es zeitlich nicht schaffe. Oder dass ich manche der Sachen, die ich für meine Firma intern gemacht habe, brachliegen lassen musste, ebenfalls aus Zeitgründen. Und auch das will ich nicht verschweigen: Manchmal, wenn nicht direkt ein Termin ansteht, komme ich später zur Arbeit, weil ich mich zu Hause so schwer von meinem Baby lösen konnte und noch etwas länger mit ihr kuscheln wollte, auch wenn der Preis dafür ist, dass ich abends später nach Hause komme. Ich weiß sie aber bei ihrem Papa in guten Händen, so dass ich die „Pause” auch genießen kann.
50/50 – mein Fazit
Ich arbeite in einer Branche, die den Fachkräftemangel deutlich spürt. Mir fällt in all den Jahren, die ich bei meiner Firma arbeite, im Moment nur eine kurze Phase ein, in der wir mal keine neuen Leute suchten. Ich finde deshalb: jede Frau, die früher in die Firma zurückkommt, weil sie es gerne möchte und der wir als Arbeitgeber beim Organisieren entgegenkommen (anstatt ihr Steine in den Weg zu legen und ihr das Gefühl zu geben, eh nicht gebraucht zu werden), ist ein Gewinn für die Firma (und jeder Vater, der länger zu Hause bleibt, ist ein Gewinn für sich selbst, seine Kinder und die Gesellschaft).
Wer’s noch genauer wissen möchte: Ich kam dieses Mal aus dem Mutterschutz wieder und musste feststellen, dass ich in Abwesenheit ein neues Team bekommen hatte, mit einem neuen Kunden und einer neuen Programmiersprache. Dank der Erfahrung, die ich im vorherigen Projekt gesammelt hatte, konnte ich trotzdem ab Tag zwei produktiv losarbeiten, auch weil ich noch gar nicht so lange raus war, dass der Wiedereinstieg eine große Hürde gewesen wäre. Ich habe auch das Gefühl, einen wertvollen Beitrag zum Erfolg meines Teams leisten zu können, selbst wenn ich entsprechend meiner Arbeitszeit weniger schaffe als die Anderen.
Und trotz mancher Nachteile gibt es eben auch deutliche Vorteile, nicht nur für meinen Arbeitgeber: Ich komme mal raus und unter Leute, bleibe beruflich am Ball und lerne weiter jede Menge Neues, kann auch meinen Kopf weiter auf Trab halten, und das Beste von allem: der Papa hat genauso viel von seinen Kindern wie ich.
Disclaimer: Dieser Artikel enthielt ursprünglich einige Fachbegriffe aus der Welt der Agilen Software-Entwicklung. Wer ihn gerne in seiner ursprünglichen Form und mit Fachsprache lesen möchte, kann dies hier tun.
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